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Kunst

Benin-Bronzen: Rückgabe ab 2022

7. Oktober 2021

Nach Bund und Ländern stimmen nun die Kommunen der Restitution an Nigeria zu. Fraglich bleibt, ob Benin-Bronzen im Humboldt-Forum ausgestellt werden können.

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Diverse Benin Bronzen im Rautenstrauch-Joest-Museum
Auch das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln besitzt insgesamt 94 Benin-BronzenBild: Johan von Mirbach/DW

Es kommt erneut leichte Bewegung in die Diskussion rund um die Rückgabe der in deutschen Sammlungen befindlichen Benin-Bronzen: Alle staatlichen Stellen in Deutschland haben nun die "substantielle Rückgabe" der wertvollen Kulturgüter an Nigeria beschlossen, wie die Kulturministerinnen und -senatoren der Länder mitteilten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters  bekräftigte, eine abgestimmte Haltung auf deutscher Seite sei wichtig, "um zu der von uns angestrebten Verständigung mit der nigerianischen Seite zu gelangen". Die Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, will die Gespräche in Nigeria bereits in der kommenden Woche wieder aufnehmen.

Der nun bestätigte Beschluss ist eine reine Formalie. Bereits Ende April legten Staatsministerin Monika Grütters, die zuständigen Museumsleiterinnen und -leitern in Deutschland und ihre nigerianischen Partnerinnen und Partnern bei einem Spitzengespräch einen konkreten Fahrplan vor: Schon im kommenden Jahr sollen erste Kunstschätze an Nigeria, in dessen Südwesten das einstige Königreich Benin lag, zurückgegeben werden. Hermann Parzinger, der Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Deutschlands größter Kultureinrichtung, wird die Rückgabegespräche mit den zuständigen Stellen in Nigeria führen.

1897 raubten britische Kolonialtruppen 3500 bis 4000 Bronzen aus dem Königspalast in Benin City und steckten die Stadt in Brand. Rund 1100 Bronzen gelangten als Ankäufe nach Deutschland, allein 440 nach Berlin, das sich damit die zweitgrößte Sammlung weltweit sicherte. Ihr Besitz ist legal, aber nicht legitim, denn an den Stücken klebt nachweislich Blut.

Wandel in der Museumswelt

Nanette Snoep, Leiterin des Rautenstrauch-Joest Museums in Köln, vor einem Regal
Nanette Snoep, Leiterin des Rautenstrauch-Joest Museums in KölnBild: DW/S. Oelze

"Über Jahre gab es so viele Stimme gegen die Restitution, und jetzt gibt es eine wirkliche Veränderung; es findet ein wirklicher Wandel statt, auch innerhalb der Museumswelt", sagt Nanette Snoep vom Rautenstrach-Joest-Museum im Köln. "Museen und Politiker sind sich bewusst geworden, dass es wirklich notwendig ist, Museen zu dekolonisieren. Und Dekolonisierung bedeutet auch Restitution."

Snoep hat an dem Spitzentreffen mit Monika Grütters im April teilgenommen. Anfang des Jahres hat sie zudem die Ausstellung "Resist! Die Kunst des Widerstands" in Köln kuratiert. Erstmalig sollten darin die Kolonialisierten - jene, die unter Unterdrückung litten oder leiden - eine Stimme erhalten. In ihrer Karriere hat sich die gebürtige Niederländerin intensiv mit Kunst aus kolonialem Kontext beschäftigt und plädiert schon lange dafür, Rückgaben in die Wege zu leiten. "Ich war positiv überrascht, dass wir uns einstimmig für Restitution und die dafür notwendigen Schritte ausgesprochen haben", so Snoep weiter. 

Diverse Benin Bronzen im Rautenstrauch-Joest-Museum
Auch das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln besitzt insgesamt 94 Benin-BronzenBild: Johan von Mirbach/DW

Veröffentlichung der Bestandslisten

Geplant ist unter anderem auch eine digitale Aufstellung aller Benin-Bronzen, die sich im Besitz deutscher Museen befinden. Das ist ein Durchbruch: Denn damit Restitution erfolgen kann, müssen die Rückgabe-Ersuche per Verbalnote übermittelt werden - inklusive Angaben, welche Objekte zurückverlangt werden und warum. Da aber nur ein Bruchteil der Bestände jemals ausgestellt wird und wurde, war es für die fordernden Länder bislang eher ein Ratespiel. 

Benin-Bronzen in einer Ausstellung am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg
Benin-Bronze in einer Ausstellung am Museum für Kunst und Gewerbe in HamburgBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Ob und wie viele Objekte zuerst zurückgegeben werden, steht derzeit noch nicht fest, es seien aber konkrete Objekte in Verhandlung, sagte Monika Grütters im April. "Es geht tatsächlich auch um eine juristische Eigentumsübertragung" und um eine "substanzielle Rückgabe", so die Staatsministerin weiter.

Konkrete Handlungsschritte sollen unter anderem in Gesprächen mit der 2010 gegründeten Benin Dialogue Group, in der deutsche Museumsverantwortliche mit Vertretern Nigerias zusammenarbeiten, erörtert werden. "Restitution ist das Recht auf die eigene Geschichte. Und deshalb sind afrikanische Stimmen in dieser Debatte so entscheidend", sagt Nanette Snoep. Die Museumsdirektorin hält es durchaus für möglich, dass sich die nigerianischen Partner dafür aussprechen, dass einige der Exponate in deutschen Museen bleiben. Doch welche und wie sie dort präsentiert würden, darüber werde allein die nigerianischen Seite entscheiden.  

"Wir sind glücklich über diese Entwicklung", so Yusuf Tuggar, Nigerias Botschafter in Berlin. "Zum ersten Mal seit 124 Jahren wird eine Generation junger Nigerianer in der Lage sein, solche Meisterwerke physisch zu sehen und sich von ihnen inspirieren zu lassen." Deutschland sei dabei, das Richtige zu tun, so der Botschafter weiter. Die Verhandlungen stünden exemplarisch dafür, was im Bereich der Kulturdiplomatie durch die Zusammenarbeit zwischen Nigeria und Deutschland erreicht werden könne.

Afrikanische Intellektuelle haben den Kampf angestoßen

Die Kunstwerke haben einen hohen emotionalen Wert und sind zu einem Symbol für koloniale Erniedrigung geworden. Mehr noch, für manche sind sie ein Beweis für das Fortbestehen kolonialer Strukturen, daher sei es so wichtig, nicht zu vergessen, dass der Kampf für die Restitution durch afrikanische Intellektuelle bereits in den 1970er-Jahren angestoßen und jetzt gewonnen worden sei, sagt Nanette Snoep vom Rautenstrauch-Joest-Museum. "Viele Menschen sind sich der Mechanismen des Neokolonialismus und des strukturellen und institutionellen Rassismus nicht bewusst." Ähnlich wie bei der "Black-Lives-Matter"-Bewegung ginge es auch bei der Debatte um die Rückgabe von gestohlenen Kunstwerken allen voran um Identität und "ownership". 

Bronze-Leopard in einer Vitrine im Museum für Völkerkunde in Leipzig
Bronze-Leopard im Museum für Völkerkunde in LeipzigBild: Wolfgang Kluge/picture alliance

So sollen die ersten Kunstwerke zurückgegeben werden, noch bevor das für 2024 geplante neue Museum in Benin City fertig gestellt ist. Zwischenzeitlich sollen die Bronzen - zu denen neben Skulpturen und Reliefs aus Bronze auch Artefakte aus Messing und aus Elfenbein gehören - in extra errichteten Depots untergebracht werden. Schon jetzt steht fest, dass sich auch Stücke aus Berlin darunter befinden werden, die ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung des neuen Berliner Humboldt Forums sein sollten. 

Dort hat man sich schon darauf eingerichtet, womöglich ohne die Originale auszustellen: "Wir müssen schauen, ob es Sinn macht, Lücken zu lassen und Erklärtexte dazuzustellen. Oder ob wir Gipsabgüsse von den Objekten ausstellen, von denen wir welche haben", erklärt Jonathan Fine, Leiter der Ethnologischen Sammlung am Humboldt Forum. Mit Klaus Lederer, Berlins Kultursenator, meldete sich auch eine Stimme aus der lokalen Berliner Politik: "Eine Präsentation von Benin-Bronzen, etwa im Humboldt Forum, kann ich mir nur vorstellen, wenn zuvor die umfassende rechtliche Restitution der Bronzen erfolgt ist", so Lederer. "Für Leihgaben, die es ermöglichen könnten, diese Meisterwerke auch in Berlin erleben zu können, müssten wir außerordentlich dankbar sein."

Es bleibt noch viel zu verhandeln. Und es bleibt abzuwarten, wann und wie den Ankündigungen Taten folgen. Deutschlands größte Kultureinrichtung, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat sich derweil auch zu umfassende Reformen ihrer Strukturen entschlossen: "Die Autonomie der zur SPK gehörenden Museen, Bibliotheken, Archive und  Forschungseinrichtungen soll deutlich gestärkt werden", hieß es in einer Mitteilung. Die 1957 gegründete Stiftung, die häufig als nicht mehr zeitgemäß kritisiert wird, soll künftig von einem Kollegialorgan mit einem hauptamtlichen Präsidenten geleitet werden, dessen Mitglieder auf Zeit bestellt werden.

Dieser Artikel erschien erstmalig im Juni 2021 und wurde am 7. Oktober 2021 aktualisiert.