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Das Comeback der analogen Fotografie

Felix Schlagwein
6. Oktober 2021

Jahrelang galt die analoge Fotografie als tot. Doch nun erlebt der fotografische Film eine Renaissance und ist vor allem bei jungen Menschen beliebt.

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Vintage-Aufnahme von einer alten Leica, die in einem Rucksack steckt.
Eine der beliebtesten Analogkameras: eine Leica aus dem gleichnamigen deutschen TraditionsbetriebBild: UIG/imago images

Als der größte Fotofilm-Produzent, Kodak, 2012 Insolvenz anmeldete, schien das Ende der Analogfotografie besiegelt. Über 100 Jahre lang hatte der US-Konzern die Fotowelt dominiert, ähnlich wie heute Google, Facebook und Amazon das Internet. Doch spätestens mit dem ersten iPhone hatten die Meisten eine hochauflösende Kamera in der Hosentasche, mit der sie problemlos Tausende Fotos schießen konnten und die analoge Fotografie wurde innerhalb weniger Jahre zurückgedrängt. 

Trotzdem oder gerade deshalb gibt es sie nun wieder: die Fotofilmenthusiasten. Und vor allem die jüngere Generation will knipsen wie noch im vergangenen Jahrhundert. "Wenn du mit Film fotografierst, hast du am Ende ein handfestes Foto auf einem Negativ und nicht nur Einsen und Nullen auf einer Speicherkarte", sagt Jason Kummerfeldt im Gespräch mit der DW. Der 29-jährige US-Fotograf spricht auf seinem YouTube-Kanal "grainydays" mit sehr viel trockenem Humor über seine Liebe zur Analogfotografie. Hunderttausende schauen seine Videos. "Ich hatte nie ein Interesse an Fotografie, bevor ich mit Fotofilm angefangen habe. Aber seitdem bin ich süchtig, vor allem nach diesem speziellen Look", so Kummerfeldt.

Und damit ist er nicht allein: Wie groß das Interesse an der Analogfotografie heute wieder ist, sieht man vor allem in den sozialen Medien. Auf YouTube hat sich innerhalb weniger Jahre eine große Community mit Millionen von Followerinnen und Followern etabliert. Ebenso auf Plattformen wie Reddit oder Instagram. Auf letzterer sind allein unter dem Hashtag #filmisnotdead über 20 Millionen Fotos gelistet. "Social Media ist sehr wichtig, um die Analogfotografie kennenzulernen", sagt Fotograf und YouTuber Jason Kummerfeldt. Vor allem Instagram helfe, sich in der analogen Fotografie zu orientieren und Inspiration zu finden.

Jason Kummerfeldt lehnt an einem  Auto. Im Hintergrund sieht man weite Landschaft
US-Fotograf und Youtuber Jason KummerfeldtBild: Jason Kummerfeldt

Filmhersteller verzeichnen wachsende Nachfrage

Das wiedererwachte Interesse nehmen auch die großen Filmhersteller wie Kodak und Fujifilm wahr. Angesichts des Analog-Booms sei man "begeistert und optimistisch bezüglich der Zukunft des Films", so ein Statement seitens Kodak Alaris, die seit der Insolvenz des Mutterkonzerns für den Vertrieb von Kodaks Fotofilm zuständig sind, auf Anfrage der DW. Zwar führe die digitale Fotografie den Markt weiterhin an, gleichzeitig verzeichne man aber "seit 2016 eine steigende Nachfrage nach Filmprodukten, da das Interesse an der analogen Fotografie weiter wächst und neue Generationen von Fotografen erreicht", so Kodak Alaris. Branchenumfragen würden zeigen, dass rund ein Drittel der Filmkonsumentinnen und -konsumenten jünger als 35 sei.

Konkurrent Fujifilm setzt neben dem fotografischen Film vor allem auf seine Polaroid-Kameras. Auch die haben in den letzten zehn Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. 2010 verkaufte das Unternehmen weltweit nur knapp eine halbe Million seiner "Instax"-Modelle. Zehn Jahre später waren es zehn Millionen. Besonders die jüngere Generation greife auf fotografischen Film und Polaroid zurück, so Andy Ross von Fujifilm Europe gegenüber der DW. "Wenn man in einer digitalen Welt aufwächst, sind Polaroid und Film 'neu'", so Ross. Für viele junge Menschen sei es zudem eine Form der Entschleunigung, "eine Art des digitalen Entzugs".

Preisexplosion bei Kameras und Film

Die große Nachfrage hat zur Folge, dass die Preise für Analogkameras und fotografischen Film in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind. Kameramodelle wie die Contax T2 verdanken ihren teilweise absurden Preisanstieg auch Hollywood-Ikonen und anderen Social-Media-Influencerinnen und -influencern, die die Analogfotografie für sich entdeckt haben und ihre neue Leidenschaft mit ihrer Followerschaft teilen. Für etliche andere Modelle müssen Käuferinnen und Käufer noch tiefer in die Tasche greifen - und das für Kameras, die mehrere Jahrzehnte alt sind.

Selbst Einsteigermodelle bleiben von der Preisexplosion nicht verschont. "Meine erste Analogkamera habe ich vor einigen Jahren für 80 US-Dollar gekauft. Jetzt kostet sie mehr als das Doppelte", sagt Fotograf Jason Kummerfeldt. "Es ist verrückt. Aber leider wird es in den kommenden Jahren nur noch schlimmer werden, weil viele Kameras kaputt gehen werden und somit weniger Angebot da sein wird." Auf Anfrage der Deutschen Welle bestätigte der Online-Marktplatz eBay "ein hohes zweistelliges Wachstum" im Bereich analoge Fotografie in den vergangenen Jahren. Genaue Zahlen, auch zu den Kaufenden, will eBay nicht nennen.

Neben Kameras und Objektiven wird auch der fotografische Film selbst immer teurer. Nachdem Marktführer Kodak bereits im vergangenen Jahr die Preise angehoben hatte, legten er 2021 noch mal nach. Auch Kodaks Konkurrenten Fujifilm und Ilford haben die Preise in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Fujifilm begründete den erneuten Preisanstieg im April diesen Jahres mit gestiegenen Rohstoffpreisen und Frachtkosten. Analog-Liebhaberinnen und -liebhaber müssen mittlerweile tief in die Tasche greifen. In Deutschland ist beispielsweise Kodaks beliebter Schwarz-Weiß-Film Tri-X für rund zehn Euro pro Rolle zu haben. Fujifilms Einsteiger-Farbfilm C200 liegt bei rund sieben Euro.

Auch wenn es vielen Analog-Fans immer mehr ans Geld geht: Wer sich in Foren für Analogfotografie umhört, stellt fest, dass viele die Preiserhöhungen sogar positiv sehen. Für sie ist es ein Zeichen dafür, dass diese Form der Fotografie eine Zukunft hat.

Analogfotografie als Geschäftsmodell: Deutsches Start-Up Silbersalz

Der Preisanstieg hat noch einen weiteren Effekt: Er bringt neue Mitbewerberinnen und Mitbewerber auf den Markt. So etwa das deutsche Start-Up Silbersalz. Seit zwei Jahren bietet die Produktionsfirma aus Stuttgart unter dem Namen Silbersalz35 ihren eigenen Analogfilm auf Basis von Kodak-Kinofilm an - und das zu vergleichsweise günstigen Preisen. Die einzelnen Filme sind zwar teurer als die Einsteiger-Modelle der großen Hersteller. Allerdings sind sie auch von besserer Qualität. Entwicklung und hochauflösende Scans sind außerdem inklusive - die Kundinnen und Kunden wollen schließlich das analoge Produkt digital, meist in sozialen Netzwerken, weiterverbreiten.

Thomas Bergmann und ein Mädchen fotografieren mit einer Analogkamera.
Setzt auf die Zukunft des Films: Silbersalz-Geschäftsführer Thomas BergmannBild: Silbersalz

Was als kleines Nebenprojekt von Silbersalz begann, ist ein voller Erfolg geworden. Das Unternehmen entwickelt mittlerweile Hunderte von Filmrollen pro Woche. "Bis heute ist unsere größte Herausforderung, den Ansturm zu bewältigen", sagt Geschäftsführer Thomas Bergmann im Gespräch mit der DW. Deshalb habe man zuletzt viel Geld in die Analogfotografie-Sparte der Firma investiert. Neue Maschinen sollen das Entwickeln und Scannen von Film effizienter machen. "Die Filmfotografie erlebt gerade einen tierischen Trend", sagt Bergmann. Auch er bestätigt: Es sind vor allem junge Leute, die bei Silbersalz bestellen. Die Hälfte seiner Kundinnen und Kunden sei unter 20. Neben dem einzigartigen Look hätten die "eine starke Sehnsucht nach dem Einfachen, dem Nicht-Flüchtigen". Gleichzeitig liefere die Analogfotografie im Vergleich zu teuren Digitalkameras qualitativ hochwertige Ergebnisse zu einem immer noch niedrigen Einstiegspreis, so Bergmann.

Ist der Analog-Boom also ein langanhaltender Trend oder ein kurzlebiger Hype? Thomas Bergmann ist sich sicher, dass Film bleibt - im Gegensatz zu den Digitalkameras. Tatsächlich ist die Branche innerhalb weniger Jahre zusammengebrochen. Für die meisten reicht die Kamera im Smartphone heute aus. Laut der japanischen Camera & Imaging Products Association (CIPA) sind die Verkäufe von Digitalkameras allein zwischen 2010 und 2019 um fast 90 Prozent eingebrochen. Die Corona-Krise hat den Negativtrend nochmals verstärkt. 2020 erklärte die Kölner photokina, die bis dato weltweit führende Messe der Foto- und Video-Branche, ihren Betrieb bis auf Weiteres einstellen zu wollen. Begründung: Die Nachfrage nach den Produkten sei zu gering, die Märkte weltweit "massiv rückläufig".

Mehrer Menschen fotografieren mit ihren Smartphones ein Gebäude.
Digitalkameras sieht man nur noch selten - den meisten reicht die Smartphone-KameraBild: Alessandro Della Valle/KEYSTONE/picture alliance

Vielleicht sieht die Zukunft der Fotografie ja so aus: In unserer Hosentasche steckt das Smartphone für die alltäglichen Schnappschüsse, die man schnell mit Freundinnen und Freunden sowie der Familie teilen möchte. Und über der Schulter, da hängt eine Kamera, analog, mit maximal 36 Auslösungen pro Filmrolle - für die ganz besonderen Momente.