1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikLitauen

Litauens beliebtester Politiker: Wer ist Präsident Nauseda?

26. Mai 2024

Lange schien Gitanas Nauseda ein politisches Leichtgewicht zu sein. Heute erfreut sich der wiedergewählte Staatschef großer Beliebtheit. Doch seine zweite Amtszeit bringt viele innenpolitische Herausforderungen.

https://p.dw.com/p/4gFdf
Präsident Gitanas Nauseda spricht mit einem Lächeln in die Mikrofone von Reportern
Die Wiederwahl von Litauens Präsident Gitanas Nauseda kam wenig überraschendBild: Ints Kalnins/REUTERS

"Groß und gutaussehend" - dieses Bild von Gitanas Nauseda wurde 2019 zu einer Art Meme in sozialen Netzwerken, als er erstmals die Präsidentschaftswahlen in Litauen gewann. Es war ein zweideutiges Kompliment für den Mann aus der Hafenstadt Klaipeda. Denn damals kam der langjährige Chefökonom einer Bank vielen Bürgern wie eine zwar äußerlich beeindruckende, aber politisch unbedeutende Person vor.

Fünf Jahre später ist der 60-Jährige Litauens beliebtester Politiker. Am Sonntag wurde er nach Auszählung fast aller Stimmen mit 74,6 Prozent der abgegebenen Stimmen für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Seine Gegenkandidatin war, wie schon 2019, die jetzige Premierministerin Ingrida Simonyte von der Mitte-Rechts-Partei Vaterlandsunion - Christdemokraten Litauens. 

Nauseda: parteiunabhängig und bei vielen Wählenden populär 

"Nauseda hat zum Teil davon profitiert, dass die Regierung unter Simonyte unbeliebt ist", sagt der Politologe Lauras Bielinis von der Universität Kaunas. Der Präsident habe immer wieder das Kabinett kritisiert und das gefalle vielen Wählenden.

Der Koalitionsregierung aus Christdemokraten und zwei liberalen Parteien war es gelungen, das Land recht effektiv aus der von der COVID-19-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise zu führen. Seitdem steigen in Litauen die Gehälter und Renten, aber auch die Preise und Mieten. Dafür machen die meisten Bürger die Regierung verantwortlich.

Portraits von Gitanas Nauseda und Ingrida Simonyte
In der Stichwahl traten sie gegeneinander an: Gitanas Nauseda und Ingrida Simonyte Bild: Yauhen Yerchak/SOPA Images/picture alliance | Mindaugas Kulbis/AP/picture alliance

Wie in den Nachbarländern Lettland und Estland bezieht auch der Präsident Litauens zu gesellschaftlichen Themen Stellung. Dabei positionierte sich der parteilose Gitanas Nauseda über fünf Jahre als ein Staatschef, der von politischen Parteien unabhängig sei, sagt der Politikwissenschaftler Bielinis. In seinen Reden vermittelte er die Botschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetzen.

"Der Präsident konnte sich einen Zugang zu den unterschiedlichsten Schichten der Gesellschaft verschaffen", findet Ramunas Vilpisauskas von der Universität Vilnius - in den Städten ebenso wie auf dem Land. Nur in der Hauptstadt Vilnius fänden Politiker der Christdemokraten und Liberalen mehr Unterstützung als der Staatschef. "Nausedas Ansichten zur Wirtschaft sind eigentlich links und er tritt für einen Sozialstaat ein. Aber in Sachen Moral ist er eher rechts", sagt Vilpisauskas.

Katholisch-konservativ und anti-LGBTQ+

Beispielsweise vertritt Nauseda konservativ-katholische Ansichten zu Abtreibungs- und LGBTQ+ Themen. Als Vertreter der Koalitionsparteien vor einigen Jahren einen Gesetzentwurf zu gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ins Parlament einbrachten, ernteten sie Protest aus Teilen der Bevölkerung. Nauseda unterstützte die Gegner, wenn auch vorsichtig. So habe er, sagen Kritiker, das Thema für viele Jahre von der Agenda genommen. "Sollte es erneut aufkommen, wird Nauseda einen Kompromiss suchen, aber prinzipielle Zugeständnisse sind von ihm nicht zu erwarten", meint Lauras Bielinis.

Im Herbst finden in Litauen Parlamentswahlen statt. Umfragen prognostizieren eine Niederlage des regierenden Bündnisses aus Konservativen und Liberalen und die Machtübernahme einer neuen Koalition aus Sozialdemokraten und der Union der Bauern und Grünen. Mit ihnen, glauben Beobachter, wird es für Nauseda einfacher sein, sowohl in wirtschaftlichen als auch in sozialen Fragen eine gemeinsame Sprache zu finden. Im Unterschied zu den meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien sind die litauischen Sozialdemokraten und Bauern in ihren Ansichten zur Moral recht konservativ.

Litauen: Warschau ist näher als Brüssel

Eigentlich liegen die Befugnisse des litauischen Präsidenten im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. Und da sind sich Politiker wie auch die meisten Menschen in Litauen einig: Wladimir Putin und China sind Feinde, die USA sind der wichtigste Verbündete und die NATO-Mitgliedschaft die wichtigste Sicherheitsgarantie. Seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und insbesondere seit Beginn der umfassenden russischen Invasion der Ukraine ist die Unterstützung für Kiew auch parteiübergreifender Konsens in der litauischen Politik.

Der polnische Präsident Andrzej Duda, der ukrainische Wolodymyr Selenskyj und der litauische Gitanas Nauseda stehen an Rednerpulten bei einem Treffen in Kiew
Klar gegen Putin: Polens Präsident Andrzej Duda (l), Litauens Gitanas Nauseda (r) bei Staatschef Wolodymyr Selenskyj (m) in KiewBild: Sergei Supinsky/AFP

Gleich nach seiner ersten Amtseinführung im Jahr 2019 unternahm Nauseda einen unerwarteten Schritt. Sein erster offizieller Besuch führte ihn nicht - wie seine Amtsvorgänger - nach Brüssel zur EU, sondern nach Warschau zu Präsident Andrzej Duda. Denn in den bilateralen Beziehungen gibt es historischen Ballast: Zwei Jahrhunderte lang, bis in die frühe Neuzeit, existierte Polen-Litauen als gemeinsame königliche Republik. Zwischen den Weltkriegen nahm Polen die litauische Region Vilnius ein. Und immer wieder gibt es Streit über die Rechte der polnischen Minderheit in Litauen.

Nauseda legte von Anfang an großen Wert auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Polen. Als die russische Invasion in der Ukraine begann, zahlte sich das aus. Heute gilt in Warschau die Sicherheit Litauens als untrennbar mit der Sicherheit Polens verbunden.

Nauseda hat gute Beziehungen zu Trump und zur NATO

Nauseda ist geduldig und beharrlich in seinem Verhältnis zum deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Was die Sicherheit angeht, ziehen Nauseda und das Kabinett von Simonyte an einem Strang. So wollen sie eine möglichst baldige Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen, was die Bedeutung des Landes an der Ostflanke der NATO erhöhen würde.

Was die Beziehungen zu den USA angeht, pflegte Nauseda einst gute Beziehungen zu Präsident Donald Trump, wobei er auch mit dem derzeitigen Amtsinhaber Joe Biden eine gemeinsame Sprache fand. Sollte Trump ins Weiße Haus zurückkehren, wäre Litauen im Vorteil, da das Land mehr als 2,5 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgibt. Trump hatte von allen NATO-Partnern verlangt, die vereinbarten zwei Prozent zu investieren.

Beharrlich gegen Antisemiten und Putin-Anhänger

Innenpolitisch wird Nauseda in seiner zweiten Amtszeit vor großen Herausforderungen stehen. Erstmals seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Litauens vor über 30 Jahren hat mit Remigijus Zemaitaitis ein antisemitischer Politiker die politische Bühne des Landes betreten. Zemaitaitis erhielt in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 9,2 Prozent der Stimmen und Kandidaten seiner rechts-nationalistischen Partei Morgendämmerung von Nemunas könnten im Herbst ins Parlament einziehen.

Und dann ist da der kremlfreundliche Präsidentschaftskandidat Eduardas Vaitkus. Er fordert, die Unterstützung für die Ukraine aufzugeben, die Krim als russisch anzuerkennen und sich mit Putin zu einigen. Bei den Wahlen kam er im Schnitt auf 7,3 Prozent. Doch rund um Vilnius, wo viele Polen leben, sowie in der überwiegend russischsprachigen Stadt Visaginas bekam Vaitkus mehr als 40 Prozent Zustimmung.

"Leider hat ein Teil unserer Gesellschaft - glücklicherweise nicht die Mehrheit - die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen drei Jahrzehnte nicht begriffen und nicht akzeptiert", sagt der Politologe Lauras Bielinis. Nauseda habe sich zum Erfolg von Zemaitaitis und Vaitkus bereits positioniert: Deren Wähler seien "unsere Bürger" und man müsse sich mit ihnen auseinandersetzen. "Genau das ist die Aufgabe des Präsidenten, mit Menschen zu kommunizieren und sie zu überzeugen."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk