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Netflix-Serie "1899" geklaut?

Silke Wünsch
22. November 2022

Eine brasilianische Comic-Autorin wirft den Machern von "1899" vor, sie hätten ihr die Idee geklaut. Das ist nichts Neues: Oft werden Erfolgsserien mit Plagiatsvorwürfen überzogen.

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zwei Männer und eine Frau stehen in einem schwach beleuchteten Raum und schauen besorgt.
Kurz nach dem Start Top Ten auf Netflix: die achtteilige Serie "1899"Bild: Netflix

Nur kurz nachdem die neue Netflix-Serie "1899" angelaufen ist, meldete sich die brasilianische Comicbuch-Autorin Mary Cagnin und behauptete, dass mehrere Teile der Serie von ihr geklaut seien.

 

"Ich bin geschockt", schreibt Cagnin auf Twitter, "dass die Serie '1899' einfach identisch mit meinem Comic 'Black Silence' ist, der 2016 veröffentlicht wurde." Sie erwähnt die Pyramide, das Schiff, die multinationale Crew und vermutet, dass die Serienmacher ihr Werk auf einer internationalen Comicmesse entdeckt haben. Dann twittert sie noch, dass es "unzählige Fälle von Gringos" gäbe, "die uns kopieren", egal ob Filme, Serien oder Musik, und zielt vor allem auf den Kinoerfolg "Life of Pi" ab. Tatsächlich hat der kanadische Schriftsteller Yann Martel, dessen Geschichte so erfolgreich verfilmt wurde, zugegeben, dass er sich von einem brasilianischen Buch habe inspirieren lassen.

Baran Bo Odar und Jantje Friese, die Macher von "1899" und dem internationalen Serienerfolg "Dark", sehen sich zu Unrecht beschuldigt und sagen, ihnen sei weder die Brasilianerin noch ihr Werk bekannt und beteuern, dass sie niemals andere Künstler bestehlen würden, schließlich seien sie ja selbst Künstler. Der Fall liegt nun bei den Anwälten.

Baran Bo Odar und Jantje Friese lächeln bei der Premiere der Netflix-Serie "1899" in die Kamera.
Ehepaar und erfolgreiche Filmemacher: Baran Bo Odar und Jantje FrieseBild: Frederic Kern/Future Image/IMAGO

"Stranger Things": erinnert an "E.T." und "Goonies"

Der Serienerfolg "Stranger Things" hat sehr viele Reminiszenzen an die Abenteuerfilme der 1980er wie etwa "Die Goonies" und "E.T." von Steven Spielberg oder das Coming-of-Age-Drama "Stand By Me" nach einer Geschichte von Stephen King. Doch weder Spielberg noch King beschwerten sich in irgendeiner Form bei Ross und Matt Duffer, den Schöpfern von "Stranger Things".

Es war ein relativ unbekannter Filmemacher namens Charlie Kessler, der in seinem Kurzfilm "Montauk" die Geschichte eines Jungen erzählt, der spurlos verschwindet, vor dem Hintergrund paranormaler Ereignisse in einer Kleinstadt, die zufällig in der Nähe einer mysteriösen militärischen Einrichtung liegt.

Kessler sagt, er habe am Rande des Tribeca Filmfestivals in New York den Duffer-Zwillingen von seinem Film erzählt, zu einer Zusammenarbeit sei es jedoch nicht gekommen.

Zwei Jahre später erschien bei Netflix "Stranger Things" - eine Geschichte über das spurlose Verschwinden eines Jungen vor dem Hintergrund paranormaler Ereignisse in einer Kleinstadt, die zufällig in der Nähe einer mysteriösen militärischen Einrichtung liegt. Erst als die Serie Erfolge verzeichnete, ging Kessler mit Plagiatsvorwürfen an die Öffentlichkeit.

Auch die Duffer-Brüder gaben das Ganze an einen Anwalt weiter: Die Klage gegen sie sei nichts weiter als der Versuch, von anderer Leute Kreativität und harter Arbeit zu profitieren.

Von "Hunger Games" bis "Squid Game"

In einer US-Late Night Show sagte Regisseur Quentin Tarantino im Sommer 2022, dass er die Filmreihe "Hunger Games" ("Die Tribute von Panem") für eine Kopie des japanischen Spielfilms "Battle Royale" hält. Das war für die "Hunger Games"-Autorin Suzanne Collins nichts Neues. Ihr wurde im Laufe ihrer Karriere immer wieder vorgeworfen, sie habe die Idee für ihre Bücher geklaut - so soll sie sich etwa bei Stephen King bedient haben, der in seinem Buch "Menschenjagd" von einem Familienvater erzählt, der, um die Medikamente für seine schwerkranke Tochter bezahlen zu können, in einer tödlichen Gameshow mitmacht. Verfilmt wurde die Geschichte 1987 unter dem Titel "Running Man" mit Arnold Schwarzenegger.

Ein Mädchen zeigt einem anderen wie man Bogen schießt.
In "Hunger Games" müssen sich Jugendliche gegenseitig jagen und tötenBild: Murray Close/AP/picture alliance

Egal, ob bei "Battle Royale", den "Hunger Games" oder "Running Man": In all diesen Dystopien werden Menschen aufeinander losgelassen und kämpfen zur Ergötzung eines perversen Publikums ums nackte Überleben.

Jüngstes Beispiel: der koreanische Mega-Erfolg "Squid Game". Die Serie sei von dem japanischen Horrorfilm "As The Gods Will" von 2014 abgekupfert worden, so der Vorwurf. Ja, auch hier müssen Kinderspiele gespielt werden, und Verliererinnen und Verlierer müssen sterben. Doch die ganze Story ist schließlich eine ganz andere: In "Squid Game" nehmen hoch verschuldete Erwachsene freiwillig teil und spielen um einen Milliardengewinn. "As The Gods Will" spielt an einer japanischen Oberschule und die Kinder werden gezwungen an den mörderischen Spielen teilzunehmen.

Ein Mann hält einen halb ausgestochenen Zuckerkeks hoch und guckt ihn besorgt an.
Zuckerkekse ausstechen wird bei "Squid Game" zur tödlichen HerausforderungBild: Netflix/ZUMAPRESS/picture alliance

Wer hatte die Idee zuerst?

Dem "Squid Game"-Regisseur Hwang Dong-hyuk kann man tatsächlich keinen Ideenklau vorwerfen: Er hatte seit 2008 versucht, seine Story zu verkaufen - bis Netflix zuschlug.

Ob bei Musik, Geschichten oder Filmen: Plagiatsvorwürfe sind an der Tagesordnung. Es ist ist nicht einfach, jemandem nachzuweisen, dass er eine bestimmte Idee zuerst hatte. Genauso wenig kann man anderen nachweisen, dass sie eine Idee geklaut haben. Immerhin ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass zwei von acht Milliarden Menschen ähnliche Gedanken, ähnliche Melodien oder ähnliche Geschichten im Kopf haben.

Daher haben Plagiatsklagen vor Gericht selten Aussicht auf Erfolg - gerade bei Filmen, an denen viele Kreative beteiligt sind und der Entstehungsprozess ein langer ist. Zudem verfügen große Filmstudios oder Produktionsfirmen über ganze Brigaden von guten Anwältinnen und Anwälten sowie viel Geld, um solche Prozesse gewinnen zu können.

Szene aus "1899": Vier Personen stehen in der Dunkelheit, es ist nebelig.
"1899" ist düster und mysteriös wie "Dark"Bild: Netflix

"Beweisführung" im Netz

Die Schöpfer von "1899" ernteten auf Twitter und Instagram regelrechte Shitstorms von Anhängerinnen und Anhängern der brasilianischen Autorin. Fans ihrer Comics haben regelrechte Beweisführungen unter ihrem oben zitierten Tweet begonnen - welche Szenen, welche Charaktere, welche Symbole geklaut seien. Umgekehrt sagen "1899"-Fans, die erwähnten Beispiele seien grundlegende Elemente von Science Fiction. "1899"-Macher Baran Bo Odar äußerte sich auf Instagram auch recht klar zu dem hitzigen Aufruhr im Netz, der bis zu persönlichen Angriffen auf ihn und seine Frau und Co-Autorin Jantje Friese reicht. Das Internet, sagt er, sei ein seltsamer Ort geworden.