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Solidarität braucht konkrete Taten

17. März 2022

Präsident Selenskyj ist enttäuscht von Deutschland. Er hat Recht, denn Betroffenheit und allein Worte zum russischen Überfall auf die Ukraine reichen nicht, meint Katharina Kroll.

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Rede von Wolodymyr Selenskyj per Video-Screen vor dem deutschen Bundestag. Im Vordergrund die Bänke der Bundesregierung. Alle Anwesenden haben sich erhoben, zum Bildschirm hinter ihnen gedreht und applaudieren dem ukrainischen Präsidenten.
Der Präsident der Ukraine klagte bitter: Warme Worte und Applaus helfen nicht bei der Verteidigung seines LandesBild: Annegret Hilse/REUTERS

Auf Worte müssen auch Taten folgen. Nur dann ist man glaubwürdig. Das hat der ukrainische Präsident Selenskyj den Deutschen in einer Video-Botschaft im Bundestag eindrücklich vorgehalten. Vor dem deutschen Parlament erinnerte er eindrücklich an das Grauen des Krieges. Und er erinnert an das "Nie wieder", das sich das Land nach dem Zweiten Weltkrieg versprochen hat.

Doch nun herrscht seit drei Wochen ein brutaler Angriffskrieg in der Ukraine. Drei Wochen tägliches, unerträgliches Leid und Zerstörung. Ein Ende ist nicht in Sicht. Und Präsident Selenskyj hält den Deutschen eindrucksvoll den Spiegel vor: Deutschland macht noch immer Geschäfte mit denjenigen, die Bomben auf sein Land werfen. Das Gas- und Ölgeschäft läuft weiter. Deutsche Unternehmen verdienen noch immer in Russland.

Wirtschaft und Werte lassen sich nicht trennen

Was sind all die Solidaritätsbekundungen wert, die Worte der Erschütterung und des Mitgefühls, die blau-gelben Lichter überall an den Gebäuden in Deutschland? Das ist die bittere Frage, die sich Deutschland nach der Rede des ukrainischen Präsidenten stellen muss. Die Angst vor wirtschaftlichem Verlust darf nicht größer sein als die Hilfsbereitschaft.

DW Katharina Kroll
Katharina Kroll leitet die Redaktion Analysis and ReportsBild: K. Kroll

Wenn Deutschland es wirklich ernst meint mit seinen Werten, dann muss es jetzt radikal mehr tun. Denn Wirtschaft und Werte lassen sich nicht trennen. Das bedeutet konkret den Stopp der Gas- und Ölimporte. Auch wenn der Preis dafür hoch ist.

Schon lange vor Kriegsbeginn habe Deutschland die Hilferufe aus der Ukraine überhört, so Selenskyj: keine EU-Mitgliedschaft, kein NATO-Beitritt, kein Stopp für Nord Stream 2. Nun darf Deutschland nicht wieder zu spät reagieren und muss weitere schnelle Entscheidungen treffen.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Wenige Tage nach Kriegsbeginn hat Bundeskanzler Scholz von einer Zeitenwende gesprochen. Und sie dann in Politik umgesetzt. Waffenlieferungen an die Ukraine, Aufrüstung der Bundeswehr, harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Das war richtig und gut und gerade noch rechtzeitig.

Nun hat Präsident Selenskyj Deutschland eindringlich gebeten, noch mehr zu tun. Aber im Bundestag bekam er keine Antwort - weder vom Bundeskanzler noch von den Abgeordneten. Eine Aussprache wollten die Regierungsfraktionen nicht. Das einzige, was Präsident Selenskyj bekommen hat, waren stehende Ovationen. Noch während die Abgeordneten klatschten, verschwand er vom Bildschirm. Im Bundestag ging es weiter in der Geschäftsordnung. Mit Gratulationen zu Geburtstagen. Als wäre nichts geschehen. Selten hat der Bundestag so laut geschwiegen.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Das hat Erich Kästner geschrieben. Bundeskanzler Scholz hat zu Kriegsbeginn gezeigt, dass er Führung übernehmen kann: Er brauchte ein paar Tage, dann hat er kraftvoll entschieden. Hoffentlich reagiert er auch jetzt schnell. Mit Taten.