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Konflikte

Aktuell: "Glaube nicht, dass Putin blufft"

26. September 2022

Der ukrainische Staatschef Selenskyj hält einen Einsatz von Atomwaffen durch Russland durchaus für möglich. Ein japanischer Konsul wird wegen Spionageverdachts festgenommen. Aktuelle Nachrichten im Überblick.

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Ukraine | Präsident Wolodymyr Selenskyj
Wolodymyr SelenskyjBild: Ukrainian Presidential Press Off/Planet Pix/ZUMA/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj nimmt Drohungen aus dem Kreml ernst
  • Besetzte Gebiete befürchten russische Rekrutierung
  • Russland gesteht Fehler bei Einberufung von Reservisten ein 
  • Japanischer Konsul wegen Spionageverdacht festgenommen
  • Leck in Pipeline Nord Stream 2 entdeckt

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat deutlich gemacht, dass er die Atomdrohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin ernst nimmt. "Vielleicht war es gestern ein Bluff. Jetzt könnte es Realität sein", sagte Selenskyj dem US-Sender CBS News. Selenskyj verwies auf die Gefechte um das von Russland besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja und sagte: "Er (Putin) will die ganze Welt erschrecken. Dies sind die ersten Schritte seiner nuklearen Erpressung. Ich glaube nicht, dass er blufft."

Putin hatte am Mittwoch die Mobilisierung von 300.000 Reservisten für den Angriffskrieg gegen die Ukraine angekündigt - er sagte dabei auch: "Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Das ist kein Bluff." Beobachter sahen darin eine Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen.

Russland Wladimir Putin hält Rede an die Nation
Wladimir PutinBild: AdrienFillon/ZUMA Wire/IMAGO

Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, erklärte, die Regierung in Washington habe dem Kreml "direkt, privat, auf sehr hoher Ebene" mitgeteilt, dass jeder Einsatz von Atomwaffen "katastrophale Konsequenzen" für Russland haben würde. Einzelheiten nannte er nicht.

Besetzte Gebiete befürchten russische Rekrutierung

Der Bürgermeister der von Russland besetzten Stadt Melitopol im Südosten der Ukraine, Iwan Fedorow, befürchtet, dass auch Ukrainer in diesen Regionen für den russischen Kriegsdienst rekrutiert werden. "Sie werden die Männer dazu zwingen, in ihren Streitkräften zu kämpfen", sagte Fedorow den Zeitungen der Funke Mediengruppe. 

Ukraine Melitopol Russischer Soldat Z Symbol
Ein russischer Soldat mit dem Z-Symbol am Helm steht an einem Kontrollpunkt in Melitopol Bild: Sputnik/imago images

Männer zwischen 18 und 63 dürften seine Stadt Melitopol nicht verlassen, sagte Fedorow. Dies sei ein großes Problem. Russland erlaube keine Fahrten zwischen den Städten und den Dörfern. "Sie werden unsere Männer einziehen und als Kanonenfutter missbrauchen. Sie werden alle Männer mobilisieren, egal welchen Alters", sagte der Bürgermeister. Er hob hervor, dass ein vergleichbares Vorgehen der russischen Besatzungstruppen bereits in den Regionen Donezk und Luhansk zu beobachten sei.

Selenskyj: Teilmobilmachung bedroht ethnische Minderheiten

Die von Kremlchef Wladimir Putin in Russland angeordnete Teilmobilmachung trifft laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ethnische Minderheiten besonders hart. "Wir sehen, dass Menschen, besonders in Dagestan, angefangen haben, um ihr Leben zu kämpfen", sagte Selenskyj in einer neuen Videoansprache. Er bezog sich dabei auf heftige Proteste, die Stunden zuvor in der muslimisch geprägten russischen Teilrepublik Dagestan im Kaukasus ausgebrochen waren. In einem Dorf, aus dem 110 Männer für den Krieg gegen die Ukraine eingezogen werden sollten, gingen Polizisten dabei am Sonntag sogar mit Warnschüssen gegen Demonstranten vor.

"Ich betone einmal mehr: Es gibt keinen Ausweg", sagte Selenskyj. "Flieht. Oder begebt euch bei der ersten Gelegenheit in ukrainische Gefangenschaft."

Reservist schießt in russischer Einberufungsstelle

In der ostsibirischen Stadt Ust-Ilimsk im Gebiet Irkutsk hat ein russischer Reservist auf den Leiter einer Einberufungsstelle geschossen und den Mann schwer verletzt. Das teilte der Gouverneur der Region, Igor Kobsew, auf Telegram mit. Der 25 Jahre alte Reservist, der zum Kriegsdienst in der Ukraine eingezogen werden sollte, wurde demnach festgenommen. Der Zustand des Militärkommissars sei kritisch, sagte Kobsew. Die Ärzte kämpften um sein Leben.

Widerstand gegen Teilmobilmachung in Russland

Seit der von Kremlchef Putin angeordneten Teilmobilmachung kommt es landesweit zu zahlreichen Protesten, Festnahmen und Zwischenfällen. Vereinzelt melden die Behörden auch Brandanschläge auf die Kreiswehrersatzämter, in denen Reservisten einberufen werden.

Kreml räumt Verstöße bei Teilmobilmachung ein

Die Führung in Moskau hat inzwischen eingestehen müssen, dass es bei der Rekrutierung von Reservisten zu Gewalt, Zwangsanwendungen und Fehlern gekommen ist. Die Verantwortung für die Organisation der Einberufung liegt bei den regionalen Gouverneuren und den Kreiswehrersatzämtern vor Ort. Diese versichern zwar, dass sich unter den 300.000 Reservisten nur Menschen mit militärischer Erfahrung oder speziellen Kenntnissen befinden. In vielen Fällen sollen aber auch ältere Menschen, Kranke, Studenten sowie Männer ohne Erfahrung eingezogen worden sein. Nach Angaben von Kremlsprecher Dmitri Peskow wird in einigen Regionen nun damit begonnen, die begangenen "Fehler" zu korrigieren. 

Die Teilmobilmachung hat nicht nur Proteste im ganzen Land, sondern auch einen Ansturm russischer Männer auf die Grenzen zu Nachbarländern ausgelöst. Von Journalisten darauf angesprochen, sagte Peskow, dass entgegen anderslautender Gerüchte keine Entscheidung getroffen worden sei, Russlands Außengrenzen abzuriegeln und in einigen Grenzregionen das Kriegsrecht einzuführen.

Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer umstritten

Unterdessen hat sich das Ukraine-Nachbarland Slowakei gegen eine generelle Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer ausgesprochen. "Die Slowakei beurteilt jeden Einzelfall individuell", erklärte Außenamtssprecher Juraj Tomaga. Sein Land vergebe zwar grundsätzlich Visa aus humanitären Gründen, es gebe aber keine eindeutige Regel, nach der auch Kriegsdienstverweigerung als Grund dafür ausreiche. Der EU- und NATO-Staat Slowakei nimmt mit dieser Visa-Regelung eine ähnliche Position ein wie die baltischen Staaten, Tschechien und Polen.

In Tschechien ging Präsident Milos Zeman jedoch auf Distanz zur Position der eigenen Regierung. "Ein Mensch, der aus Russland flieht, ist kein Sicherheitsrisiko für uns", sagte er in einem TV-Interview. Russen, die nicht im Ukraine-Krieg kämpfen wollten, sollten genauso aufgenommen werden wie Flüchtlinge aus der Ukraine, forderte Zeman. Zuvor hatte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky erklärt: "Diejenigen, die aus ihrem Land flüchten, weil sie den Pflichten gegenüber ihrem eigenen Staat nicht nachkommen wollen, erfüllen damit nicht die Bedingungen für die Erteilung eines humanitären Visums."

Auch ein erstes Krisentreffen der 27 EU-Botschafter, bei dem eine gemeinsame Linie gefunden werden sollte, brachte keine Lösung. Man habe die EU-Kommission nun dazu aufgefordert, die jüngsten Leitlinien zur Visavergabe "unter Berücksichtigung der Sicherheitsbedenken der Mitgliedsstaaten zu überprüfen, zu bewerten und gegebenenfalls zu aktualisieren", teilte die derzeitige tschechische EU-Ratspräsidentschaft am Montagabend lapidar mit. 

Ukraine bestätigt Erhalt von Flugabwehr NASAMS

Die Ukraine hat nach Darstellung von Präsident Wolodymyr Selenskyj von den USA fortschrittliche Flugabwehrsysteme erhalten. Damit bestätigte der Staatschef erstmals, dass das "National Advanced Surface-to-Air Missile System" (NASAMS) die Ukraine erreicht hat. Die Regierung in Washington hatte dessen Lieferung im vergangenen Monat genehmigt.

Raketenabwehrsystem NASAMS
Raketenabwehrsystem NASAMS (Archivfoto)Bild: Michal Walczak/PAP/dpa/picture alliance

Gleichzeitig wurde bekannt, dass die Ukraine aus den den USA weitere 457,5 Millionen Dollar erhalten wird. Das Geld soll nach Angaben von US-Außenminister Antony Blinken zivilen ukrainischen Sicherheitskräften und Einrichtungen der Justiz zugutekommen. 

Prigoschin bekennt sich zur Gründung der Söldnertruppe Wagner

Der für seine engen Verbindungen zu Präsident Wladimir Putin bekannte russische Unternehmer Jewgeni Prigoschin hat zugegeben, die Söldnertruppe Wagner gegründet zu haben. Er habe die Gruppe im Mai 2014 gegründet, um Kämpfer in den ukrainischen Donbass zu schicken, erklärte Prigoschin in einer Mitteilung seines Unternehmens. Ab diesem Zeitpunkt sei "eine Gruppe von Patrioten" geboren, die "später den Namen bataillonstaktische Gruppe Wagner" erhalten habe. Prigoschin bestätigte zugleich Einsätze der Einheit in Ländern in Europa, Nahost und Afrika.

Russland | Yevgeny Prigozhin
Jewgeni Prigoschin bei einem Besuch in St. Petersburg (Archivbild)Bild: Mikhail Metzel/TASS/IMAGO

Prigoschin hatte zuvor mehrfach Verbindungen zur Wagner-Gruppe bestritten. Mehrere westliche Staaten und russische Medien hatten ihm vorgeworfen, die Wagner-Gruppe zu finanzieren. Wagner-Kämpfer waren unter anderem in Syrien, Libyen, der Ukraine und Zentralafrika beobachtet worden. Die paramilitärische Gruppe steht seit Jahren im Verdacht, an mehreren Konfliktschauplätzen im Verborgenen für den Kreml zu arbeiten. Moskau hat dies stets bestritten und jegliche Verbindung mit paramilitärischen Gruppen verneint.

Brite berichtet über Folter in Kriegsgefangenschaft

Ein durch einen Gefangenenaustausch im Ukraine-Krieg freigekommener Brite hat in einem Interview von Folter in russischer Gefangenschaft berichtet. Er sei während Verhören wiederholt geschlagen und gezwungen worden, die russische Nationalhymne zu singen, sagte Aiden Aslin der britischen Zeitung "The Sun". Auch sei er in einer Einzelzelle mit Läusen, Kakerlaken und ohne Tageslicht eingesperrt gewesen und "schlimmer als ein Hund behandelt" worden. Aslin ist einer von fünf Briten, die am Mittwoch aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Riad in Saudi-Arabien ausgeflogen wurden.

Ukraine, Donezk | Aiden Aslin in russischer Kriegsgefangenschaft
Aiden Aslin in russischer Kriegsgefangenschaft (im Juni)Bild: picture alliance/dpa/TASS

Der 28-Jährige aus dem zentralenglischen Nottinghamshire lebte zu Beginn des Krieges in der Ukraine und diente im dortigen Militär. Er wurde bei Kämpfen um Kiew gefangen genommen und im Juni von prorussischen Separatisten in Donezk als Söldner zum Tode verurteilt.

London kündigt neues Sanktionspaket an 

Die britische Regierung hat unterdessen auf die jüngsten Scheinreferenden in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten reagiert und ein neues Sanktionspaket auf den Weg gebracht. Es soll unter anderem hochrangige russische Beamte treffen, die an der Organisation der Abstimmungen beteiligt waren, erklärte Außenminister James Cleverly. "Scheinreferenden, die mit vorgehaltener Waffe abgehalten werden, können weder frei noch fair sein."

Zudem habe man Sanktionen gegen 55 Vorstandsmitglieder und Direktoren von Organisationen verhängt, die der britischen Regierung zufolge den Krieg in der Ukraine finanzieren. Darunter seien die Gazprombank, die Sberbank und die Sovcombank. 

Japanischer Konsul in Wladiwostok festgenommen 

Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat eigenen Angaben zufolge einen japanischen Konsul unter Spionageverdacht festgenommen. Der Angehörige des Konsulats im ostrussischen Wladiwostok sei "auf frischer Tat" ertappt worden, wie er gegen Bezahlung geheime Informationen unter anderem über die Auswirkungen westlicher Sanktionen erhalten habe, teilte der FSB mit.

Der Diplomat sei daraufhin zur "unerwünschten Person" erklärt worden und müsse Russland nun binnen 24 Stunden verlassen. Zudem wurde ein Video veröffentlicht, das ein Verhör zeigen soll, in dem der Konsul die Verstöße gegen russisches Recht zugibt. Russland betrachtet Japan als "feindliches" Land. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs überziehen sich beide Länder gegenseitig mit Sanktionen. Außerdem wurden immer wieder Diplomaten ausgewiesen.

Tausende Juden pilgern trotz Krieg in die Ukraine

Zahlreiche orthodoxe Juden haben sich ungeachtet des russischen Angriffskriegs für eine jährliche Pilgerfahrt in der ukrainischen Stadt Uman versammelt. Die Polizei wollte aus Sicherheitsgründen keine genauen Pilgerzahlen veröffentlichen. Die "United Jewish Community of Ukraine" erklärte jedoch, dass 23.000 Pilger gekommen seien. Die Gläubigen wollten in Uman das Neujahrsfest Rosch Haschana feiern.

Ukraine | Orthodoxe Juden pilgern nach Uman
Orthodoxe Juden im ukrainischen UmanBild: Vladyslav Musiienko/REUTERS

Jedes Jahr kommen chassidische Juden aus der ganzen Welt am jüdischen Neujahrsfest in die Stadt, um das Grab von Rabbi Nachman zu besuchen, dem Gründer der ultraorthodoxen Strömung. Die zentralukrainische Stadt ist zwar relativ weit von der Front entfernt. Doch sowohl ukrainische als auch israelische Behörden hatten die Gläubigen gedrängt, die Feierlichkeiten vom 25. bis 27. September in diesem Jahr ausfallen zu lassen.

Gasleck in Ostseepipeline Nord Stream 2 entdeckt

Aus der bereits fertiggestellten, aber wegen des Ukraine-Kriegs nicht in Betrieb genommenen deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 tritt unkontrolliert Gas aus. Wie die Betreiberfirma Nord Stream 2 AG berichtet, ist in der Nacht zum Montag ein "rapider Druckabfall" in der Leitung festgestellt worden. Die dänischen Behörden sprachen von einem "gefährlichen" Gasleck und sperrten ein Gebiet südlich der Insel Bornholm für die Schifffahrt ab.

Die Leitung verläuft von Russland durch die Ostsee nach Deutschland und war trotz erheblicher Kritik insbesondere aus östlichen EU-Staaten und den USA parallel zur Leitung Nord Stream 1 durch die Ostsee verlegt worden, um den Gasfluss von Russland nach Deutschland erheblich zu erhöhen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine entschied die Bundesregierung, die Pipeline nicht in Betrieb zu nehmen. Der Betreiberfirma zufolge war die Leitung zur Vorbereitung auf die Inbetriebnahme dennoch bereits mit Gas gefüllt worden. 

wa/ack/nob/kle/djo/se (dpa, afp, rtr, ap)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.