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Politik

Aktuell: Russland kennt schon den Ausgang der "Referenden"

27. September 2022

Die russischen Besatzer haben die Scheinreferenden in mehreren ukrainischen Gebieten für beendet erklärt. Schon werden erste Ergebnisse der völkerrechtswidrigen Abstimmungen verbreitet. Ein Überblick.

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Ukrainekrieg | Luhansk Scheinreferendum, geplante Annexion
Bild: AP Photo/picture alliance

Ende der Schein-Referenden in der Ukraine

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Klarer Ausgang der Pseudoreferenden zu erwarten
  • Facebook-Konzern stoppt russische Falschinformations-Kampagne
  • Habeck bereitet AKW-Einsatz bis April 2023 vor
  • Bedenken gegen weitere EU-Sanktionen gegen Russland
  • Sabotage nach Gaslecks an Nord-Stream-Pipelines vermutet

 

Bei den sogenannten Referenden in vier russisch kontrollierten Regionen in der Ukraine zeichnet sich nach Angaben der russischen Wahlkommission eine deutliche Zustimmung für eine Annexion durch Moskau ab. Zur Stimmabgabe aufgerufen waren seit vergangenem Freitag auch ukrainische Flüchtlinge in Russland.

Nach Auszählung erster Stimmzettel in Wahllokalen in Russland hätten jeweils mehr als 97 Prozent der aus den Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja stammenden Wähler für einen Beitritt ihrer Heimatregionen zu Russland gestimmt. Die Auszählung in den ukrainischen Regionen habe begonnen.

Unsere Infografik zeigt die Gebiete, in denen die russischen Besatzer über einen Anschluss an Russland "abstimmen" lassen

Damit dürfte noch in dieser Woche eine beispiellose Annexionswelle beginnen. Die Scheinreferenden werden weltweit nicht anerkannt, weil sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze und ohne demokratische Mindeststandards abgehalten werden. Beobachter hatten in den vergangenen Tagen auf zahlreiche Fälle hingewiesen, in denen die ukrainischen Bewohner der besetzten Gebiete zum Urnengang gezwungen wurden.

In einem nächsten Schritt wird erwartet, dass die von Moskau eingesetzten Besatzungsverwaltungen offiziell bei Kremlchef Wladimir Putin die Aufnahme in russisches Staatsgebiet beantragen. Der Kreml hatte mitgeteilt, dass dies schnell geschehen könnte. Putin hatte vor Beginn der Scheinreferenden betont, dass die Gebiete danach komplett unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg twittert nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: "Die von Russland abgehaltenen Scheinreferenden haben keine Legitimität und sind ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht. Diese Gebiete gehören zur Ukraine." Stoltenberg habe erneut deutlich gemacht, dass die Nato-Alliierten die Souveränität der Ukraine und ihr Recht auf Selbstverteidigung uneingeschränkt unterstützten.

Facebook-Konzern stoppt russische Falschinformations-Kampagne

Der Facebook-Konzern Meta hat die bisher größte russische Kampagne mit Falschinformationen im Angriffskrieg gegen die Ukraine gestoppt. Über ein Netzwerk aus hunderten Accounts wurden gefälschte Artikel verbreitet, die aussahen, als würden sie vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", der "Bild-Zeitung" oder der britischen Zeitung "The Guardian" stammen.

Darin sei auch vor ukrainischen Flüchtlingen gewarnt worden, erklärte Meta. Auch sei darin behauptet worden, die Sanktionen gegen Russland würden nur dem Westen selbst schaden. Neben Deutschland nahm das Netzwerk auch Nutzer in Frankreich, Italien, Großbritannien und der Ukraine ins Visier. Anhand ausgewerteter Informationen hält es Meta für erwiesen, dass die Kampagne von Russland aus betrieben wurde.

Habeck bereitet AKW-Einsatz bis April 2023 vor

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erwartet einen Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken in Deutschland über das Jahresende hinaus. "Stand heute halte ich das für notwendig", sagte der Grünen-Politiker in Berlin. Er verwies auf die Lage in Frankreich, wo viele AKW wegen Wartungsarbeiten nicht laufen können. Dort habe sich die Situation mit Blick auf den Winter weiter verschlechtert.

"Heute muss ich sagen, dass die Daten aus Frankreich dafür sprechen, dass wir die Reserve dann auch abrufen." Dann müssten die AKW Neckarwestheim 2 und Isar 2 über das geplante Aus zum Jahresende hinaus laufen. Die endgültige Entscheidung müsse spätestens im Dezember für Isar 2 aus technischen Gründen fallen, für Neckarwestheim sei dies auch Anfang des Jahres möglich. Längstens sollen die AKW bis Mitte April 2023 laufen.

EU ist uneins bei weiteren Sanktionen gegen Russland

Die Verhandlungen über die geplante weitere Verschärfung von EU-Sanktionen gegen Russland gestalten sich schwierig: Bei ersten Gesprächen zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten lehnten Ungarn und Zypern einen Preisdeckel für russisches Öl ab, wie aus Brüssel verlautete.

Angesichts der kürzlich von Putin verkündeten Teilmobilmachung der russischen Armee hatten die Außenminister der EU und der sieben führenden demokratischen Wirtschaftsnationen (G7) vergangene Woche weitere Sanktionen gegen Moskau angekündigt. Der Ölpreisdeckel soll das Kernstück werden. Eine Preisobergrenze könnte allerdings dazu führen, dass Russland seine Lieferungen einstellt.

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban macht die EU-Strafmaßnahmen im Energiebereich für den massiven Anstieg der Verbraucherpreise verantwortlich. Zypern will zudem seine Reedereien schützen, die russisches Öl auch in Drittländer liefern.

Erdöl-Förderturm vor untergehender Sonne
Erdölförderung in Russland (Archiv)Bild: Yegor Aleyev/TASS/dpa/picture alliance

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto kritisierte zudem am Rande der Jahreskonferenz der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien alle Versuche, "Hürden für Investitionen in den Nuklearbereich zu errichten". Ungarn will in Kürze mit dem Bau von zwei Atomreaktoren beginnen - in Kooperation mit dem russischen Rosatom-Konzern. Unter anderem Deutschland wirbt in Brüssel für ein Ende der nuklearen Zusammenarbeit mit Russland. Alle Sanktionen erfordern einen einstimmigen Beschluss der EU-Länder.

Noch keine EU-Lösung für Deserteure

Die Staaten der Europäischen Union suchen weiter nach einem gemeinsamen Kurs im Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern, die ihre Heimat verlassen wollen. Ein erstes Krisentreffen der 27 EU-Botschafter brachte keine Lösung. Man habe die Europäische Kommission dazu aufgefordert, die jüngsten Leitlinien zur Visavergabe "unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedenken der Mitgliedstaaten zu überprüfen, zu bewerten und gegebenenfalls zu aktualisieren", teilte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft anschließend lediglich mit.

Nachdem Russland vergangene Woche eine Teilmobilisierung angekündigt hatte, stellt das Thema die EU vor eine Herausforderung. Deutschland und andere Staaten dringen auf eine einheitliche Linie. Die Positionen liegen jedoch weit auseinander. Bundesinnenministern Nancy Faeser stellte russischen Deserteuren Asyl in Aussicht. Die baltischen Staaten und Polen lehnen die Aufnahme dieser Menschen strikt ab. So twitterte kürzlich etwa Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis, sein Land werde jenen, "die nur vor der Verantwortung davonlaufen", kein Asyl gewähren. "Die Russen sollten bleiben und kämpfen. Gegen Putin."

Lesen Sie dazu auch: Asyl in Deutschland für Deserteure aus Russland?

Selenskyj analysiert Teilmobilmachung

Mit der Teilmobilisierung seiner Streitkräfte will Russland nach Ansicht des ukrainischen Präsidenten lediglich den Moment der eigenen Niederlage hinauszögern. "Sie haben gefühlt, dass sie verlieren werden. Und sie versuchen einfach, diesen Moment hinauszuzögern, um zumindest etwas Aktivität an der Front zu haben", sagte Selenskyj in einer weiteren Videoansprache. "Leider ist sich die russische Bevölkerung noch nicht der gesamten Brutalität der russischen Regierung gegenüber ihrem eigenen Volk bewusst." Das müsse den Russen klar gemacht werden.

Junge Männer aufgereiht vor einem Soldat
Junge Russen vor einem Rekrutierungszentrum in KrasnodarBild: AP/dpa/picture alliance

Als "besonders ernst" bezeichnete Selenskyj die aktuelle militärische Lage in der ostukrainischen Region Donezk. "Wir tun alles, um die feindlichen Aktivitäten einzudämmen. Das ist unser Ziel Nummer 1, denn der Donbass ist immer noch das Ziel Nummer 1 für die Besatzer."

"Ich will nicht an die Front!"

Aus Verzweiflung über seine drohende Einberufung zum Krieg gegen die Ukraine hat sich ein Mann in Russland laut Medienberichten selbst angezündet. Die "Nowaja Gaseta" veröffentlichte das Video einer Überwachungskamera, auf dem zu sehen ist, wie sich eine Person mit einer Flüssigkeit übergießt und kurz darauf am ganzen Körper brennt. Augenzeugen zufolge rief der brennende Mann am Busbahnhof in der Stadt Rjasan: "Ich will nicht an die Front!". Polizisten sollen das Feuer gelöscht haben, der Mann soll verletzt in ein Krankenhaus gekommen sein.

Guterres beklagt nukleares Säbelrasseln

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, hat angesichts neuer Atomwaffendrohungen Russlands ein Ende der "Ära der nuklearen Erpressung" gefordert. Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer hörten die Menschen wieder das Rasseln der nuklearen Säbel, beklagte Guterres bei der UN-Vollversammlung in New York. Guterres sprach anlässlich des UN-Tages zur Abschaffung von Atomwaffen. Diese seien die "zerstörerischste Macht", die je geschaffen wurde.

Antonio Guterres auf einem Videoscreen, darunter die Vollversammlung
UN-Generalsekretär Antonio Guterres im UN-HauptquartierBild: Wang Ying/XinHua/dpa/picture alliance

Jeder Einsatz von Atomwaffen würde ein "humanitäres Armageddon" heraufbeschwören, warnte Guterres. "Sie bieten keine Sicherheit, nur Gemetzel und Chaos." Die Vorstellung, dass irgendein Land einen Atomkrieg führen und gewinnen könnte, sei abwegig. Die Abschaffung von Atomwaffen wäre das größte Geschenk, das die Welt künftigen Generationen machen könnte, betonte der UN-Generalsekretär.

De US-Regierung warnte Russland erneut mit deutlichen Worten vor dem Einsatz nuklearer Waffen. Die Konsequenzen wären "außerordentlich" und "real", sagte der Sprecher des Washingtoner Außenministeriums, Ned Price. "Wir haben den Russen nicht den Hauch eines Zweifels gelassen." Wie genau die Konsequenzen aussehen würden, wollte Price im CNN-Interview nicht sagen.

USA finanzieren ukrainische Strafverfolgung

Die US-Regierung stellt zur Unterstützung der ukrainischen Strafverfolgungs- und Strafjustizbehörden eine Millionensumme bereit. US-Außenminister Antony Blinken sagte der ukrainischen Regierung hierfür zusätzlich 457,5 Millionen US-Dollar zu. Ein Teil der neuen Mittel sei auch vorgesehen zur Unterstützung Kiews "bei der Dokumentation, Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung der von den russischen Streitkräften begangenen Gräueltaten". In den vergangenen Monaten hatten die USA die Ukraine vor allem im großen Stil mit militärischer Ausrüstung versorgt.

Gaslecks an Nord-Stream-Pipelines

Aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2 von Russland nach Deutschland tritt derzeit an drei Stellen in der Nähe der Insel Bornholm unkontrolliert Gas aus. Die dänische Marine veröffentlichte Aufnahmen, auf denen eine großflächige Blasenbildung an der Meeresoberfläche zu sehen ist. An einer Stelle seien die Blasen auf einer kreisförmigen Fläche von einem guten Kilometer Durchmesser zu beobachten, erklärte das Militär.

Deutschland | Nord Stream 1 in Lubmin
Die deutsche Empfangsstation von Nord Stream 1 in der Nähe von LubminBild: Sean Gallup/Getty Images

"Ein Zufall ist kaum vorstellbar", sagte Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen. "Es ist eine ungewöhnlich Situation, dass drei Lecks nicht weit voneinander entfernt auftreten." Eine mutwillige Zerstörung werde daher nicht ausgeschlossen. Der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak schrieb auf Twitter: "Das großflächige 'Gasleck' an Nord Stream 1 ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terroranschlag und ein Akt der Aggression gegenüber der EU." Belege hierfür nannte Podoljak nicht.

Über beide Erdgasleitungen fließt nach den Sanktionen des Westens gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs derzeit kein Gas. Die Bundesnetzagentur sieht daher keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit.

Moldau möchte Gazprom besänftigen

Die Republik Moldau will dem russischen Energiekonzern Gazprom einen Vorschuss zahlen. So sollen alle Befürchtungen, der Gasriese könnte die Lieferungen ab dem 1. Oktober reduzieren oder gar stoppen, zerstreut werden, wie Vize-Ministerpräsident Andrei Spinu mitteilte. Moldau, eines der ärmsten Länder Europas, ist stark von russischem Gas abhängig und leidet massiv unter dem Preisanstieg seit Beginn des Ukraine-Kriegs. 

rb/jj/wa/fab (afp, ap, dpa, epd, kna, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.