Mode aus Plastikmüll - nur Greenwashing?
29. November 2022Baumwolle oder Merinowolle? Das war einmal. Was wir heute auf der Haut tragen, besteht immer häufig aus Kunststoff. Laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace werden mehr als die Hälfte der Textilien aus Polyester hergestellt und das wird überwiegend aus Erdöl produziert. Aber nicht nur das: wir kaufen auch in immer kürzeren Abständen neue Kleidung. So hat sich die Menge der produzierten Textilien weltweit zwischen 2000 und 2016 verdoppelt. Bis 2030 wird erwartet, dass sie noch einmal um über 60 Prozent steigt.
Immer mehr Mode, die immer häufiger Kunststoffe beinhaltet - das belastet die Umwelt. Schätzungen zufolge verursacht die Modebranche bis zu zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen - mehr als internationale Luftfahrt und Seeschifffahrt zusammen.
Klimalösung: Aus alt mach neu?
Etwas besser sähe die Umweltbilanz natürlich aus, wenn die Kleidung nach dem Tragen recycelt würde. Was aber für unseren Kleiderschrank gedacht ist, landet am Ende größenteils im Müll. Mehr als die Hälfte der Kleidung wird damit am Ende "thermisch verwertet", mit anderen Worten: verbrannt. Von der anderen knappen Hälfte der gebrauchten, eingesammelten Kleidung wird nur ein Prozent für die Produktion neuer Kleidung genutzt, heißt es auf der Seite des Europäischen Parlamentes. Das liege auch daran, dass die Technologien, die es zum Recycling braucht, noch in den Kinderschuhen stecken.
Der Grund liegt in der Zusammensetzung der Materialien. "Es gibt Hunderte Arten von Plastik in Textilien", sagt Kai Nebel. Er leitet an der Hochschule Reutlingen den Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit & Recycling. "Das sind Material-Mischungen mit verschiedenen Weichmachern, mit Beschichtungen und Kombinationen verschiedener Materialien." Es sei kaum möglich, diese Materialen zu sortieren und vor allen Dingen, sie voneinander zu trennen.
Trotzdem werben viele Modekonzerne damit, recycelte Materialen einzusetzen oder einsetzen zu wollen. Vor allem mit sogenanntem Meeresplastik wird geworben, das beispielsweise von der Organisation Parley for the Oceans gesammelt wurde. Und es erfordert schon einen genauen und kritischen Blick auf die Internetseiten der Konzerne, um zu verstehen, dass dafür nicht wirklich x-beliebiges Plastik aus dem Meer gefischt wurde.
Aus alter PET-Flasche wird ein neuer Schuh
Wenn derzeit von Textil-Recycling gesprochen werde, dann gehe es meistens darum, dass aus alten PET-Flaschen neue Fasern gemacht würden, so Nebel. Auch sogenanntes Meeresplastik besteht hauptsächlich aus gesammelten PET-Flaschen. "Eine solche Flasche aufzubereiten, ist viel einfacher als beispielsweise einen Schuh. Denn der Schuh besteht nicht aus einem Mono-Material, sondern aus ganz vielen", erklärt Gilian Gerke, Professorin für Ressourcenwirtschaft, Recycling und Nachhaltigkeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Man könnte natürlich meinen, besser die Kleidung aus alten PET-Flaschen machen statt aus Erdöl. Aber für die PET-Flaschen gibt es einen funktionierenden Kreislaufprozess. Aus alten PET-Flaschen können immer wieder neue gemacht werden. "Werden aus diesen Flaschen Textilien gemacht, dann landen die im Endeffekt wieder auf Müllhalden oder im Meer. Das muss man ganz klar sehen", sagt Nebel. Damit ist der Kreislauf durchbrochen.
"Wenn ich Plastikflaschen zur Textilproduktion nehme, um dann Kleidung daraus herzustellen, dann hat das die Konsequenz, dass ich viel mehr Plastikflaschen produzieren muss, damit die Textilindustrie ein umweltfreundlichen Rohstoff hat. Das ist irgendwie paradox."
Meeresplastik nur Greenwashing?
"Es ist sicherlich ein Verkaufsargument für eine Firma, Parley for the Oceans zu unterstützen", kritisiert Gerke. Wer ein wenig auf den Seiten der Modebranche recherchiert, findet zwar genauere Informationen darüber, dass die PET-Flaschen an Land gesammelt werden, damit sie erst gar nicht ins Meer gelangen, "aber der Verbraucher, der nicht genau in der Thematik drinsteckt, denkt, wenn ich diese Schuhe kaufe, rette ich das Meer. Ich nenne das "ein bisschen geplante Verbraucher-Verwirrung."
Vor allem die Formulierungen der Modekonzerne sind meist schwammig. "Das haben wir bei Kleidung von H&M oder anderen Firmen oft festgestellt", kritisiert Nebel. Da werde für Kleidungsstücke angegeben, sie seien 100 Prozent recycelt. Tatsächlich sind aber nur zehn Prozent recyceltes Material enthalten und das ist dann zu 100 Prozent recycelt, so Nebel. Auch bei Schuhen heiße es oft, sie seien aus Meeresplastik. In Wirklichkeit enthalte dann aber nur ein Teil des Schuhs 20 Prozent Meeresplastik.
Von Parley fort he Oceans selber gibt es kaum Informationen. Kontakt ist nur digital möglich und auf Fragen von Seiten der DW hat Parley nicht reagiert. Auf der Internetseite werden professionelle bildgewaltige Fotos und inspirierende Videos gezeigt, in denen meist junge und schöne Menschen lächelnd an Stränden PET-Flaschen sammeln oder Wale bildgewaltig im Meer schwimmen. Der Besucher wird aufgefordert, mitzusammeln oder zu spenden. Genaue Informationen darüber, wieviel Plastik insgesamt gesammelt wird und wieviel davon alte PET-Flaschen sind, wieviel dieses Plastiks aus dem Meer stammt, wo es recycelt wird und ob Parley Gewinne damit erzielt - Fehlanzeige.
"Es wird sehr viel Werbung gemacht, es wird viel kommuniziert darüber, aber genaue Fakten erfährt man nicht", kritisiert auch Nebel. "Wo kommt das Plastik her? Von irgendwelchen Luxus-Resorts in den Malediven, wo die Plastikflaschen auch verteilt werden?" Wenn Parley schon so gute Dinge mache, dann könne man es doch veröffentlichen, meint Nebel. "Das ist alles ein bisschen ein schwarzes Loch und somit wirkt es für mich einfach sehr unglaubwürdig."
So bleibt die Frage: Warum sammelt eine Organisation Plastik ein, für das es schon einen Recycling-Prozess gibt? Und warum wird das recycelte Plastik dann an Modekonzerne verkauft, statt es für die Herstellung neuer PET-Flaschen zu verwenden?
"In dem echten Meeres-Plastik sind so viele Materialarten, außerdem Schadstoffe, Muscheln und Sand. Das kann ich nicht einfach einschmelzen", sagt Nebel. Die Bestandteile müssten erst sauber voneinander getrennt werden, weil es sich chemisch gesehen bei Verpackungen, Flaschen, Textil-Resten oder Fischernetzen um völlig unterschiedliche Produkte handele. Zwar könne grundsätzlich auf chemischen Wege alles recycelt werden, aber sei ein horrender Aufwand. "Ich gehe davon aus, dass ein Schuh aus echtem Meeres-Plastik Schuh dann mindestens ein paar Tausend Euro kosten müsste und ich müsste ein Atomkraftwerk an den Strand stellen, um den Energieinput zu generieren. Mal ganz abgesehen von den Chemikalien, die ich dafür brauche."
Bewusster konsumieren ist ebenso wichtig wie Recycling
Laut Kai Nebel gibt es aber noch einen anderen Hebel, an dem ganz schnell angesetzt werden könnte, um die Umweltbilanz der Textilindustrie zu verbessern. "Wir produzieren Unmengen an Textilien, wovon wahrscheinlich 40 Prozent nicht mal verkauft werden", sagt Nebel. Dadurch würden enorme Mengen an Ressourcen verschwendet, Wasser verschmutzt und sehr viel CO2 verursacht - für Dinge, die nicht benutzt würden. "Das ist eigentlich die größte Sünde." Da müsste es zuerst eine Veränderung geben, bevor man an irgendein Recycling denke.
"Solange immer wieder was nachfließt, ist es wie bei einer Badewanne", beschriebt Gilian Gerke die Situation. "Sie haben den Hahn aufgedreht, das Wasser geht über den Rand und sie versuchen das, was über den Rand geht, aufzufangen, statt den Hahn abzudrehen."