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PolitikJemen

Jemen: Warum die Huthis Schiffe im Roten Meer angreifen

Jennifer Holleis
13. Dezember 2023

Die Huthis haben bereits mehrere Frachtschiffe im Roten Meer angegriffen. Damit unterstützen die jemenitischen Miliz die von vielen Staaten als Terrorgruppe eingestufte Hamas. Wie gefährlich ist das für Israel?

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Das von den Huthis entführte Frachtschiff Galaxy Leader ist auf einem Foto im Meer zu sehen
Von den Huthis gekapert: das Frachtschiff 'Galaxy Leader'Bild: Houthi Media Centre/AFP

Sie wollen weiterhin angreifen - und zwar alle Schiffe, die im Roten Meer in Richtung Israel unterwegs sind, ganz unabhängig von der Nationalität. So kündigten es die Huthis am Wochenende in einer Erklärung an. Dann beschossen die jemenitischen Rebellen tatsächlich einen norwegischen Frachter. Der Öl- und Chemikalientanker "Strinda" sei von einem Marschflugkörper getroffen worden, teilte das zuständige Regionalkommando des US-Militärs mit. An Bord habe es einen Brand und Schäden, aber keine Verletzten gegeben. Laut Angaben der Reederei war das Schiff nicht nach Israel unterwegs. Die Huthis behaupten das Gegenteil.

Schon länger lässt die im Jemen beheimatete, dem Iran verbundene Miliz keinen Zweifel: Sie will ihren bisherigen Kurs fortsetzen und weiterhin Schiffe mit realen oder zumindest behaupteten Verbindungen zu Israel im Roten Meer militärisch angreifen - insbesondere in der Meerenge Bab al-Mandab, die zwischen Jemen und Dschibuti das Rote Meer vom Golf von Aden trennt. Vertreter der Dies hatten die schon mehrfach auf "X" (ehemals Twitter) angekündigt. 

Für die maritime Sicherheit in der Region sind solche Angriffe eine enorme Herausforderung. Das Rote Meer ist ein für die Weltwirtschaft höchst bedeutender Seeweg. Über ihn fließen rund zehn Prozent des jährlichen Welthandels.

Vergeltung für israelische Angriffe auf Gaza

Die schiitische Miliz herrscht mit Unterstützung des Iran seit Jahren über einen großen Teil des Jemen und nimmt wie das Mullah-Regime in Teheran eine strikt Israel-feindliche Haltung ein. Ihre Angriffe auf Schiffe wie auch die auf Israel abgefeuerten ballistischen Raketen sehen sie als "Vergeltung" für die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen.

Für den anhaltenden Krieg zwischen Israel und Hamas trägt aus Sicht der Huthis einzig und allein Israel die Verantwortung. Israel attackiert die militant-islamistische Palästinenserorganisation im Gazastreifen, seit diese bei ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober rund 1200 Menschen ermordet hat.

Zusammen mit Iran und dessen Verbündeten - etwa der libanesischen Hisbollah - bilden die Gruppe die selbsternannte "Achse des Widerstands" gegen Israel, die sich ebenso gegen die USA als dessen Verbündeten richtet. Die Hisbollah wird - ähnlich der palästinensischen Hamas - von den USA, Deutschland und mehreren arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.

Drohnen- und Raketenangriffe häufen sich

Drohnen- oder Raketenangriffe sowie weitere für die Sicherheit relevante Vorfälle im Roten Meer häufen sich in jüngster Zeit merklich. Erst am Wochenende teilte Frankreich mit, eine französische Fregatte habe im Roten Meer zwei Drohnen abgefangen. Diese seien am späten Samstagsabend vom Jemen aus in Richtung des Schiffes abgefeuert worden, von dem aus sie dann zerstört wurden.


Am Mittwoch zuvor hatte Israel bereits bestätigt, man habe in Richtung Israel abgefeuerte Geschosse über dem Roten Meer abgefangen. Auch das US-Militär gab bekannt, ein amerikanischer Zerstörer habe mehrere aus dem Jemen gestartete Drohnen vom Himmel geholt. Zudem seien drei Handelsschiffe im Roten Meer angegriffen worden.

Frachtschiff von israelischem Geschäftsmann gekapert

Derweil halten die Huthis offenkundig weiter das Frachtschiff "Galaxy Leader" in ihrer Gewalt, das sie am 19. November gekapert haben. Eigentümerin des Schiffes ist dem See-Sicherheitsunternehmen Ambrey zufolge die Gruppe Ray Car Carriers. Deren Muttergesellschaft wiederum gehört dem israelischen Geschäftsmann Abraham Ungar. Keines der Besatzungsmitglieder besitzt die israelische Staatsangehörigkeit. Das Schiff selbst fuhr unter japanischer Flagge.

Die japanische Außenministerin Yoko Kamikawa erklärte seinerzeit dazu, Tokio stehe in Kontakt mit Israel: "Wir wenden uns nicht nur direkt an die Huthis, sondern bitten auch Saudi-Arabien, Oman, Iran und andere betroffene Länder, die Huthis nachdrücklich aufzufordern, das Schiff und die Besatzungsmitglieder freizugeben." 

Angriff nach iranischem Vorbild?

Ein solcher Angriff sei erwartbar gewesen, sagt Fabian Hinz, Spezialist für Verteidigungs- und Militäranalysen am Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) mit Sitzen unter anderem in London und Berlin. "Es gab bereits die Sorge, die Huthis könnten zivile Schiffe angreifen und diese auch versenken", so Hinz im DW-Gespräch. Mit der Kaperung hätten sie sich zunächst aber für eine Eskalation auf niedrigerem Niveau entschieden.

Soldaten in Paradeuniform auf Lastwagen mit Raketenwerfern bestückt mit je rund sechs Meter langen Raketen
Demonstration der Stärke: Parade der Huthis in Sanaa, September 2023Bild: Mohammed Huwais/AFP/Getty Images

Damit schienen die Huthis iranische Aktionen im Persischen Golf zu imitieren, sagt Hinz. Dort wurden wiederholt zivile Schiffe gekapert, die über Eigentumsstrukturen mit Gegnern Irans verbunden waren. "Diese gekaperten Schiffe und ihre Besatzungen wurden dann als politisches Druckmittel eingesetzt." Dass der Iran bei der Entführung der "Galaxy Leader" eine größere Rolle gespielt hat, bezweifelt Hinz. Möglich sei aber, dass Teheran die verbündeten Rebellen mit Geheimdienstinformationen unterstützt haben.

Mehr Statement als echte Gefahr?

Dass die Huthis Israel ernsthaft gefährlich werden könnten, indem sie das Rote Meer in eine neue Front verwandeln, ist nach Ansicht mehrerer Experten einstweilen nicht der Fall. Der 2014 begonnene Bürgerkrieg im Jemen, in dessen Verlauf die Huthis die jemenitische Regierung stürzten und unter anderem die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa übernahmen, hat dem Land eine zerrüttete politische Landschaft und eine beschädigte Infrastruktur beschert. Der weithin als Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran gewertete Konflikt hat nach Angaben der Vereinten Nationen auch zu einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt geführt.

Ein kleines Kind läuft zwischen mehreren großen Zelten in einer wüstenartigen Gegend
Flüchtlingslager im Jemen, 2020: Der Bürgerkrieg hat eine seit Jahren anhaltende humanitäre Krise ausgelöstBild: Muhammad Barmada/DW

"Das von den Huthis abgegebene Signal soll aber Unsicherheit und Instabilität in der gesamten Region fördern. Zudem wollen die Huthis sich so von jenen arabischen Regierungen abgrenzen, die ihre Beziehungen zu Israel normalisiert haben oder dies versucht haben", sagt der in London ansässige Jemen- und Nahostexperte Matthew Hedges im DW-Gespräch. Unter anderem die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain hatten ihre Beziehungen zu Israel im Jahr 2020 im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommens normalisiert. Auch Israel und Saudi-Arabien schienen auf gutem Weg, bevor der aktuelle Konflikt zwischen Israel und der  Krieg zwischen Israel und Hamas die Annäherungsbemühungen ins Stocken brachte.

"Die Huthis üben Druck auf andere Gruppen in der Region aus, sich ihrem panislamischen Narrativ anzuschließen, demzufolge die Huthis auf israelische Angriffe gegen alle Muslime reagieren. Zugleich fordern die Huthis damit alle Muslime auf, Israel anzugreifen", so Jemen-Experte Hedges.

Ähnlich beurteilt es Farea Al-Muslimi, Experte für Nahost und Nordafrika am Londoner Thinktank Chatham House. "Niemand sollte die Rücksichtslosigkeit der Huthis unterschätzen. Es ist nicht auszuschließen, dass es in den nächsten Wochen noch weitere Angriffe dieser Art geben wird, auch auf nicht-israelische Schiffe." Der Angriff auf den norwegischen Frachter dürfte wahrscheinlich nicht die letzte Attacke dieser Art gewesen sein.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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