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Like or dislike: Der Wahlkampf auf Social Media

12. September 2021

Im digitalen Zeitalter werden Wahlen auch im Netz entschieden: Wie beeinflussen Instagram, Facebook und TikTok die Wählerinnen und Wähler in Deutschland?

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Facebook-, Twitter- und Instagram-Icons auf einem Display.
Der Social-Media-Wahlkampf ist für die Parteien in Deutschland kein Neuland mehr: Alle werben - mehr oder weniger erfolgreich - digital um ihre WählerschaftBild: Imago/xim.gs

Saftige Bratwurst, kaltes Freibier und energische Stimmungsreden - jene traditionellen Stilmittel zur Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler mussten in diesem Bundestagswahljahr der immer noch angespannten Pandemie-Lage weichen. Aber ganz ohne politisches Getöse geht es nicht. Statt auf dem Wochenmarkt oder in der vollen Sportarena sind die Parteien vor allem im Internet auf Stimmenfang. Die Verlagerung ins Netz wurde durch Corona zwar beschleunigt, aber auch ohne die Pandemie wären die Parteien schlecht beraten, wenn sie Social-Media-Plattformen nicht nutzen würden.Schließlich ist die Wählerschaft nur einen Klick entfernt: Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Medienforschung von 2020 nutzen immer mehr Menschen Soziale Medien als Nachrichtenquelle: Im vergangenen Jahr waren es 37 Prozent der Befragten, 2019 noch 34 Prozent. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen nutzten 2020 sogar 56 Prozent Soziale Medien, um sich über das Weltgeschehen zu informieren. Das entspricht laut der Studie einem Anstieg von sechs Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr. Der Wahlkampf wird also mehr denn je im Netz entschieden. Wie nutzen die Parteien die Plattformen und wie bereiten sie ihre Inhalte auf? Ein Überblick.

Social Media und die Bundestagswahl

Politikberater: "Jungwählerinnen und Jungwähler für den Wahlausgang relativ irrelevant"

In digitalen Fragen kann sich Deutschland nicht unbedingt mit Ruhm bekleckern. Ob Breitbandanschluss, Digitalisierung oder technische Ausstattung an Schulen - Deutschland landet bei diesen Themen eher im Mittelfeld, wie der EU-Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft zeigt.

Während Barack Obama schon 2008 auf einen digitalen Wahlkampf setzte, hatten bei der vergangenen Bundestagswahl im Jahr 2016 nicht einmal alle Kandidatinnen und Kandidaten ein Social-Media-Profil. Vier Jahre später sieht es deutlich anders aus: Ihre Profile sind jetzt professioneller gestaltet. Fast täglich posten sie etwas, bespielen mehrere Plattformen, diskutieren mit Influencerinnen und Influencern, und sogar der relativ junge Social-Dienst TikTok wird von manchen Politikerinnen und Politikern für den Wahlkampf genutzt.

So nimmt der 75-jährige FDP-Politiker Wolfgang Heubisch mit sehr kreativen Videos seine Gegnerinnen und Gegner aufs Korn: "Wie ich mir einen AfD-Antrag durchlese", heißt es, während Heubisch Papier zerknüllt und wegschmeißt.

Auch die CSU (Christlich-Soziale Union) - mit Markus Söder, der hinter seinem Bürotisch darüber philosophiert, ob er Nutella mit oder ohne Butter mag oder was sein Lieblingsfilm ist - generiert viele Likes und Aufmerksamkeit unter dem jungen TikTok-Publikum.

Doch nicht alle Politikerinnen und Politiker sind begeistert von der neuen Plattform: "Es gibt gegenüber TikTok eine sehr hohe Zurückhaltung von offiziellen Partei-Institutionen, weil die Plattform einen schlechten Ruf hatte. Stichwort: Datenabfluss", sagt Social-Media-Experte und Politikberater Martin Fuchs. "Und auch wenn oft gesagt wird, dass die Jungwählerinnen und Jungwähler wichtig seien, sind sie für den Wahlkampf und Wahlausgang relativ irrelevant. Größeres Potenzial hat es, Menschen über 50 zu mobilisieren, weil die eine höhere Wahlbeteiligung haben und es mehr davon gibt."

Martin Fuchs, Politikberater und Blogger, redet auf einer Bühne.
"Für die Parteien ist es keine große Priorität, mit viel Einsatz auf TikTok zu sein", sagt Martin FuchsBild: Privat

Vielleicht setzen deswegen die meisten Parteien auf altbewährte Plattformen wie YouTube und Facebook - oder doch aus Mangel an Kreativität? "Schlechter digitaler Wahlkampf ist, wenn Fotos von sich vom Wahlkampf gestellt werden, als Dokumentation. Das macht jeder, um zu zeigen, wir waren draußen, wir sind aktiv, aber das interessiert niemanden", sagt Martin Fuchs und plädiert für innovative Wahlmethoden. "Die SPD hat auf Telegram eine Community aufgebaut mit Faktendienst, Audio- und Videoformaten - ein gutes Beispiel für dialogische Einbindung der Community."

Influencerinnen und Influencer sprechen für die Parteien

Die AfD (Alternative für Deutschland) macht es, die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) auch: Testimonials sind die neue Methode in der Wahlkampfstrategie. Die Parteien selbst brauchen keine Accounts dafür. Stattdessen sprechen junge Sympathisantinnen und Sympathisanten auf ihren eigenen Kanälen und werben für die Parteien. "Die AfD etwa hat sich ein Medien-Ökosystem erschaffen mit jungen Nutzerinnen und Nutzern, die pro-AfD und gegen die Grünen sprechen und damit sehr erfolgreich sind", sagt Martin Fuchs.

Im Gegensatz zur AfD nutzt die FDP (Freie Demokratische Partei) keine jungen Influencerinnen und Influencer. Sie setzt auf ihr altbewährtes Zugpferd Christian Lindner, dem man auf sämtlichen Plattformen in verschiedenen Posen mit oder ohne Botschaft begegnet.

Mit der 20-jährigen Lilly Blaudszun hat die SPD eine Influencerin in ihren eigenen Reihen. Dem jungen SPD-Mitglied folgen auf Instagram mehr als 20.000 Menschen (Stand 12.09.2021). Hier ein Foto von einem Mittagessen mit Parteikollegin Manuela Schwesig, da ein kurzes Video über das schlechte Wetter im Sommer in Deutschland. Leichte Themen, gut aufbereitet.

Aber nicht nur Influencerinnen und Influencer mischen beim diesjährigen Wahlkampf mit, auch die jungen Kandidatinnen und Kandidaten sind in ihrem Element, wenn es um den Stimmenfang im Netz geht. Geschickt kombinieren sie den Offline- und Online-Wahlkampf: "2021 funktioniert kein Wahlkampf, der nicht in beiden Welten denkt. Es gibt bestimmte Gruppen, die erreicht man mit Offline-Methoden und andere online. Bei vielen Formaten kann man gar nicht sagen, ob das online oder offline ist, zum Beispiel wenn die Wahlkämpferin mit ihrer Kampagne von Tür zu Tür loszieht und das alles in Social Media postet."

Was macht die AfD besser?

AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel hat mehr als 23.000 Abonnentinnen und Abonnenten auf YouTube, die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock gerade mal um die 800 (Stand 12.09.2021). Wie kommt es, dass die AfD die erfolgreichste Partei auf Social Media ist und eine solch große interagierende Community hat? Damit hat sich eineStudie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2019 anlässlich der Europawahl beschäftigt, an der auch Martin Fuchs gearbeitet hat: "Die AfD ist die erste richtige digitale Partei in Deutschland. Sie hatte bei ihrer Gründung keine richtige Infrastruktur, sie hatte keine Hinterzimmer, keine Kreisverbände und so weiter, und Facebook hat ihr die Infrastruktur geboten. Das heißt, jeder, der in der Partei aufsteigen wollte, musste auf Facebook gehen, so ist die Community relativ schnell gewachsen, weil die Menschen, die in der Partei waren, viel Zeit auf diesen Plattformen verbracht haben", erklärt Fuchs.

Hinzu kommen noch die inhaltlichen Schwerpunkte der AfD, die sehr zugespitzt und polarisierend sind: "Das klinkt skurril, aber die AfD ist die einzige Partei in diesem Land, die eine Art von Vision hat, das kann ich bei den Volksparteien nicht erkennen, und bei den Grünen und bei der FDP nur in Ansätzen. Die AfD hat eine klare Idee, warum sie Politik macht, wo sie hinmöchte, nämlich zurück in die 1950er-Jahre, also ein Rollback der gesellschaftlichen Entwicklung." Doch es geht nicht nur um Inhalte, auch der Algorithmus ist entscheidend für den Erfolg eines Posts: Stichpunkt: Microtargeting.

Wie Rechte die Instagram-Ästhetik für ihre Zwecke nutzen

Microtargeting - gezielte Ansprache der Wählerschaft 

Im Unterschied zur Wahlwerbung auf Plakaten oder mit Fernsehspots bekommt beim Mikrotargeting nur eine ausgewählte Teilzielgruppe die Botschaften zu sehen. Im Rahmen der Trump-Kampagne wurde im Monat vor der Präsidentschaftswahl fast eine Million US-Dollar täglich für solche Online-Werbung ausgegeben, mit einem Fokus auf wenigen Bundesstaaten.

Während Plattformen wie TikTok oder Instagram diese Art der politischen Werbung unterbinden, bietet vor allem Facebook die entsprechenden Voraussetzungen für Microtargeting. Dabei kategorisiert der Facebook-Algorithmus Merkmale wie Alter, Geschlecht und Interessen seiner Nutzerinnen und Nutzer, um die Wahlwerbung mit möglichst großem Effekt zu platzieren. Mithilfe einer solchen datengetriebenen Wahlkampfstrategie lassen sich Ressourcen im Wahlkampf zielgerichtet einsetzen.

Ein Problem dabei ist, was als politische Werbung im Internet zu werten ist. Dagegen gibt es für Wahlwerbespots im Rundfunk oder politische Anzeigen in Printmedien klare Regularien.

Auch in Deutschland wird Microtargeting betrieben, allerdings nicht in dem Ausmaß wie in den USA. "Alle Parteien haben eine Art Fairness-Abkommen für sich selbst erstellt, sprich Regeln für den Wahlkampf. Darin enthalten sind nur grobe geschlechtliche Kategorien, Postleitzahl, grundlegende Interessen, Alter - danach wird das Targeting ausgerichtet. Dazu muss man sagen, dass viele Expertinnen und Experten, darunter ich, glauben, dass Microtargeting keine großen Auswirkungen auf die Mobilisierung von Menschen hat", analysiert Martin Fuchs.

Ob mit Wahlplakaten oder Facebook-Anzeigen, dem Parteiprogramm als Podcast oder mit einem singenden Wahlwerbespot - die Parteien buhlen derzeit eifrig um ihre Wählerinnen und Wähler auf allen Kanälen, damit sie bei der Bundestagswahl am 26. September für sie stimmen.

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DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin