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Viscontis "Der Leopard" in voller Schönheit

Jochen Kürten
4. Juni 2019

Luchino Viscontis Meisterwerk "Der Leopard" gewann in Cannes 1963 die Goldene Palme. Ein zeitloses Epos mit aktuellen Bezügen und einem strahlenden Jungstar. Jetzt ist der Film makellos restauriert wiederzusehen.

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Filmstill Der Leopard von Luchino Visconti
Bild: Imago Images/United Archives

Man kann es dem amerikanischen Regisseur Martin Scorsese nicht hoch genug anrechnen, dass er mit ein paar Mitstreitern 1990 "The Film Foundation" gegründet hat. Über 800 Filme wurden mit der Unterstützung der "Foundation" seither restauriert und für die Zukunft gesichert.

Luchino Viscontis italienisch-französische Produktion "Der Leopard" ("Il Gattopardo"), 1963 bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt, gehört zweifellos zu den großen Meisterwerken der Filmgeschichte. Doch wie so viele filmische Epen mit mehreren Stunden Spielzeit ereilte auch "Der Leopard" das Schicksal, von den Verleihern im Laufe der Jahre gekürzt, umgeschnitten und damit sinnentstellt in den Umlauf gebracht worden zu sein.

"Film Foundation" sorgte für perfekte Restaurierung

Zwar wurde der Film in den vergangenen Jahren rekonstruiert, aber erst Scorseses "Film Foundation" sorgte dafür, dass Viscontis Epos nun in nahezu ursprünglicher Form - 186 Minuten lang - als DVD und Blu-ray in der bestmöglichen Ton- und Bildqualität (4K) wieder vorliegt.

Flash-Galerie Alain Delon
Eines der schönsten Paare der Kinogeschichte: Claudia Cardinale und Alain DelonBild: AP

Man muss zugeben, dass ein solch opulenter Film, der zudem auf 70mm-Material gedreht wurde (später kam vor allem die 35mm-Fassung in die Kinos), im Heimkino ein wenig an Kraft verliert. Doch immerhin: Auch - oder gerade - im digitalen Netflix-Zeitalter wäre ein Film wie "Der Leopard" sonst gar nicht sichtbar. Es geht hier um nichts weniger als um die Rettung verschütteter Kulturschätze.

"Der Leopard" gehört zu den Schätzen der Kinogeschichte

"Der Leopard", der regelmäßig zu den besten Filmen aller Zeiten gewählt wird (u.a. zuletzt 2012 in der berühmten, alle zehn Jahre durchgeführten Umfrage der britischen Zeitschrift "Sight & Sound"), war 1963 nach der Auszeichnung mit der Goldenen Palme in Cannes ein Erfolg an den Kinokassen - zumindest an den europäischen.

In den USA, trotz der Besetzung der Hauptrolle mit dem Hollywood-Star Burt Lancaster, jedoch nicht. Seither ist der Film immer wieder in neuen Fassungen im Kino gelaufen oder auf verschiedenen analogen und digitalen Trägermedien herausgekommen.

Filmstill Der Leopard von Luchino Visconti
Auch Don Fabrizio (Burt Lancaster) hat Gefühle für die schöne Angelica (Claudia Cardinale)Bild: Imago Images/United Archives

Jetzt hat man also die Möglichkeit, den Film auf einer brillanten Blu-ray-Ausgabe zu sehen. Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Luchino Viscontis drei-Stunden-Epos nach dem gleichnamigen Roman von Giuseppe di Lampedusa erzählt die Geschichte eines historischen Zeitenumschwungs: Um das Jahr 1860 wird Sizilien von den Kämpfen der Truppen Giuseppe Garibaldis und des bourbonischen Königshauses heimgesucht. Die Befreier Italiens auf der einen Seite, das feudale Establishment auf der anderen, Adel gegen Bourgeoisie: "Der Leopard" schildert den Kampf zwischen Neu und Alt facettenreich und vielstimmig.

Burt Lancaster: Eine der besten Rollen seiner Karriere

Burt Lancaster spielt Don Fabrizio, den Fürsten von Salina, der weiß, dass seine Zeit vorbei ist, der aber auch schlau genug ist, sich dem Neuen gegenüber in Maßen zu öffnen: "Die Dinge müssen sich ändern, um die gleichen zu bleiben", lautet sein Credo, wohl wissend, dass sich die alte Welt mit den Privilegien des Adels nur für eine bestimmte Zeit noch wird halten können.

Don Fabrizios Neffe Tancredi Falconeri (Alain Delon, soeben beim Festival in Cannes mit der Goldenen Ehren-Palme ausgezeichnet) wird vom Onkel gefördert - auch durch die von ihm angebahnte Eheschließung mit Angelica Sedara (Claudia Cardinale), die bürgerlichem Milieu entstammt und somit auch für die Zukunft steht.

72. Filmfestival in Cannes - Ehrenpalme Palme d'Or an Alain Delon verliehen
Auch für seine jugendliche Rolle des Tancredi in "Der Leopard" bekam Alain Delon die Goldene Ehrenpalme in CannesBild: Reuters/s. Mahe

Das faszinierende an "Il Gattopardo" noch heute ist, dass sich Visconti jeder einseitigen und plakativen Wertung enthält. Don Fabrizio steht für das Alte, aber auch für Schönheit, Kunst und Opulenz. Er weiß, dass seine Zeit und die des feudalen Systems in Europa vorbei ist, und doch macht sein Regisseur ihn zu einem unvergesslichen Filmcharakter zwischen Melancholie und Trauer. So wird Don Fabrizio/ Burt Lancaster auch zu einem Spiegelbild seines Regisseurs: Luchino Visconti entstammte einem alten Adelsgeschlecht und bezeichnete sich doch Zeit seines Lebens als Marxist.

Alain Delon als opportunistischer junger Adeliger mit bürgerlichen Zielen

Tancredi Falconeri begeistert sich anfangs für die Freiheitsgedanken Garibaldis, wechselt aber später die Seiten, auch um sein Überleben zu sichern und Karriere zu machen. Auch seine angebahnte Heirat mit der Bürgerlichen Angelica ist vor diesem Hintergrund zu sehen.

Wer den Film heute sieht, dem erschließen sich durchaus aktuelle Zeitbezüge. Opportunismus und Karrieredenken, der Kampf zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Schichten und Sphären, zwischen dem armen Süden und dem reichen Norden - man muss nicht nur auf das gegenwärtige Italien blicken, um die Aktualität eines Film wie "Der Leopard" zu begreifen. "Wir waren die Leoparden, die Löwen, die Adler. Unseren Platz werden Schafe, Schakale und Hyänen einnehmen. Doch in einem gleichen wir uns, Leoparden, Schakale, Hyänen und Schafe. Alle glauben nämlich von sich, sie seien das Salz der Erde", sinniert Don Fabrizio im Film über den Lauf der Zeit.

Filmstill Der Leopard von Luchino Visconti mit Alain Delon und Claudia Cardinale.
Legendär ist die 40-minütige Ball-Sequenz in "Der Leopard"Bild: Imago Images/United Archives

Fasziniert habe ihn, so Visconti über sein Meisterwerk, "der höchst aktuelle Gesichtspunkt einer Tendenz, die Welt in etwas Neues hineinzutreiben, das den Regeln des Alten folgt, und dabei auf zweideutige und heuchlerische Weise dem letzteren den Vorrang zu geben."

Aus "Der Leopard" lassen sich Schlüsse bis in die Gegenwart Italiens ziehen

"Vergangenheit wird von Visconti herangezogen", schreibt Corina Erk in einer aktuellen Monografie über den Regisseur, um aktuelle politische Umstände zu analysieren, im konkreten Fall den Modernisierungsschub der italienischen Gesellschaft während der Phase der Transformation von 1959 bis 1964 von der Agrar- zur Industriegesellschaft und die damit einhergehenden Veränderungen der gesellschaftlichen Klassen."

Regisseur Luchino Visconti 1966
Marxist und alter Adel: Luchino Visconti vereinte viele Leben - und brachte das in seinen Filmen zum AusdruckBild: Getty Images

Sieht man Luchino Viscontis "Il Gattopardo" wieder, so kann man Aktualitätsbezüge von heute weiterspinnen, in das Italien eines Matteo Salvini und eines Luigi di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung), den Wandel vom analogen zum digitalen Zeitalter usw.

So wird aus einem Film aus dem Jahre 1963, der nun wieder in voller Pracht zu sehen ist, auch ein Film für das neue Jahrtausend.

Luchino Visconti: "Il Gattopardo" ("Der Leopard") ist in Deutschland auf DVD und Blu-ray beim Anbieter "Koch Media" erschienen. Martin Scorsese und die "Film Foundation" haben den Filmklassiker mit einer 4K-Abtastung des Originalmaterials und unter Aufsicht von Kameramann Giuseppe Rotunno restauriert. Als Extras gibt es u.a. Interviews mit dem Produzenten des Films, Goffredo Lombardo, auf der DVD/Blu-ray zu sehen.