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KunstAfrika

Humboldt Forum final eröffnet

16. September 2022

Nach heftigen Debatten um Raubkunst und Restitution ist mit dem Ostflügel nun auch der letzte Teil des Humboldt Forums eröffnet. Highlight der Präsentation sind die als koloniales Raubgut geltenden Benin-Bronzen.

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Nahaufnahme von Benin Bronzen in der Ausstellung
Uhunmwun elao - so der Name dieser Gedenkköpfe aus dem Königreich BeninBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance/dpa

Ostflügel des Humboldt Forums eröffnet

"Die Benin-Bronzen sind ein aktiver Teil unserer Vorfahren. Es ist, als ob sie mich fragen würden, welche Beziehung ich zu meinem Vater habe", so Kate Akhadelor über die wertvollen Benin-Bronzen, Artefakte aus Bronzen, Messing oder Elfenbein, die das Highlight der neuen Ausstellung im Humboldt Forum bilden. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Joseph Alonge ist die Museumspädagogin vor einem Monat aus Nigeria nach Berlin gekommen, um bei der Ausstellungsgestaltung zu unterstützen: "Seitdem wir hier sind, haben wir unermüdlich daran gearbeitet, die Artefakte im Hinblick auf ihre Bedeutung, Funktion und Verwendung zu interpretieren und die Geschichte und die Kultur des Königreichs Benin für die Menschen verständlich zu machen", so Alonge im Interview mit der DW.

Menschen stehen vor einer Vitrine im Humboldt-Forum und gucken sich die Artefakte an
Kate Akhadelor und Jospeh Alonge (r.) im Gespräch mit Theophilus Umugbai von der nigerianischen MuseumskommissionBild: Annabelle Steffes/DW

Ob Benin-Bronzen ausgestellt werden sollten, wurde in den letzten Jahren heftig debattiert, denn an den Werken klebt nachweislich Blut: Sie wurden 1897 bei einer sogenannten "Strafexpedition" durch britische Kolonialtruppen aus dem Königspalast in Benin City im heutigen Nigeria geraubt und gelangten Anfang des 20. Jahrhunderts über eine Londoner Auktion nach Deutschland, das sich die weltweit zweitgrößte Sammlung an Benin-Bronzen sicherte.

Im Laufe des letzten Jahrhunderts gab es immer wieder Rückgabeforderungen, die in Europa allerdings auf taube Ohren stießen. Im Zuge des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses, hinter dessen Fassaden sich das Humboldt Forum verbirgt, nahm die Debatte um die Restitution der Bronzen Fahrt auf.

Benin-Bronzen nur noch Leihgaben

Auf den letzten Metern ging die lange hinaus gezögerte Rückgabe dann plötzlich ganz schnell: Erst letzten Monat übertrug die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Sammlung im Forum ausgestellt wird, die Eigentumsrechte seiner 512 Objekte an Nigeria. Statt, wie ursprünglich geplant 220, sind nun nur noch etwa 40 Objekte als Leihgaben ausgestellt. In zehn Jahren läuft der Leihvertrag aus und muss mit Nigeria neu verhandelt werden. Ein Meilenstein, findet Abba Isa Tijani, Direktor der nationalen Museumskommission Nigerias: "Es ist die einzige Art, wie wir wirklich zusammenarbeiten können. Drei unserer Experten sind hier, um die Ausstellung mitzugestalten. Im Gegenzug profitieren sie aber auch von der Erfahrung ihrer europäischen Kollegen."

Drei Männer in Anzug unterhalten sich im Vorhof des Humboldt Forums. Zwei Männer geben sich die Hand.
Haben inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis: Abba Isa Tijani von der nigerianischen Museumskommission (r.) und Hermann Parzinger, Direktor der Stiftung Preußischer KulturbesitzBild: Annabelle Steffes/DW

Es klingt zu schön um wahr zu sein: Wissensaustausch, Zusammenarbeit, Neugestaltung. Und das nach einem jahrelangen Streit, der sich zunächst vor allem um die Architektur des wiederaufgebauten Preußen-Schlosses im Look der deutschen Kolonialzeit drehte. Zerstört im Zweiten Weltkrieg, wurde es zu DDR-Zeiten abgerissen und als Palast der Republik wiederaufgebaut. Nach dem Fall der Mauer war zunächst unklar, was mit dem Gebäude passieren sollte. Als entschieden wurde, das Barockschloss im Herzen Berlins wiederaufzubauen, hagelte es Kritik von allen Seiten: Zu teuer, zu pompös, zu rückwärtsgewandt.

Ein Schloss im Herzen Berlins

Das Humboldt Forum

Mit dem Zugang zum Ostflügel ist Deutschlands aktuell teuerstes Kulturprojekt - knapp 680 Millionen Euro kostete der Bau - nun abgeschlossen. Die Eröffnung hatte sich über fast zwei Jahre hingezogen: Coronabedingt konnten im Dezember 2020 nur rein digitale Einblicke ins Innere gegeben werden. Im Frühjahr 2021 wurden die Höfe aufgemacht und im darauffolgenden Sommer und Herbst die temporären Ausstellungen und erste Teile der außereuropäischen Sammlungen im Westflügel eröffnet. 

"Das Haus steht, das Dach ist dicht, aber die Arbeit im und am Gebäude, sie beginnt jetzt", so Kulturstaatsministerin Claudia Roth während des Festaktes zur Eröffnung am 16. September. "Jetzt wird aus dem Humboldt Forum als Gegenstand der Debatten ein Ort der Debatten." 

"Das ist ein großartiger Moment in der Geschichte dieses Ortes, aber wir sind noch nicht fertig", bekräftigt auch Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt Forums, im Gespräch mit der DW. Das Forum verstehe sich als "globale Dialogplattform", so Dorgerloh weiter. Es sei kein Museum, sondern wirklich ein Forum, das Menschen die Möglichkeit zum Austausch und zu gemeinsamen Projekten bieten wolle. Ein fortwährender Prozess also, bei dem man den Blick auch in die Zukunft richten und Themen wie Migration oder den Klimawandel in künftigen Projekten aufgreifen wolle.  

Exponate auf 40.000 Quadratmetern

Neben Artefakten aus Subsahara-Afrika werden auf dem insgesamt knapp 40.000 Quadratmeter großen Areal Exponate aus Asien, Ozeanien, Amerika und Berlin gezeigt. Allein die Fülle der Ausstellungsobjekte ist überwältigend. Zumal die Vitrinen teilweise überfrachtet wirken. Auch der Wechsel von einem Raum in den nächsten und damit quasi von Kontinent zu Kontinent lässt Fragen aufkommen: Wie kann es sein, dass all diese Gegenstände in Berlin gelandet sind? Anfang des 20. Jahrhunderts lieferten sich die europäischen "Völkerkundemuseen", die Vorgänger der heutigen ethnologischen Sammlungen, einen regelrechten Wettstreit um außereuropäische Kunst. Der Großteil der Exponate stammt aus ehemaligen europäischen Kolonien. 

Exponate vom Stamm der Omaha, wie ein Federschmuck und ein Tierfell sowie diverse Pfeifen.
Diese Gegenstände vom Stamm der Omaha findet man so nirgendwo auf der Welt mehrBild: Annabelle Steffes/DW

Und die Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt: Stammen all diese Gegenstände aus einem Unrechtskontext? Nun nicht alle, aber doch sehr viele. Bei vielen weiteren Objekten lässt sich die Provenienz - also die Art und Weise, wie die Objekte nach Berlin gelangten - nicht mehr genau nachvollziehen. Ganz selten ist der Fall, dass Sammlungen freiwillig nach Europa verkauft wurden, um vor Zerstörung bewahrt zu werden. So geschehen im Fall der Omaha in den USA.

Pierre Elmer Merrick ist ein Nachfahre des Ethnologen Francis la Flesche vom Stamm der Omaha, der im Auftrag des Ethnologischen Museums Berlin zwischen 1894 und 1897 eine Sammlung von rund 60 Objekten seiner "eigenen Kultur" zusammenstellte und verkaufte. "We talk, you listen", so der Titel der Sonderausstellung, die diese Gegenstände heute präsentiert. "Es war damals eine sehr gefährliche Zeit für Native People in Amerika", erzählt Merrick im Interview mit der DW. "Unsere Leute wurden geschlagen, Stämme wurden gewaltsam umgesiedelt von der United States Calvary."

Ein Delegation der Uni Nebraska posiert für ein Gruppenfoto.
Merrick (m). ist gemeinsam mit Forschenden von der Universität Nebraska nach Berlin gereistBild: Annabelle Steffes/DW

Was in diesen Vitrinen hier in Berlin liege, gebe es nirgendwo sonst mehr so auf der Welt. Für Merrick war es ein ganz besonderer Moment, einige dieser - zum Teil heiligen - Gegenstände in den Händen zu halten. Auf die Frage, ob er sich denn gehört fühle, wie es der Titel der Ausstellung verspricht, antwortete er: "Das Team war mehr als bereit, uns zuzuhören." Unter den Exponaten sei eine Pfeife gewesen, zu heilig, als dass sie öffentlich ausgestellt werden dürfe. Man habe sie auf sein Bitten aus der Ausstellung entfernt. Jetzt hoffe er, sie eines Tages mit nach Hause, zurück nach Amerika, nehmen zu können.

In Berlin wird mit der vollständigen Eröffnung des Humboldt Forums am 16. September ein Stück Geschichte geschrieben. Doch die Geschichten hinter den Fassaden des wiederaufgebauten Barockschlosses sind noch lange nicht zu Ende erzählt.