Konstruktiver Journalismus im Libanon: Menschen sehnen sich nach Lösungen | Nahost/Nordafrika | DW | 18.08.2023
  1. Inhalt
  2. Navigation
  3. Weitere Inhalte
  4. Metanavigation
  5. Suche
  6. Choose from 30 Languages

Nahost/Nordafrika

Konstruktiver Journalismus im Libanon: Menschen sehnen sich nach Lösungen

Als Stipendiatin der DW Akademie setzt sich MJ Daoud für einen konstruktiveren Journalismus im Libanon ein. Sie ist davon überzeugt, dass diese Form der Berichterstattung Menschen erreichen und begeistern kann.

DW Akademie/Marie Jose Daoud

MJ Daoud, Multimedia-Journalistin und Stipendiatin der DW Akademie führt während der Covid-19-Pandemie Interviews an einem Impfbuss in Arsal, Libanon. Sie nutzte Methoden des konstruktiven Journalismus, um über die Krise zu berichten.

MJ Daouds startete ihre berufliche Laufbahn im internationalen Marketing. Doch schon früh war sie von dieser Arbeit desillusioniert und wandte sich dem Journalismus zu. Ihre Erfahrungen aus der Wirtschaft nutzt sie, um komplexe Sachverhalte verständlich zu erklären, vor allem wenn es um öffentliche Gelder und Misswirtschaft geht.

"Ich mag komplizierte Wirtschaftsgeschichten", sagt sie. "Vor allem aber interessiert mich, wie diese Geschichten das Leben der Menschen beeinflussen."

Mit der Zeit merkte Daoud jedoch, dass es nicht reicht, Probleme zu erklären, sondern dass sich Menschen nach Lösungen sehnen. Sie merkte auch, dass sie nicht allein war mit dieser Idee. Als sie von den "Constructive Journalism Fellowships" der DW Akademie erfuhr, bewarb sie sich. Sie sah darin eine Chance, ihr Publikum besser anzusprechen und sich gleichzeitig kritisch mit möglichen Lösungen auseinanderzusetzen. Das Stipendium, das Daoud im Jahr 2021 erhielt, bestand aus fünf Trainingsmodulen, verteilt auf 20 Tage. Es beinhaltete auch ein Mentoring zu einem eigenen konstruktiven Story-Projekt.

Lösungsansätze aufzeigen

Heute arbeitet Daoud als Redakteurin bei L'Orient Today, einer der führenden Online-Publikationen im Libanon und Schwesterpublikation einer französischsprachigen Zeitung. Dort beauftragt und verfolgt sie Geschichten, die scheinbar unlösbare Probleme behandeln – und trotzdem Lösungsansätze aufzeigen. Letzteres ist ihr sehr wichtig.

Nach dem Stipendium wurde Daoud zusammen mit vier weiteren Absolventinnen und Absolventen als Botschafterin der DW Akademie für konstruktiven Journalismus ausgewählt. Sie bildete Medienschaffende von L'Orient Today aus und gab Beiträge nach dem Prinzip des konstruktiven Journalismus in Auftrag – vor allem solche, die sich mit den hartnäckigsten Problemen des Libanon befassten.

Ihre Ausbildung und ihr beruflicher Werdegang bereiteten sie gut auf ihre jetzigen Aufgaben vor. Dennoch gab es früh in ihrer Karriere auch Zweifel. Als sie ihrer Mutter berichtete, dass sie die Branche wechseln und als Reporterin arbeiten wollte, reagierte diese zurückhaltend – wegen der möglichen Gefahren und der finanziellen Unsicherheit, die dieser Beruf mit sich bringen. Daoud machte ein Praktikum bei einem Wirtschaftsmagazin in Frankreich, bekam dort eine Stelle angeboten, und berichtete vier Jahre lang über Wirtschaftsthemen aus dem Libanon.

"Alle waren frustriert"

2014 schloss sie ein Masterstudium in Journalismus an der Columbia University in New York ab und kehrte in den Libanon zurück, um aus ihrem Land zu berichten.

Ein Jahr später beherrschte eine Müllkrise die Schlagzeilen im Libanon. Daoud stellte fest, dass die Berichterstattung der libanesischen Medien wenig zur Verbesserung der Lage beitrug.

"Der Staat konnte die Krise nicht lösen, und die Medien waren hauptsächlich von politischen Parteien kontrolliert", sagte sie. "Alle waren frustriert."

Zusammen mit einem Reporterkollegen gründete Daoud ihr eigenes Medienunternehmen. Da ihre finanziellen Mittel begrenzt waren, begannen sie zunächst, auf Instagram und Facebook Bilder und Nachrichten zu teilen, um das Narrativ zu ändern.

"Wir schrieben über Recycling und über Menschen, die Tafeln gründeten", erinnert sie sich. "Mein Vorteil war, dass ich Freunde habe, die Unternehmer sind und die unternehmerisch denken. Ich sah, wie sich ein ganzes Ökosystem von Unternehmen entwickelte."

DW Akademie/Constructive Journalism in Libanon

MJ Daoud konzentriert sich in ihren Berichten auf Lösungen für einige der schwierigsten wirtschaftlichen und ökologischen Probleme ihres Landes. Das Bild zeigt Muhammad al-Sabsabi, der an einer behelfsmäßigen Windturbine arbeitet, die zur Erzeugung sauberer Energie genutzt werden kann.

Konstruktiver Journalismus als logische Konsequenz

Das Stipendium der DW Akademie kam in diesem Zusammenhang wie gerufen. "Während des Stipendiums hatten wir großartige Debatten über Lösungen", erinnert sie sich. "Wir waren uns einig, dass man nicht alles lösen kann. Aber, hey, lasst es uns wenigstens versuchen."

Vergangenen Monat begleitete sie eine Geschichte über die anhaltenden Waldbrände im Nordlibanon – ohne Zweifel eine schlechte Nachricht. Der Bericht schilderte aber auch, dass sich Wanderer und Naturschützer freiwillig meldeten, um die Waldbrände zu bekämpfen.

In einem anderen Bericht ging es um das Palmyra-Hotel in der antiken Stadt Baalbeck, in dem einst schon Nina Simone und Jean Cocteau verweilten. Wegen Stromausfällen und der schwierigen Lage an der syrischen Grenze droht dem Hotel das Aus. Daoud ermutigte ihre Reporter, sich anzusehen, was dennoch funktioniert. Das Team fand heraus, dass Solarzellen eine Möglichkeit sind, die Stromversorgung zu sichern. Außerdem zeigte sich, dass es nicht wenige Reisende gab, die sich von der Lage vor Ort nicht abschrecken ließen.

DW Akademie/Constructive Journalism in Libanon

Sonnenkollektoren auf dem Dach des Palmyra Hotels in Baalbeck, Libanon. Als Redakteurin bei L'Orient Today ermutigt MJ Daoud ihre Reporterkolleginnen und -kollegen, nicht nur Probleme, sondern auch Lösungen aufzuzeigen. In diesem Fall zum Beispiel, wie es gelang, die Stromversorgung des Hotels sicherzustellen.

"Es gibt noch immer viel Widerstand gegen konstruktiven Journalismus", räumt Daoud ein. Aus ihrer Sicht liegt das vor allem an kulturellen und tradierten Werten, die die Einstellung von Medienschaffenden noch immer prägten.

Nachrichten über Lösungen

"Es ist immer beschwerlich, neue Wege einzuschlagen", erklärt sie. "Und es ist auch mehr Arbeit. Man braucht die Unterstützung des Managements. Denn man stößt auf den ideologischen Widerstand von Leuten, die meinen, dass man die Regierung aus ihrer Verantwortung entlässt, wenn man über Lösungen spricht. Meine Antwort darauf ist: Wer auf den Staat wartet, wird sehr lange warten müssen."

Ihr wirtschaftlicher und unternehmerischer Hintergrund habe ihr geholfen, Berichterstattung anders zu betrachten und zu verstehen, dass sich die meisten Leserinnen und Leser nach fundierten Nachrichten über Lösungen sehnten. Außerdem sei konstruktiver Journalismus ein Ansatz, der auch bei der Bewältigung von Alltagsproblemen helfen kann. "In jeder Krise gibt es Menschen, die etwas tun, um die Situation zu verbessern", sagt sie.

"Es überrascht mich nicht, dass viele Menschen heutzutage Nachrichten meiden. Selbst ich, die ich in der Nachrichtenbranche arbeite, ertappe mich dabei. Aber konstruktiver Journalismus hilft. Er hat mich besser gemacht in dem, was ich tue – und mich auch in anderer Hinsicht beeinflusst: wie ich zuhöre, wie ich Entscheidungen treffe, wie ich Sitzungen leite und an Debatten teilnehme. Vieles davon habe ich mir während meines Stipendiums bei der DW Akademie angeeignet."

Das "Constructive Journalism Fellowship" und das "Ambassador for Constructive Journalism Fellowship" waren Teil der Initiative "Transparenz und Medienfreiheit – Krisenresistenz in der globalen Pandemie (2021/2022)" der DW Akademie und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Die Redaktion empfiehlt