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Katzenjammer ein Jahr vor den Spielen

Julian Ryall
23. Juli 2020

Die meisten Japaner hatten sich auf das sportliche Großereignis in Tokio gefreut. Inzwischen hat die Sorge vor neuen Corona-Infektionen zugenommen. Und wieder wird über die Kosten der Olympischen Spiele diskutiert.

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Olympische Spiele Tokio 2020
Noch 365 Tage: die Uhr vor dem Bahnhof in TokioBild: picture-alliance/Kyodo/MAXPPP

Freitag, der 24. Juli 2020, ist ein Feiertag in Japan: Es wäre der Tag gewesen, an dem die Olympischen Sommerspiele in Tokio beginnen sollten. Vor dem Bahnhof der Hauptstadt steht eine elektronische Uhr, die die verbleibende Zeit bis dahin anzeigt. Nun ist dort zu lesen: Noch 365 Tage. Denn inzwischen kam alles anders.  

Das Gefühl abhanden gekommen 

Tokio, 24. März: Unter dem Druck der Öffentlichkeit und angesichts der verheerenden Coronavirus-Pandemie gab das Organisationskomitee bekannt, dass die Spiele auf 2021 verschoben werden. Mindestens. In den Wochen und Monaten seither sind die Infektions- und Todeszahlen weiter gestiegen, und es ist höchst ungewiss, wann ein Impfstoff verfügbar ist. 

Olympische Spiele Tokio 2020
"Noch ein Jahr", steht auf dem "Skytree"-Turm in TokioBild: picture-alliance/AP Images/The Yomiuri Shimbun

Darüber ist den Japanern das Gefühl abhanden gekommen. Das Gefühl, wie schön es sein kann, zwei Wochen lang im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der ganzen Welt zu stehen. Inzwischen will die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung offenbar nicht mehr, dass die Olympischen Spiele in Tokio stattfinden. Eine in dieser Woche von der Nachrichtenagentur Kyodo gestartete Umfrage ergab, dass nur noch 23,9 Prozent der Bevölkerung glaubt, die Spiele sollten im kommenden Jahr durchgeführt werden. Etwas mehr als 36 Prozent sind der Auffassung, dass die Großveranstaltung um ein weiteres Jahr verschoben werden sollte. Und 34 Prozent sagen, dass die Sache ganz abgeblasen werden sollte.

"Ich glaube, viele Menschen hier waren total aufgeregt, als Tokio im Jahr 2013 den Zuschlag für die Olympischen Spiele bekam", sagt Kanako Hosomura, eine Hausfrau aus dem Norden der Hauptstadt. "Viele Betriebe wie Bars, Restaurants und Hotels hofften auf den Besucherandrang", fügt sie hinzu. "Und viele Japaner sahen dies auch als eine gute Gelegenheit an, Kultur, Geschichte, Kunst und alle kulinarischen Seiten unseres Landes vorzustellen."

Dieses Gefühl habe auch in ihrem Freundeskreis dominiert - "bis zur Rugby-Weltmeisterschaft im letzten Jahr, die ja ein großer Erfolg war". Aber das Coronavirus habe alles verändert.

Neue Wahrnehmung 

Natürlich sei man enttäuscht gewesen, als die Organisatoren bekanntgaben, dass die Spiele auf das kommende Jahr verschoben werden, meint Hosomura. "Aber es war die richtige Entscheidung. Es wäre viel zu gefährlich, das jetzt in diesem Sommer in Tokio zu machen." Inzwischen wachsen auch bei ihr die Zweifel, ob es im nächsten Sommer möglich sein wird. "Es gibt kein Mittel gegen das Virus, und wir wissen doch, wie gefährlich Menschenansammlungen sind. Wie können wir in der Situation ein solches Sportereignis starten?" Wahrscheinlich, denkt Hosomura nach, "werden sie die Olympischen Spiele in Tokio ganz absagen müssen".

Ein Symbol

Die Organisatoren machen gute Miene zum höchst ungewissen Spiel. Offiziell sagen alle: Die Sache steigt im nächsten Jahr. An diesem 23. Juli sollte um 20 Uhr Ortszeit eine Videobotschaft aus dem Olympiastadion veröffentlicht werden, um die Botschaft "Gemeinsam stärker" genau 365 Tage vor der Eröffnung der verschobenen Spiele zu vermitteln.

Japan  Tokio | Yuriko Koike: Gouverneurin von Tokio
Yuriko Koike, Gouverneurin von TokioBild: picture-alliance/dpa/Kyodo News

Yuriko Koike, die Gouverneurin von Tokio, hat wiederholt unterstrichen, welche Bedeutung die Spiele aus ihrer Sicht haben. In einem Interview mit CNBC erklärte sie, Tokio 2020 solle zu einem Symbol werden, wie die Welt in der Krise zusammenfindet. Ein Symbol für den Zusammenhalt der Menschen. Ähnlich optimistisch äußert sich das Organisationskomitee vor Ort. Allerdings ließ Yoshiro Mori, Organisationschef und früherer Ministerpräsident, unterdessen erkennen, dass auch der neue Zeitplan bedroht ist. Auf die Frage des nationalen Rundfunksenders NHK, ob die Olympischen Spiele definitiv stattfinden werden, selbst wenn sich an der Coronavirus-Pandemie nichts geändert hat, sagte er: "Wenn die derzeitige Situation anhält, können wir es nicht machen."

Und das IOC? Voll engagiert

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) kündigte an, es bleibe "voll und ganz engagiert", damit die Wettbewerbe im Jahr 2021 stattfinden könnten. "Wir sind weiterhin fest entschlossen, Tokio 2020 nächstes Jahr im Juli und August zu feiern", sagte IOC-Präsident Thomas Bach in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Er fügte aber hinzu: "Das gesamte IOC folgt weiterhin dem Prinzip, dass die Sicherheit der Teilnehmer oberste Priorität hat. Wir lassen uns weiterhin von der Weltgesundheitsorganisation beraten, und auf der Grundlage dieser Ratschläge bereiten wir unterschiedliche Szenarien vor." Niemand wisse heute, wie die Situation in einem Jahr sein werde.

IOC-Präsident Thomas Bach
"Weiterhin fest entschlossen": IOC-Präsident Thomas BachBild: picture-alliance/dpa/KEYSTONE/J.C. Bott

Nana Kimura blickt derweil mit gemischten Gefühlen auf die Sportbegeisterung ihres Mannes. Der hatte drei Tickets für das 100-Meter-Finale der Frauen ergattert - und sie weiß, wie ihr Mann sich darauf gefreut hatte. "Mein Mann hatte Dutzende Tickets für alle möglichen Veranstaltungen bestellt, aber er hat nur diese drei bekommen", erzählt Kimura der DW. "Er war total glücklich. Ich konnte mich nicht so freuen - die Karten haben 150.000 Yen gekostet" (umgerechnet etwa 1200 Euro).

Überhaupt: Dieses Projekt Olympia ist ein teurer Spaß. Die Kosten belaufen sich auf 1,06 Billionen Yen (8,64 Milliarden Euro). Es ist das Siebenfache des Budgets, das die Regierung ursprünglich genehmigt und dem das IOC zugestimmt hatte. "Wenn ich mir dieses neue Stadion ansehe, finde ich es hässlich und viel zu teuer", meint die 40-jährige Kimura. "Und was ist, wenn die Spiele vorbei sind? Dann wird das doch kaum genutzt." Es sei wirklich eine riesige Verschwendung von Steuergeldern, die man an anderen Stellen viel besser hätte ausgeben können.

"Aber die größte Sorge ist doch das Coronavirus", sagt Kimura weiter. "Es wäre immens unverantwortlich, wenn Japan seine Grenzen für Menschen aus aller Welt öffnet, die dann vielleicht das Virus wieder einschleppen. Das ist einfach gefährlich. Und ich denke, dass in den kommenden Monaten noch mehr Menschen aufstehen und das Gleiche sagen werden. Die Spiele müssen abgesagt werden."