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Umwelt: Indische Weber nutzen wieder alte Techniken

Catherine Gilon
12. Februar 2021

Indiens Baumwollindustrie verschmutzt die Umwelt, die Arbeiter sind oft unterbezahlt. Kann traditionelle Weberei mit Chili und Naturfarbe Abhilfe schaffen?

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Eine Frau in einem grünen Sari bespannt einen Handwebstuhl. Sie wurde von oben fotografiert.
Die Corona-Pandemie hat die Heimwebereien in Tamil Nadu hart getroffenBild: Vikram Venkatraman/DW

Im Dorf Chithode in Tamil Nadu ist die Luft erfüllt vom Gesang der Myna-Vögel und dem Klack-Klack der Handwebstühle. Zwei Frauen in Saris benutzen Charkas (Räder), um die Spannung des Garns einzustellen, bevor es dann auf eine kleine Spule gewickelt wird. Sieben Männer schicken hölzerne Schiffchen mit dem Schussfaden über die Kettfäden und bedienen synchron dazu die Fußpedale.  

Einer von ihnen ist der 23-jährige Thamaraikannan. Er verwebt himmelblaues Garn mit fachmännischer Präzision. "Ich stamme aus einer Weberfamilie in Erode, bin also mit Garnen und Webstühlen aufgewachsen", sagt er.

Wie in der Gegend üblich, gibt es im Haus seiner Familie einen Tharikuzhi oder Grubenwebstuhl, der in den Boden eingelassen ist und auf dem Seidensaris gewebt werden. Aber die Pandemie war schlecht fürs Geschäft. So kam Thamaraikannan hierher, um bei Oshadi Baumwolle zu verarbeiten. Bei dieser "Seed to closet"-Initiative in der südindischen Textilmetropole Erode ist die ganze Lieferkette nachhaltig und die Baumwolle in Bioqualität.

Ein Mann steht vor einem Handwebstuhl
Thamaraikannan arbeitet für Oshadi. Er ist einer der jüngsten Weber in dem Distrikt, der die Handweberei aufgenommen hat Bild: Vikram Venkatraman/DW

Thamaraikannan ist nicht allein. Er sagt, dass es einen Massenexodus von den Heimwebereien zu den kommerziellen Textilfabriken und Gerbereien in Erode gibt. Die Heimweber, meist ältere Frauen, verdienen einfach nicht genug, um über die Runden zu kommen.

Nishanth Chopra, der 26-jährige Unternehmer hinter Oshadi, ist in Erode aufgewachsen, "mit Textilien, Leder und Gewürzen." Als er 2016 seine Marke für Damenbekleidung schuf, begann er den Umgang der Industrie mit ihren Arbeitern, aber auch mit der Umwelt zu hinterfragen.

Nicht nur indische Textilarbeiter sind häufig unterbezahlt. Der Baumwollanbau in Indien verbraucht auch riesige Wassermengen und die Felder, die in Monokultur bewirtschaftet werden, entziehen dem Boden Nährstoffe. Zudem verschmutzen chemische Farbstoffe Flüsse und Grundwasser. Und obwohl in Indien nur fünf Prozent der Anbaufläche mit Baumwolle bepflanzt ist, entfallen auf dieses Segment 55 Prozent der Ausgaben des Landes für landwirtschaftliche Pestizide.

Also begann Chopra die gesamte Wertschöpfungskette Schritt für Schritt zu überdenken.

Vom Saatgut bis zur Weberei

Zunächst arbeitete er mit einer Genossenschaft von Handwebern zusammen. Aber er musste erkennen, dass weniger als die Hälfte dessen, was er für den Stoff bezahlte, an die Weber ging.

"Ich musste andere Wege finden, um den Webern einen fairen Lohn zu zahlen", sagt er. Also begann er direkt mit den Webern zusammenzuarbeiten und unterstützte herausragende Handwerker, indem er in ihre Webstühle investierte.

Ein Mann steht auf einem bepflanzten Acker.
Nishanth Chopra, Gründer von Oshadi, will Indiens Textilindustrie sauberer machen. Arbeiter sollen besser bezahlt werden Bild: Vikram Venkatraman/DW

Der nächste Schritt war, seine Färber dazu zu bringen, auf natürliche Farbstoffe umzusteigen. Er beschaffte sie selbst, stellte sie ihnen zur Verfügung und garantierte ihnen, das Garn zu einem Premiumpreis zurückzukaufen.

Bei der Baumwolle selbst, dem Ausgangspunkt, hilft Oshadi den Bauern beim Umstieg von Monokulturen auf regenerativen, ökologischen Anbau. Das ist laut Chopra einfach die Rückkehr zu den traditionellen Anbaumethoden in Indien.

Einer seiner Partnerbetriebe befindet sich in Kaanchi Kovil. Das ist nicht weit von dem Ort, an dem die produzierte Baumwolle verwebt werden soll. Zwischen den Baumwollpflanzen werden Mung-Bohnen und Urad-Dal gepflanzt, um den Boden anzureichern. Die Ackerränder werden außerdem mit Rizinus bepflanzt. "Wir nutzen diese Pflanzen als Schädlingswarnsystem", erklärt Betriebsleiter Sivashankar. "Normalerweise greifen die Baumwollschädlinge zuerst die Rizinusblätter an. Das zeigt uns, dass es Zeit für unsere Bio-Pestizide ist."

Tamil Selvi ist ein erfahrener Bauer, der von Oshadi geschult wird, auf Bioverfahren umzustellen. Er sagt, dass eine "3G (ginger, garlic and green chili)"-Formel aus den Extrakten von Ingwer, Knoblauch und grünem Chili die Wollläuse und andere Schädlinge fernhält. Mischkulturen mit scharfen oder bitteren Pflanzen wie Neem, Erukku (Kronenblume) oder Adhatoda halten das Vieh davon ab zu weiden, wo es nicht weiden soll.

"20 Jahre lang habe ich konventionellen Baumwollanbau betrieben und versucht, auf Bio umzustellen - ohne großen Erfolg", sagt Selvi. "Aber jetzt habe ich verstanden, wie ich mit dem Boden arbeiten kann."

Khadi – auf der Spur des indischen Tuchs

Der Unternehmer Ananthoo war schon einige Zeit in Südindien im Geschäft mit Bio-Lebensmitteln tätig. Da bewog ihn 2014 die alarmierend hohe Selbstmordrate bei Baumwollbauern dazu, die Bio-Bekleidungsmarke Tula zu gründen.

Zunächst jedoch machte er sich auf, mehr über die Branche herauszufinden. "Wir wussten nicht, was wir mit der Baumwolle machen sollten und so gingen wir als erstes auf einen 'Khadi-Trail' quer durchs Land."

Unsere Kleidung - Geschäft mit der Nachhaltigkeit

Khadi ist ein handgesponnenes, handgewebtes indisches Tuch. Es wurde während des indischen Unabhängigkeitskampfes von politischen Führern wie Mahatma Gandhi als Alternative zu importierten Stoffen der britischen Herrscher gepriesen - und als ein Weg zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit, die helfen könnte, die indischen Dörfer gegenüber der Kolonialmacht zu vereinen.

Aber bereits im Jahre 1908, als Gandhi den Stoff als "Allheilmittel für die wachsende Massenarmut in Indien" bewarb, musste er zugeben, dass er kaum noch Handwerker fand, die die traditionellen Handwebstühle und Spinnräder bedienen konnten.

Ein Jahrhundert später, als Ananthoo von Stadt zu Stadt zog, stellte er fest, dass kommerzielle Mühlen die Handwebereien praktisch aus dem Geschäft gedrängt und die Weber in Armut zurückgelassen hatten. "Überall, wo wir hinkamen, erzählten uns die Handwerker, dass sie [unter den] letzten in ihrer Familie waren, die Handweberei betrieben", sagt er. "Anstatt unsere [eigenen] Einheiten aufzubauen, beschlossen wir, mit diesen gescheiterten Khadi-Unternehmen zu arbeiten und ihnen eine bessere Bezahlung zu bieten."

Wie auch Oshadi unterstützt Tula die Bauern dabei, auf ökologisch angebaute, einheimische Baumwolle umzustellen. Diese erweist sich laut Ananthoo auch als widerstandsfähiger gegenüber den Klimaveränderungen. Sie überstehen sowohl Dürreperioden als auch unregelmäßige Regenfälle.

"Wir bieten jetzt fast 100 Menschen eine Existenzgrundlage in unserer nachhaltigen Wertschöpfungskette, vom Saatgut bis zum Stoff", sagt Ananthoo.

Lokale Bewegungen inspirieren

Ein Mann macht aus gelben Blumen Farbstoff.
Tula verwendet natürliche Pigmente aus Tecoma-Blumen, um die Umwelt zu schonen Bild: Tula

Natürlich sind all diese Investitionen in Handarbeit und nachhaltige Produktion kostspielig. Ananthoo sagt, dass Tulas-Stoffe fast zehnmal so viel kosten wie die industriell Hergestellten.

Auch die Produkte von Oshadi sind teuer. Fertige Kleidungsstücke kosten im Einzelhandel mindestens rund 90 Euro (8000 indische Rupien). Der Kundenstamm ist hauptsächlich im Ausland. Tula hingegen verzichtet auf den Export von Produkten wegen des damit verbundenen ökologischen Fußabdrucks.

Ziel ist es nicht, sein eigenes Geschäft weiterauszubauen, sondern einen Trend zu mehr kleinen, dezentralen Betrieben zu setzen, so Ananthoo. "Tula muss nicht zu einem größeren Konglomerat expandieren. Wir hoffen, dass wir viele kleine lokale Bewegungen inspirieren können - Wertschöpfungsketten in ganz Indien, die die Wirtschaft im ländlichen Raum unterstützen und gleichzeitig umweltbewusst sind."

Tradition wiederbeleben und die Flüsse schützen

C. Sivagurunathan arbeitete früher in Bengaluru in der IT-Branche. "Es war mein Wunschtraum, einen BMW zu kaufen", erinnert er sich. Aber als er einen Essay über virtuelles Wasser - die Menge Wasser, die tatsächlich für die Herstellung eines Produkts verbraucht wird – las, musste er an den sterbenden Fluss Noyyal denken, der durch sein Dorf fließt.

Der Noyyal fließt durch die Bezirke Tiruppur, Erode und Karur. Alle drei verfügen über Textilzentren und leiten mit giftigen Chemikalien belastete Abwässer in den Fluss. Sivagurunathan erinnert sich, wie das Gewässer vor Schmutz schäumte und die Felder, die er bewässerte, unfruchtbar wurden.

Ein Mann steht in seinem Studio.
Sivagurunathan gründete die Nurpu handloom weaving society, weil er sah, welchen Schaden die Textilindustrie anrichtetBild: Nurpu
Menschen holen Wasser von einer eingetrockneten Wasserstelle.
Baumwollanbau verschlingt und verschmutzt große Mengen an Wasser, ein schon jetzt rares Gut in Tamil Nadu Bild: Getty Images/AFP/A. Sankar

Da er aus einer Weberfamilie stammt, beschloss er, eine Handweberei namens Nurpu zu gründen. Er wollte beweisen, dass man Textilien herstellen kann, ohne solche Schäden zu verursachen.

Sivagurunathan begann mit dem Verkauf von ungebleichten, ungefärbten Stoffen, die jedoch nicht gut liefen. Jetzt versucht er es mit natürlichen Farbstoffen auf Bio-Baumwolle und bewirbt die ungebleichten Stoffe für Artikel wie Handtücher. Wie Tula konzentriert sich Nurpu auf den indischen Markt und verkauft Produkte in zwei unterschiedlichen Preisklassen. Das Premiumsegment trägt dazu bei, die Facharbeiter besser zu bezahlen.

Eines Tages möchte Sivagurunathan ein lebendiges Museum finanzieren, "in dem ein Kind sehen kann, wie aus Samen schließlich Stoff wird."

Er sehnt sich auch nicht mehr nach dem benzinschluckenden BMW. Da der Klimawandel die indischen Bauern bereits jetzt unter Druck setzt, glaubt er, dass die Wiederbelebung vorindustrieller Technologien der richtige Weg ist.

"Ich glaube, dass die Handweberei die Technik der Zukunft ist, da sie nur von menschlicher Energie abhängt."

Indonesien: Mode aus Pilzleder