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Politik

Aktuell: G7 will Hafenblockade in Ukraine brechen

12. Mai 2022

Weil Millionen Tonnen Getreide nicht exportiert werden können, hat der Krieg in der Ukraine massive Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit weltweit. Russland kündigt eine Export-Steigerung an. Ein Überblick.

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Weißenhäuser Strand | Gipfeltreffen G7-Außenminister
Außenministerin Annalena Baerbock (3.v.r): Wir stehen der Ukraine solidarisch zur SeiteBild: Chris Emil Janßen/IMAGO

Das Wichtigste in Kürze: 

  • G7-Staaten wollen die von Russland blockierten Häfen in der Ukraine freibekommen
  • Finnland kündigt zügigen Antrag zur NATO-Aufnahme an
  • Wirtschaftsminister Habeck: Deutschland auf Gas-Sanktionen vorbereitet
  • Ukrainische Staatsanwältin kündigt Prozess wegen Kriegsverbrechen an

 

25 Millionen Tonnen Getreide seien derzeit in ukrainischen Häfen blockiert, insbesondere in Odessa, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zum Auftakt von dreitägigen Beratungen der G7-Außenminister in Weißenhaus an der Ostsee. Dieses Getreide werde dringend gebraucht, vor allem von den Ärmsten der Armen in Afrika und dem Nahen Osten. Es gelte nun für die sieben reichsten Demokratien der Welt, diese Länder nicht im Stich zu lassen.

Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei, mit seinem Angriffskrieg die Weltgemeinschaft zu spalten. "Dem stellen wir uns als G7 hier entgegen", sagte Baerbock. Man berate gemeinsam darüber, wie man die von Russland ausgeübte Getreideblockade deblockieren und ukrainisches Getreide in die Welt bringen könne, so Baerbock. Die Ukraine zählt weltweit zu den wichtigsten Getreidelieferanten. So war sie 2021 nach Zahlen der Welternährungsorganisation der UN noch drittgrößter Exporteur von Gerste und fünftgrößter Exporteur von Weizen. 

EU will Transport über Land erleichtern

Kurz vor Baerbock hatte bereits die EU-Kommission vor einer gefährlichen Situation gewarnt. Das Getreide drohe die Lagerstätten zu blockieren, die für die nächsten Ernten benötigt würden. Die Ukraine kann wegen der durch Russland blockierten Häfen im Schwarzen Meer derzeit nicht wie früher exportieren. Die EU-Kommission will deswegen nun den Transport über den Landweg - also über Straße und Schiene - erleichtern. 

Deutschland hat derzeit die G7-Präsidentschaft inne. Weitere Mitglieder sind die USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan. Deren Außenminister hat Baerbock nach Schloss Weißenhaus in Schleswig-Holstein eingeladen. Bei den Beratungen bis Samstagmittag steht vor allem der Krieg im Mittelpunkt. 

Putin erwartet Rekordernte

Russland erwartet nach den Worten von Präsident Wladimir Putin in diesem Jahr eine Rekordernte beim Weizen. Bei einer Regierungssitzung kündigte er zugleich eine Steigerung des Exports an: "Nach Einschätzung von Spezialisten - das sind natürlich nur vorläufige Schätzungen - könnte sich die Getreideernte auf 130 Millionen Tonnen belaufen, darunter 87 Millionen Tonnen Weizen." Nach Putins Angaben wäre das ein Rekord beim Weizen. Russland ist einer der größten Getreideproduzenten weltweit mit einer wichtigen Rolle für die Welternährung. 

Finnland | PK Sanna Marin und Sauli Niinistö
Ministerpräsidentin Sanna Marin und Präsident Sauli Niinistö in Helsinki (Archivbild)Bild: Markku Ulander/Lehtikuva/dpa/picture alliance

Finnland will der NATO zügig beitreten

"Finnland muss unverzüglich einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft stellen", sagten Präsident Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin in Helsinki in einer gemeinsamen Erklärung.

Mehrere Diplomaten erklärten, dass die NATO-Bündnispartner davon ausgehen, dass Finnland rasch eine Mitgliedschaft gewährt werde. Dies würde den Weg für eine verstärkte Truppenpräsenz in Skandinavien während der einjährigen Ratifizierungsphase ebnen. Auch bei dem bisher ebenfalls neutralen EU-Land Schweden wird mit einem Beitrittswunsch gerechnet.

Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte den Entschluss Finnland: "In einem Telefonat mit Präsident Niinistö habe ich Finnland die volle Unterstützung der Bundesregierung zugesichert", twittert er.

Der frühere finnische Regierungschef Alexander Stubb erklärte im Interview der Deutschen Welle, ausschlaggebend für den Schritt Finnlands sei die Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin gewesen, in die Ukraine einzumarschieren. "Ich glaube nicht, dass sich die öffentliche Meinung in Finnland ohne den Angriff auf die Ukraine so radikal geändert hätte", sagte Stubb der DW. Der frühere Ministerpräsident fügte hinzu: "... wenn man einen konventionellen Krieg in großem Stil führt, wenn man unschuldige Menschen, Frauen und Kinder tötet, dann reagieren die Menschen. Und das ist der Punkt, an dem Putin meiner Meinung nach einen taktischen und strategischen Fehler gemacht hat, für den er jetzt bezahlt."

NATO – Finnland will nicht mehr neutral sein

Moskau: "NATO bewegt sich in unsere Richtung"

Ein NATO-Beitritt Finnlands wäre nach Einschätzung der Führung in Moskau "eindeutig" eine Bedrohung für Russland. Wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, würde eine Ausweitung des Militärbündnisses und eine NATO-Annäherung an die russischen Grenzen "die Welt und unseren Kontinent nicht stabiler und sicherer machen". Russland werde die Folgen eines NATO-Beitritts Finnlands mit Blick auf seine eigene Sicherheit analysieren, sagte Peskow.

Kremlchef Wladimir Putin habe ohnehin bereits angewiesen, die Sicherheit der westlichen Flanke Russlands mit Blick auf die NATO-Aktivitäten zu stärken. "Die NATO bewegt sich in unsere Richtung", sagte Peskow. Alles hänge nun davon ab, wie sich der weitere Prozess der NATO-Erweiterung entwickele und welche militärische Infrastruktur an die Grenzen Russlands verlegt werde, sagte er.

Dmitri Medwedew, einer der engsten Vertrauten Putins, warnt den Westen wegen dessen militärischer Hilfe für die Ukraine vor einem Konflikt zwischen Russland und NATO. "Ein solcher Konflikt birgt stets das Risiko, in einen vollständigen Atomkrieg zu münden", erklärt Medwedew, der Putins Stellvertreter an der Spitze des russischen Sicherheitsrates ist, auf Telegram. "Nato-Länder, die Waffen in die Ukraine pumpen, Truppen für den Einsatz westlicher Ausrüstung ausbilden, Söldner entsenden und die Übungen von Bündnisstaaten in der Nähe unserer Grenzen erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines direkten und offenen Konflikts zwischen der NATO und Russland." 

Finnlands Außenminister: Mitgliedschaft stärkt auch NATO

Finnland hat 1300 Kilometer lange russische Grenze

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat den von der finnischen Führung geäußerten Wunsch zur Aufnahme in das Militärbündnis begrüßt. "Der Beitrittsprozess würde reibungslos und zügig verlaufen", erklärte Stoltenberg.

Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze und eine schwierige Vergangenheit mit Russland. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Land neutral, um die Beziehungen zur damaligen Sowjetunion und dann Russland nicht zu belasten. Als EU-Mitglied ist Finnland aber bereits in einige gemeinsame militärische Strukturen eingebunden.

Habeck hält Folgen russischer Gas-Sanktionen für "überschaubar"

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wertet die russischen Gas-Sanktionen als neue Stufe im Konflikt mit dem Energie-Lieferanten. Jetzt realisierten sich Ankündigungen, Öl und Gas als Waffe einzusetzen, sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Täglich würden jetzt zehn Millionen Kubikmeter Gas aus Russland nicht mehr geliefert. Diese Menge sei aber ersetzbar, wenn auch vermutlich zu höheren Preisen. Das Volumen entspreche über den Rest des Jahres etwa drei Prozent des deutschen Bedarfs.

Debatte über Energiesicherheit in Deutschland Robert Habeck
Wirtschaftsminister Robert Habeck: "Wir werden die Alarmstufe heute nicht ausrufen."Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Ziel der Sanktionen gegen die unter deutscher Kontrolle stehende Gazprom-Germania sei offenbar, den Einkauf zu verteuern. Man habe aber Vorsorge getroffen, um neue Verträge finanziell abzusichern. Derzeit geben es keinen Grund, die Gas-Frühwarnstufe auf Alarm hoch zu setzen, sagte Habeck. Allerdings könne sich die Situation hochschaukeln, etwa wenn weiter weniger Gas durch die Ukraine fließe oder es Komplikationen mit der von Russland geforderten Zahlung in Rubel gebe. Am Mittwoch hatte Russland  Geschäfte mit Gazprom Germania und anderen ehemaligen Tochtergesellschaften des russischen Staatskonzerns Gazprom im Ausland untersagt. Die Regelung betrifft insgesamt 31 Firmen. Gazprom Germania war Anfang April unter staatliche deutsche Kontrolle gestellt worden.

Ukraine-Krieg - Butscha
Iryna Wenediktowa, Generalstaatsanwältin der Ukraine, kündigt Prozesse wegen Kriegsverbrechen anBild: Ukrinform/dpa/picture alliance

Erster Prozess wegen Kriegsverbrechen angekündigt

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat den ersten Prozess wegen Kriegsverbrechen gegen einen russischen Soldaten angekündigt. Laut einer Mitteilung des Büros der Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa wird ein 21-jähriger Russe beschuldigt, aus dem Fenster eines gestohlenen Autos heraus einen Zivilisten getötet zu haben, der Zeuge des Diebstahls war.

Nach einem Angriff auf seinen Konvoi in der Nordukraine am 28. Februar wollte der Soldat den Angaben zufolge mit vier Kameraden in dem gestohlenen Auto fliehen. Der 62-jährige Zivilist war demnach mit seinem Fahrrad unweit seines Hauses im Dorf Tschupachiwka unterwegs. Er war nicht bewaffnet.

Menschenrechtsrat verlangt Zugang zu Verschleppten in Russland

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen geht Vorwürfen von Verstößen russischer Soldaten in der Ukraine nach. China und Eritrea stimmten gegen die Resolution zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses, zwölf der 47 Länder im Rat enthielten sich. Russlands Mitgliedschaft wurde jüngst ausgesetzt.

Zudem verurteilte der Menschenrechtsrat die von Experten dokumentierten Gräueltaten in russisch besetzten Gebieten. In der Resolution wies das Gremium in Genf unter anderem auf Fälle von Folter, Erschießungen und sexueller Gewalt hin, die ein UN-Team vor Ort dokumentiert hat. Der Rat forderte Russland auf, humanitären Helfern umgehend Zugang zu den Menschen zu erlauben, die nach Berichten aus der Ukraine nach Russland verschleppt worden sind.

Ukraine: Rückkehr nach Butscha

Siemens zieht sich aus Russland zurück 

"Wir verurteilen den Krieg in der Ukraine und haben beschlossen, unsere industriellen Geschäftsaktivitäten in Russland in einem geordneten Prozess zu beenden", sagte Siemens-Chef Roland Busch. Damit zieht sich der Konzern nach rund 170 Jahren aus Russland zurück. Das Unternehmen habe Verfahren eingeleitet, um seinen Industriebetrieb und alle industriellen Geschäftsaktivitäten einzustellen. Nach der russischen Invasion in der Ukraine sei bereits das Neugeschäft eingestellt worden. Siemens erwirtschaftete zuletzt rund ein Prozent seines Gesamtumsatzes in Russland.

Krieg in der Ukraine
Der Ort Bachmut in der Oblast Donezk ist weiterhin Ziel russische AttackenBild: Evgeniy Maloletka/dpa/AP/picture alliance

Verstärkte Gefechte in der Ostukraine

Die russischen Streitkräfte haben nach ukrainischen Angaben ihre Angriffe im Osten des Landes verstärkt und in der Region Donbass örtliche Geländegewinne erzielt. "Der Feind führt seine Angriffsbemühungen in der Operationszone Ost weiter fort mit dem Ziel, die volle Kontrolle über die Gebiete Donezk, Luhansk und Cherson herzustellen und den Landkorridor zur zeitweise besetzten Krim aufrecht zu erhalten", teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit. Die russischen Attacken im Donbass zielen demnach auf die Städte Sjewjerodonezk, Liman, Bachmut, Awdijiwka und Kurachowe sowie das großteils schon von russischen Kräften besetzte Rubischne.

Am Frontabschnitt vor Slowjansk, einem der wichtigsten Ziele der russischen Offensivbemühungen im Donbass, verstärke Moskau derweil seine Kräfte. Demnach sollen zur Vorbereitung neuer Angriffe rund 300 neue Militärfahrzeuge in dem Raum verlegt worden sein. Wenig Veränderungen gab es laut dem ukrainischen Lagebericht hingegen in Mariupol. Dort würden die im Stahlwerk verschanzten Verteidiger weiterhin von der Luftwaffe bombardiert. 

Rauch über dem Stahlwerk von Azovstal in Mariupol
Rauch über dem Stahlwerk von Azovstal in Mariupol Bild: Alexander Ermochenko/REUTERS

Kiew schlägt Tauschgeschäft für Mariupol vor

Die ukrainische Führung schlägt dem russischen Militär ein Tauschgeschäft für die im Stahlwerk Azovstal in Mariupol verschanzten letzten Verteidiger der Hafenstadt vor. Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk sagte: "Wir wollen unsere schwerverwundeten Jungs in einem humanitären Korridor aus Azovstal abtransportieren." Im Gegenzug lasse das ukrainische Militär russische Kriegsgefangene "nach Standardregeln für deren Austausch" frei. Es gehe zunächst um 38 Soldaten, die gegen gefangene Russen ausgetauscht werden könnten. Die Verhandlungen dazu dauerten noch an. 

Nach Angaben eines Sanitäters herrscht in dem Stahlwerk inzwischen ein absoluter Mangel an Medikamenten. Der weiträumige Industriekomplex ist die letzte Bastion der ukrainischen Truppen in der schwer zerstörten Hafenstadt Mariupol. Das russische Militär fordert von den Verteidigern die Kapitulation, die ukrainischen Truppen lehnen das kategorisch ab.

Ukraine: Auslandskämpfer gegen Putin

Tschechen kämpfen in der Ukraine 

Der tschechische Präsident Milos Zeman hat es mehr als 100 Bürgern seines Landes erlaubt, für die Ukraine in den Krieg zu ziehen. Er billigte entsprechende individuelle Anträge, wie ein Sprecher des Staatsoberhaupts in Prag mitteilte. Nach dem Wehrgesetz ist es tschechischen Bürgern normalerweise verboten, für fremde Armeen Kriegsdienst leisten.

Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte ausländische Freiwillige dazu aufgerufen, sich am Widerstand gegen die Ende Februar begonnene russische Invasion zu beteiligen. Tschechien ist seit 1999 Mitglied der NATO. Dessen Generalsekretär Jens Stoltenberg hat eine direkte Beteiligung der Allianz am Ukraine-Krieg wiederholt ausgeschlossen.

uh/pg/fab/se/bru (dpa, afp, rtr, ap)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.