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Politik

Meinung: Der Kanzler will nicht länger zögern

8. Mai 2022

Deutschland unterstützt die Ukraine ohne Wenn und Aber. Auch mit noch mehr schweren Waffen. Olaf Scholz bezieht in seiner Rede an die Nation klar Stellung und das ist richtig, meint Sabine Kinkartz.

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Ukraine | Beschuss durch 2S1 Gvozdika in der Region um Charkiw
Bild: Serhii Nuzhnenko/REUTERS

Vor 77 Jahren war der 8. Mai der Tag, an dem Deutschland kapitulierte und der Zweite Weltkrieg damit zumindest in Europa zu Ende ging. Im Asien-Pazifik-Raum dauerte er bekanntlich noch länger. Jetzt herrscht wieder Krieg in Europa. Der Aggressor heißt Russland und der russische Präsident Wladimir Putin ist an diesem 8. Mai 2022 weit davon entfernt, zu kapitulieren. Frieden ist nicht in Sicht. Davon geht auch der Bundeskanzler aus. Er könne "heute noch nicht sagen, wann und auf welche Weise Russlands grausamer Krieg gegen die Ukraine enden wird", sagte Olaf Scholz in einer TV-Ansprache am Abend.

Nach einigen Wochen des Zauderns und Zögerns - das er als solches natürlich nicht verstanden wissen will - ist Olaf Scholz in der Realität dieses Krieges angekommen. Es gibt keine Wahl. Deutschland muss alles in seiner Kraft und Macht Stehende tun, um die Ukraine zu unterstützen. Das schließt die Lieferung von Waffen ein, auch von schweren. "Das setzen wir fort", sagt Scholz und damit dürfte jedem klar sein, dass der "Gepard" nicht der letzte Panzer ist, der in die Ukraine rollen soll.

Aus dem 8. Mai erwächst eine Verpflichtung

"Nie wieder", so lautet die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Krieg, in dem Deutschland unendliches Leid auch über die Menschen in der Ukraine brachte. Angesichts des russischen Angriffskriegs erwächst für Scholz aus diesem "Nie wieder" eine Verantwortung und Verpflichtung gegenüber der Ukraine. Endlich muss man sagen! Recht und Freiheit an der Seite der Angegriffenen zu verteidigen, das sei das Vermächtnis des 8. Mai, sagt Scholz.

Bundeskanzler Scholz TV-Ansprache
Bundeskanzler Olaf Scholz hielt am 8. Mai eine TV-Ansprache Bild: Britta Pedersen/AFP

Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Bundeskanzler stand von Anfang an auf der Seite der Ukraine. Nur drei Tage nach dem russischen Angriff auf das Land rief Scholz eine "Zeitenwende" aus und machte der Nation klar, dass von nun an vieles anders sein werde. Doch den großen Worten folgten bekanntlich zunächst nicht unbedingt genauso große Taten. Deutschland tat sich zunächst sehr schwer damit, die Ukraine auch militärisch angemessen zu unterstützen. Man erinnere sich nur daran, wie die Bundesverteidigungsministerin anfangs versuchte, eine Lieferung von 5000 Stahlhelmen in die Ukraine als großartige Leistung zu verkaufen. Das war einfach nur peinlich.

"Frieden schaffen ohne Waffen"

Dafür Scholz pauschal die Schuld zu geben, trifft es aber nicht ganz. Der Kanzler handelt nicht allein, er braucht die Zustimmung seiner Koalition und natürlich auch den Rückhalt aus der eigenen Partei. Den hatte er aber nicht in ausreichendem Maß. In der SPD gibt es einen weitverbreiteten und tief verwurzelten Pazifismus. "Frieden schaffen ohne Waffen", das ist für viele Sozialdemokraten kein leicht dahin gesagter Spruch, sondern ernstgemeinter Anspruch.

Entsprechend groß war zunächst der Widerstand gegen Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Ein Widerstand, der auch in der deutschen Gesellschaft verbreitet ist. Nicht jeder findet es hierzulande gut, dass Deutschland Panzer liefern will.

Doch je länger der Krieg in der Ukraine andauert, je offensichtlicher wird, mit welcher Brutalität die russische Armee wütet, wie sie mordet, vergewaltigt und foltert, umso klarer wird, dass dieser Krieg nicht durch Dialog beendet werden kann. Dem kann sich niemand verschließen.

Die Entspannungspolitik ist gescheitert

Doch es war nicht nur der Pazifismus, der der SPD im Weg stand. Jahrzehntelang hat sie auf den Dialog mit der Sowjetunion und später mit Russland gesetzt. Sie hat die Entspannungspolitik mit ihrem "Wandel durch Annäherung" erfunden und daraus dann "Wandel durch Handel" gemacht. Man müsse Russland nur wirtschaftlich einbinden, um den Frieden zu bewahren, lautete der viel zu lange verfolgte Grundsatz. Dass man dabei viel zu sehr auf Russland fixiert war und die Warnungen der übrigen Osteuropäer überhörte, fällt der SPD jetzt auf die Füße.

Kommentarfoto Sabine Kinkartz Hauptstadtstudio NEU
DW-Redakteurin Sabine KinkartzBild: DW/S. Eichberg

Das Scheitern anzuerkennen und daraus Konsequenzen zu ziehen, das war ein Prozess, der eine Zeit lang dauerte und den mehr oder weniger auch Olaf Scholz mit durchmachen musste. Der Kanzler hat seine Entscheidung getroffen, das zeigt die Rede. Er erklärt sich, bezieht Stellung und Position und trifft dabei auch noch den richtigen Ton. Gut so. Viel zu lange wurde die Entscheidungsfindung auch international als Zaudern und Zögern wahrgenommen. Das hat Deutschland geschadet.

Die Zukunft ist ungewiss

Nach der Rede dürfte es keine Unklarheiten mehr geben, denn hinter seine jetzt gefundenen Worte kann der Kanzler nicht zurück. Beste Voraussetzung, um nun auch nach Kiew zu reisen.

Und auch die Bundesbürger wissen jetzt, woran sie sind. Der Krieg wird wahrscheinlich noch lange dauern und er wird Konsequenzen haben. Auch für Deutschland. Olaf Scholz verspricht, dass er alles in seiner Macht Stehende tun will, um Schaden vom Land abzuwenden. Auch, indem er alles unterlassen will, was als Kriegseintritt gewertet werden kann und er will den Weg auch weiterhin nur gemeinsam mit den Verbündeten gehen. Ob das ausreichen wird? Garantieren kann das niemand.