Parlamentsauflösung in Kuwait: Mehr als bloß eine Krise?
15. Mai 2024Kuwait hat politisch nicht den schlechtesten Ruf: Seit Jahrzehnten gilt der kleine arabische Golfstaat als eines der demokratisch am weitesten fortgeschrittenen Länder in Nahost.
Zwar wird das ölreiche Land von einer Königsfamilie regiert, die auch den Premier ernennt. Doch zugleich verfügt Kuwait über ein gewähltes Parlament, in dem die Opposition sogar die Monarchie in gewissen Grenzen kritisieren kann.
Aus diesem Grund gilt Kuwait manchen Beobachtern als "Oase der Demokratie" und als "liberaler Ausreißer" unter den autokratisch regierten Staaten der arabischen Halbinsel. In der Rangliste von Freedom House sind Kuwait und Libanon die einzigen Länder im Nahen Osten, die in der jährlichen Bewertung der politischen Rechte durch die Organisation als "teilweise frei" eingestuft werden.
Doch all dies könnte nun infrage stehen. Vergangene Woche löste der regierende Emir des Landes, Scheich Mischal al-Ahmed Al Sabah, das Parlament vorerst auf.
Hintergründe der Aussetzung
Im TV erklärte der Emir, die Aussetzung des Parlaments sowie von Teilen der Verfassung solle innerhalb eines Zeitraums von höchstens vier Jahren überprüft werden.
Die Entscheidung erfolgte nach Wochen des politischen Stillstands. Bereits im März hatte Scheich Mischal zu Neuwahlen aufgerufen. Im April wurde ordnungsgemäß ein neues Parlament gewählt. Doch ließen sich dessen Mitglieder nicht überzeugen, mit den vom Königshaus ausgewählten Ministern zusammenzuarbeiten.
"Ich werde nicht zulassen, dass die Demokratie missbraucht wird, das Land zu zerstören", erklärte der Emir. Er treffe schwierige Entscheidungen, um das Land zu retten. Nun werden die königliche Familie und 13 am vergangenen Sonntag neu ernannte Minister die Führung Kuwaits übernehmen.
Zwischen Monarchie und Demokratie
Kuwaits Parlamentarier haben mehr Macht als die Abgeordneten anderer Golfstaaten. Sie genehmigen königliche Ernennungen, können Minister in Frage stellen und sogar die parlamentarische Zusammenarbeit mit ihnen aussetzen.
"Die nationale Identität und Kultur Kuwaits gründet auf dem Umstand, dass die Königsfamilie nicht ohne die Zustimmung des Volkes regieren kann", schrieb der Politologe Sean Yom von der Temple University in den USA in einer Analyse vom März dieses Jahres.
Doch in den letzten zehn Jahren war es vermehrt zu politischen Blockaden gekommen. In einigen Fällen haben rivalisierende Mitglieder der königlichen Familie das System zudem zu persönlichen Machtproben missbraucht. Darüber ist der Eindruck entstanden, dass Kuwait aufgrund des politischen Stillstands hinter den wohlhabenderen Nachbarländern zurückgeblieben ist.
Weniger Dynamik als in anderen Golfstaaten?
"Es wird immer deutlicher, dass Kuwait bei den Reformen und der Entwicklung hinterherhinkt, vor allem im Vergleich zu den dramatischen Veränderungen in Saudi-Arabien", sagt Kristin Diwan vom Arab Gulf States Institute in Washington im DW-Interview mit Blick auf die Region. "Dafür wird das Parlament verantwortlich gemacht werden", sagt die US-Expertin. "Erörtert werden dürfte allerdings auch der Charakter von Emir Mischal sowie sein Bedürfnis, einen Kronprinzen und Nachfolger zu ernennen."
Der Emir hat die Macht erst im Dezember übernommen. Nun muss er seinen Nachfolger benennen. Anders als in anderen benachbarten Königreichen müssen die kuwaitischen Abgeordneten der Wahl in aller Regel zustimmen. Nach dessen jüngster Suspendierung ist es dazu aber nicht mehr in der Lage.
In sozialen Medien wurde spekuliert, die Entscheidung des Emirs könne auch durch ein Anwachsen islamistischer Kräfte motiviert sein. Experten verweisen aber darauf, dass Islamisten bei den letzten Wahlen an Einfluss verloren hätten.
Wie geht es weiter?
"Hintergrund und Regierungsstil des Emirs sind von immenser Bedeutung, um diesen illiberalen Moment angemessen zu verstehen ", sagt Sean Yom von der amerikanischen Temple University.
Anders als frühere Herrscher habe Scheich Mischal keine zivile politische Erfahrung, so Yom. "Seine Karriere lief über einen ganz anderen Weg, durch die Sicherheits- und Polizeikräfte. Diese betonen nicht den Kompromiss, sondern setzen auf strenge Hierarchie. Diese Art Führung von oben nach unten, mit wenig Toleranz für parlamentarischen Widerstand oder politisches Gezänk, das erleben wir auch jetzt."
Zugleich meint Yom: "Die meisten Bürger wollen ihr gelähmtes politisches System kurzfristig wieder funktionsfähig machen, zugleich aber auch die verfassungsmäßigen Freiheiten schützen. Das hat auch die Regierung verstanden."
"Kultur der Konsensbildung"
"Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob es sich um einen klassischen Fall von demokratischem Rückfall handelt, wie ihn einige unserer Freunde im Westen propagieren", meint Bader al-Saif, Geschichtsprofessor an der Universität Kuwait, im Gespräch mit der DW.
Für die derzeitige Krise gebe es durchaus Präzedenzfälle, so Bader al-Saif. So hatten die Herrscher Kuwaits das Parlament bereits 1976 und 1986 ausgesetzt. Doch dann wurde es wieder eingesetzt, ebenso wie die kuwaitische Verfassung. "Das ist das 'kuwaitische Modell'." Kuwait verbinde eine aktive Monarchie mit einem aktiven Parlament. "Wir werden unser System der Offenheit nicht aufgeben. Diese geht der Verfassung voraus, denn es stammt aus einer reichen Kultur der Konsensbildung, die wir seit beinahe 300 Jahren pflegen."
Die vorübergehende Suspendierung des Parlaments werde dem keinen Abbruch tun, glaubt Bader al-Saif. "Wir müssen abwarten. Dies ist ein Experiment."
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.