Afghanistan: "Klare Vorgaben der Politik erforderlich" | Veranstaltungen | DW | 29.08.2007
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Veranstaltungen

Afghanistan: "Klare Vorgaben der Politik erforderlich"

Bonn – Am Dienstag, 28. August 2007 diskutierte eine Expertenrunde in der DW-Reihe Dialog der Welt über das deutsche Engagement in Afghanistan.

Afghanistan bleibt auf absehbare Zeit Konfliktregion: Heinz Bitsch, Stefan Dege, Citha D. Maaß und Rudolf Holderer (v.l.)

"Afghanistan bleibt auf absehbare Zeit Konfliktregion": Heinz Bitsch, Stefan Dege, Citha D. Maaß und Rudolf Holderer (v.l.)

"Helfen und kämpfen?" – so der Titel der Veranstaltung. Notwendiges Nebeneinander oder unselige Kombination? Ist das aktuelle Engagement in Afghanistan angemessen und wirksam oder ist eine Kurskorrektur erforderlich? Die Experten auf dem Podium waren sich keineswegs einig: Heinz Bitsch von HELP e.V., Citha D. Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SEP) in Bonn, und Rudolf Holderer vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Die Runde im Funkhaus Bonn moderierte Stefan Dege, DW-RADIO.

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"Helfen und kämpfen?“: Podiumsdiskussion im Gremiensaal

Oberst Holderer, für die zivil-militärische Zusammenarbeit zuständig, hält die derzeitige Ausrichtung für richtig und zielgerichtet. Allerdings könne die Koordination der deutschen und internationalen Einsatzkräfte optimiert und die afghanische Bevölkerung besser aufgeklärt werden. HELP-Vertreter Bitsch hingegen plädierte mit Nachdruck für weniger Einmischung von außen, mehr Verständnis für die Menschen im Land und eine Stärkung der zivilen Komponente. Im Übrigen fehle eine Zieldefinition. "Was wollen wir? Taliban vertreiben? Drogenanbau zerschlagen? Dafür sind klare Vorgaben der Politik erforderlich", so der HELP-Vertreter.

Dem schloss sich Citha D. Maaß an und ergänzte, man müsse die Ziele und Erwartungen an die politische Entwicklung im Land deutlich senken und afghanische Kräfte stärken – in Militär, Polizei und Zivilgesellschaft. Zugleich müsse man den Druck auf die Regierung erhöhen. "Sie ist Teil des Problems", so Maaß. Präsident Karsai betreibe Klientel-Politik, statt Korruption und Drogenanbau wirksam einzudämmen. Daher habe die Regierung erheblich an Akzeptanz in der Bevölkerung eingebüßt.

Transparenz der Einsätze verbessern

Vertrauensverlust erleide auch das Militär, sagte Bitsch. Zum einen sei die Differenzierung der Mandate von ISAF und OEF (Operation Enduring Freedom) für die Afghanen nicht transparent. Auch Militäroperationen der ISAF würden zivile Opfer fordern – was DW-Reporterin Sandra Petersmann später in der Diskussion mit den Zuhörern ebenso betonte. Die deutschen ISAF-Soldaten, so Bitsch weiter, seien zudem isoliert, hätten weniger Zugang zur Bevölkerung als öffentlich dargestellt. Hilfsorganisationen – wie HELP mit Büro in Herat – seien viel näher dran. "Wenn man helfen will, muss man mitten im Volk sein. Wir kaufen unser Fladenbrot beim Bäcker gegenüber", so Bitsch.

Nach Ansicht von Oberst Holderer sind Integration und Koordination der zivilen und militärischen Kräfte in den Provincial Reconstruction Teams (PRT) hinreichend gesichert. Citha D. Maaß hielt dagegen: Die Arbeitsteilung sei nicht funktionsfähig, weder zwischen den militärischen Mandaten noch zwischen Militärs und zivilen Kräften. Das Dilemma: "Zivile Organisationen suchen Distanz zum Militär, brauchen aber deren Schutz." In den gemischt besetzten PRT werde die zivile Seite weiter zurückgedrängt – eine Folge auch der verschärften Sicherheitslage.

Effizienz des deutschen Einsatzes erhöhen

Sandra Petersmann

"Wunderbare Kollegen in Afghanistan verloren": Stefan Dege im Gespräch mit Sandra Petersmann

Braucht man mehr deutsche Soldaten in Afghanistan? Er sehe keine Veranlassung dafür, meinte Holderer. Das deutsche ISAF-Kontingent sei ausreichend. "Wir brauchen auch künftig klare Obergrenzen." Für mehr Einsatzkräfte sprach sich hingegen Citha D. Maaß aus, beispielsweise sollte man "mehr Feldjäger für die Polizeiausbildung und mehr Sprachmittler für die deutschen Truppen einsetzten. 200 bis 500 solcher Kräfte mehr würden die Effizienz des deutschen Einsatzes erhöhen." Man habe bisher noch zu wenig investiert und in Afghanistan Institutionen geschaffen, ohne sie mit Leben zu füllen.

Auch bei der Frage nach dem Umgang mit den Taliban gab es Nuancen: Man müsse differenzieren, die Taliban seien keine homogene Gruppe, man könne sie auf Dauer nicht ignorieren, sagte Bitsch. "Man muss prüfen, ob man Ansatzpunkte findet." Für Maaß wäre die Bildung eines politischen Flügels Voraussetzung für solche Kontakte. Zudem seien "die lokalen Machtrivalitäten ebenso gefährlich wie die Taliban".

Nationalen Afghanistan-Beauftragten einsetzen

Um dem Thema Afghanistan in Deutschland mehr Gewicht zu verleihen, plädierte Maaß für einen nationalen Afghanistan-Beauftragten, "angedockt am Kanzleramt und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet". Er halte die gegenwärtige Abstimmung der beteiligten vier Ministerien – Verteidigung, Auswärtiges Amt, Innenministerium und BMZ – für völlig ausreichend, meinte hingegen Bundeswehr-Vertreter Holderer. Und man brauche auch keinen neuen Masterplan.

Konsens herrschte darüber, dass Afghanistan auf absehbare Zeit Konfliktregion bleibe. "Womöglich werden wir auch in 30 Jahren noch vor Ort sein", wie jemand aus dem Publikum resümierte. Weitgehende Einigkeit auch darüber, dass sich die erhofften Transformationsprozesse nur realisieren ließen, wenn man Ziele und Maßnahmen besser auf die konkrete Situation in Afghanistan abstimme.

Berthold Stevens

Audio und Video zum Thema

  • Datum 29.08.2007
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