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Internationale Pressestimmen der vergangenen Woche

Hans-Bernd Zirkel17. August 2002

Hochwasser und Wahlkampf / Hartz und Wahlkampf

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Die Hochwasserkatastrophe und ihre Bedeutung für den bundesdeutschen Wahlkampf waren für die Kommentatoren der europäischen Tagespresse in der vergangenen Woche die interessantesten Themen.

Die Überschwemmungen hätten eine Welle der Unterstützung ausgelöst, bemerkte die belgische Boulevardzeitung HET LAATSTE NIEUWS und beschrieb die Auswirkungen so:

"Die massiven Hilfsaktionen, die angelaufen sind, bekommen (...) Unterstützung von allen Seiten. Ein paar Fußballclubs der höchsten Spielklasse haben Benefizspiele geplant. Und die deutschen Politiker, für die Wahlen vor der Tür stehen, ziehen allenthalben ihre Gummistiefel an, um die betroffenen Gebiete zu besuchen."

Die konservative norwegische Tageszeitung AFTENPOSTEN aus Oslo stellte fest:

"Wahlkämpfe verlaufen nie wie geplant, sondern stellen oft mit Überraschungen die Kandidaten auf die Probe. So ist es jetzt nur fünf Wochen vor der Bundestagswahl, da eine gigantischen Flutwelle die Elbe flussabwärts treibt. Beide Kanzlerkandidaten zeigen ihre Unterstützung für die Opfer. Der bürgerliche Herausforderer Edmund Stoiber schickt Fahrzeuge und Freiwillige nach Dresden. Der sozialdemokratische Kanzler der letzten vier Jahre, Gerhard Schröder, schreitet mit Kameras im Schlepptau neue Deiche ab und verspricht massive Hilfe aus ganz Deutschland. Gleichzeitig verstärkt die Flut aber die Verunsicherung, die die Deutschen in diesem Sommer ergriffen hat, seit sie steigende Arbeitslosenzahlen und von den Großunternehmen eine Verlustmeldung nach der anderen zu hören bekommen. Die Wirtschaft ist Schröders Achillesferse. Festigt sich der Eindruck, er habe die Wirtschaftspolitik nicht im Griff, verliert er Wähler."

Die in London erscheinende, liberale britische Zeitung THE INDEPENDENT urteilte:

"Es sieht so aus, als gebe es nur einen Menschen, der von den schrecklichen Überschwemmungen profitieren kann, die den Kontinent ereilt haben: Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Denn das ungewöhnliche Unwetter und der enorme Schaden, den es angerichtet hat, haben die Aufmerksamkeit von Schröders glanzlosem Wahlkampf abgelenkt. Aber auch dieser perverse politische Bonus wird entfallen, wenn der Eindruck entsteht, Schröder habe die Hilfsaktionen nicht unter Kontrolle. (...) Das alles unterstreicht die Notwendigkeit, dass die Umweltfragen beim Erdgipfel in Johannesburg mit größter Dringlichkeit behandelt werden. Vor allem müssen die USA überzeugt werden, die verschwenderische Energienutzung zu beenden. Wenn uns das nicht gelingt, dann sollten wir in Großbritannien uns darauf gefasst machen, jeden Sommer so nass zu werden wie es die Bürger Prags in diesem Jahr geworden sind."

Der Schweizer TAGESANZEIGER kommentierte:

"Die bisher im Wahlkampf recht ratlos wirkenden Grünen haben ihr ureigenstes Thema neu entdeckt: Haben sie nicht immer für eine nachhaltige Klimapolitik gekämpft, gegen Flussbegradigungen und gegen die überbordende Versiegelung der Landschaft? Und hat nicht die Opposition die Umweltanliegen und die Gefahren des Klimawandels immer auf die leichte Schulter genommen, die Ökosteuer rabiat bekämpft? Genüsslich machen Grüne und SPD nun darauf aufmerksam, dass es im 'Kompetenzteam' Edmund Stoibers keine Zuständigkeit für Umweltpolitik gibt. Insbesondere die Grünen hoffen, damit wertkonservative Umweltengagierte auf ihre Seite ziehen zu können."

Dazu merkte die britische Zeitung THE DAILY TELEGRAPH aus London an:

"Einige deutsche Politiker haben versucht, mit Blick auf die Bundestagswahl im September politisches Kapital aus der Krise zu schlagen. Dazu gehört der grüne Umweltminister Jürgen Trittin, der gesagt hat, seine Politik sei am Besten geeignet, die Auswirkungen des Hochwassers einzudämmen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat jedoch versucht, solchen Opportunismus zu vermeiden." Die liberale österreichische Zeitung DER STANDARD aus Wien beschäftigte sich mit einem anderen Wahlkampfthema: den Vorschlägen der so genannten Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes. Die SPD nutze die Vorschläge lediglich zum Stimmenfang, meinte der Kommentator des Blattes und schrieb:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder will damit signalisieren, dass er reformwillig ist. Warum er in den vergangenen vier Jahren nicht dazu fähig war und die Zahl der Erwerbslosen auch im Sommer wieder über der Vier-Millionen-Marke liegt, diese Frage spart Schröder aus. Legt man seinen eigenen Maßstab an - wenn er die Zahl der Arbeitslosen nicht unter die Zahl von 3,5 Millionen drücke, habe er nicht das Recht, wiedergewählt zu werden, hat Schröder versprochen -, hat der Amtsinhaber eigentlich keine zweite Chance verdient. Sein Herausforderer Edmund Stoiber macht es sich wiederum zu leicht, indem er die Vorschläge als 'Gequatsche' abtut."

Die Londoner Wirtschaftszeitung FINANCIAL TIMES beleuchtete die Chancen der Freien Demokraten auf eine Regierungsbeteiligung und porträtierte den FDP-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt als möglichen neuen Außenminister:

"Wolfgang Gerhardt ist ganz sicher kein Joschka Fischer. Fischer, Deutschlands grüner Außenminister seit 1998, ist international für seine Intelligenz, sein Charisma und seine Ideen zur Lösung globaler Probleme bekannt. Mr. Gerhardt, der Mann, der als sein Nachfolger gehandelt wird, ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil. Kaum außerhalb von Deutschland bekannt, ist er ein ernster und uncharismatischer, fast schon langweiliger Politiker. Zwar hat er alle Fakten zum Thema Außenpolitik im Kopf, doch fällt es ihm schwer, eine Zuhörerschaft zu fesseln."