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Boris Pistorius will "kriegstüchtige" deutsche Truppe

4. April 2024

Flexibel und fit für Kriegseinsätze: Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Bundeswehr nach Russlands Angriff auf die Ukraine umbauen. Einfach wird das nicht.

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Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius steht vor zwei Soldaten in Uniform und pinnt einem von ihnen einen Orden an.
Pistorius (links) möchte die Bundeswehr umkrempeln und bereit für mögliche Kriegseinsätze machen.Bild: Lisi Niesner/REUTERS

Das Datum hatte der beliebteste Politiker Deutschlands ganz bewusst gewählt. Genau vor 75 Jahren hatte sich die NATO gegründet. Damals war das eine weltpolitische Zäsur: Der Pakt westlicher Demokratien gegen die Gefahr durch sozialistisch-kommunistische Staaten im Osten. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will nun auch eine Zäsur - für "seine" Bundeswehr. "Niemand soll auf die Idee kommen, uns als NATO-Gebiet anzugreifen", sagte er am Donnerstag (4.4.24) in Berlin. Die "Zeitenwende" bei der Bundeswehr, wie Pistorius sie nennt, hat erneut mit der Bedrohung aus dem Osten zu tun. Genauer: mit den Angriffen von Wladimir Putins russischen Truppen auf die Ukraine. Den Namen des Kremlchefs nennt Pistorius aber nicht.

Bundeswehr bald mit einem zentralen Führungskommando

Die Linie der Reform: eher weg von zermürbenden Einsätzen wie in Afghanistan, Mali, Kosovo oder am Horn von Afrika - hin zur Landesverteidigung. Der Code dafür: LV/BV. Die Kürzel stehen für Landes- und Bündnisverteidigung - die sicherheitspolitische Wende, an der Vorgängerinnen und Vorgänger von Pistorius gescheitert waren. Er wolle, so der deutsche Verteidigungsminister, die Truppe wieder "kriegstüchtig" machen.

"Es ist ein Umbau von der Armee für Auslandseinsätze zur Armee für Landes- und Bündnisverteidigung", erläutert auch Militärexperte Thomas Wiegold gegenüber der DW.

Mann mit Brille lächelt in die Kamera - es ist Militärexperte Thomas Wiegold
Wiegold schreibt als Blogger bei "Augen geradeaus!" über die Bundeswehr, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.Bild: DW

Das Motto dabei: mehr Übersichtlichkeit, weniger Bürokratie und Doppelstrukturen. So sollen die Operationen der Bundeswehr demnächst an einer Stelle koordiniert werden: dem sogenannten operativen Führungskommando. Bislang waren In- und Auslandseinsätze getrennt geleitet worden. Die Idee dahinter, so Pistorius: "Planung und operative Führung der Bundeswehr aus einer Hand."

Diesen Ansatz finden sogar die oppositionellen Konservativen der CDU lobenswert. Der Verteidigungsexperte der Union, Roderich Kiesewetter (CDU), schrieb der DW auf Anfrage: "Die Zusammenlegung von Einsatzführungskommando (für das Ausland) und Territorialem Führungskommando (für das Inland) zum Operativen Führungskommando der Bundeswehr ist absolut positiv."

Truppe fit für Cyberkrieg machen

Pistorius will die Bundeswehr auch fit machen für eine relativ neue Art der Kriegsführung - den Cyberkrieg. Neben den klassischen Sparten Heer, Luftwaffe und Marine will Pistorius eine neue Teilstreitkraft etablieren: den Cyber- und Informationsraum. "Es geht um die Analyse hybrider Bedrohung. Beispielsweise, wenn es um Desinformationskampagnen geht."

Computerbild mit Zahlenreihen und einer Fahne Russlands
Im Krieg gegen die Ukraine setzt Russland verstärkt auf Cyber-OperationenBild: Kacper Pempel/REUTERS

Ebenfalls hinzu komme ein Unterstützungskommando etwa für Sanitätsversorgung und Logistik oder Angriffe mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen. Dieses Kommando wird allen Teilstreitkräften zur Verfügung stehen.

Pistorius will viele Aufgaben zentral und effektiver steuern: "Das Ziel war, Verantwortung zu bündeln. Stabsstellen werden entfallen." Wo und wie viele? Das sagt der Verteidigungsminister noch nicht.

Ein halbes Jahr will er sich und seinen Führungsleuten geben, um die Reform umzusetzen. Ist das realistisch? "Für die Strukturveränderungen an der Spitze könnte das halbe Jahr reichen. Aber die Umsetzung in der Truppe wird erheblich länger dauern", meint Militärexperte Thomas Wiegold gegenüber der DW.

Deutschland: Erneute Debatte über Wehrpflicht

Viele Beobachter hatten erwartet, dass Verteidigungsminister Pistorius auch seine Ideen für eine mögliche Einführung einer neuen  Wehr- oder Dienstpflicht vorstellt. Der Bundeswehr fehlt der Nachwuchs. Stand Ende Februar 2024 meldet sie 181.811 Rekrutinnen und Rekruten. Der Trend: Es geht immer weiter abwärts, seitdem 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Dabei sollten es nach dem Willen des Verteidigungsministers bis 2031 mindestens 203.000 Soldaten sein.

Verteidigungsminister Pistorius lässt offenbar weiterhin Modelle einer Wehrpflicht prüfen und hat dabei die Praxis in skandinavischen Ländern in den Blick genommen. So werden in Schweden ganze Jahrgänge registriert und angeschrieben. Bei der Vorstellung der Bundeswehrreform erwähnt er lediglich, dass auch Modelle mitgedacht worden seien, sollte es zu einer "Wiedereinführung der Wehrpflicht" kommen. 

Militärexperte Wiegold glaubt, dass Pistorius das Thema Wehrpflicht und Bundeswehrreform bewusst trennen wollte: "Beim Thema Wehrpflicht braucht er politische Unterstützung, weil es eine politische Entscheidung ist. Das kann er nicht allein machen. Er muss in der Koalition und im Parlament Unterstützung haben."

CDU-Wehrexperte Kiesewetter hingegen glaubt, dass das weitere Abwarten auch daran liege, dass es "aktuell in der Regierungskoalition leider keine Einigkeit gibt". 

Fazit: "Im Prinzip gute Ideen"

Militärexperte Wiegold sieht Pistorius mit seinen Reformideen im Prinzip auf einem guten Weg: "Aber wie bei vielen guten Ideen wird es darauf ankommen, wie sie umgesetzt werden." Kritischer sieht es CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter. Dass Pistorius auf "Kriegstüchtigkeit" setze sei grundsätzlich richtig, "mit der Reform bleibt er jedoch hinter den Möglichkeiten der Umsetzung". 

Selbstbewusst gibt sich Boris Pistorius: "Es ist eine richtungsweisende Reform", sagt er mit leicht verschmitzten Lächeln.

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online