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Großstreik soll am Montag Verkehr lahmlegen

23. März 2023

Im Tarifkonflikt bei der Bahn sowie im öffentlichen Dienst drohen Deutschland am Montag die umfangreichsten Streiks seit vielen Jahren. Die Gewerkschaften EVG und Verdi haben zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen.

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Anzeigetafel auf einem Bahnhof mit Aufschrift Streik!
Bild: Christian Ohde/CHROMORANGE/picture alliance

Großer Warnstreik für Montag angekündigt

Millionen Berufspendler und Reisende müssen am Montag mit einem weitgehenden Zusammenbruch des Verkehrs in Deutschland rechnen. Sowohl der Bahn- und Busverkehr als auch Flughäfen sollen bundesweit zu großen Teilen lahmgelegt werden, wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sowie die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am Donnerstag in Berlin ankündigten.

Der Warnstreik soll sich von Sonntag-Mitternacht über den gesamten Montag hinziehen. Er trifft auch den Schiffsverkehr (Schleusen) und Autobahnen (Tunnel) sowie den öffentlichen Personennahverkehr in mehreren Bundesländern. Beide Gewerkschaften wollen damit Druck bei den bislang erfolglosen Tarifverhandlungen machen.

"Streik auf dem Rücken der Reisenden"

Die Deutsche Bahn kündigte als Folge des Warnstreiks an, den gesamten Fernverkehr am Montag einstellen zu müssen. Sie sieht keine Möglichkeit für einen Notfahrplan. "Es nützt ja nichts, eine kurze Strecke mit einem Intercity oder einem ICE zu fahren, weil man einen Lokführer hat, und der Zug dann irgendwo stehen bleibt, weil das Stellwerk bestreikt wird", sagte ein Konzernsprecher am Freitag in Berlin. Es sei besser, die Züge blieben an diesem Tag in den Depots.

"Es ist auch nicht möglich für einen solchen Tag einen Ersatzfahrplan aufzustellen, weil eben sehr viele Berufsgruppen zum Streik aufgerufen sind", sagte der Bahnsprecher. Auch im Regional- und S-Bahnverkehr werde "größtenteils kein Zug fahren", teilte der Konzern mit. Die Luftverkehrsbranche und die Flughäfen kritisierten den Ausstand als maßlos. Der Tarifstreit werde auf dem Rücken der Reisenden ausgetragen.

An einem Strang

Man werde im Tarifkonflikt nun gemeinsam handeln, sagte der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. Verdi rufe rund 120.000 Beschäftigte im Verkehrs- und Infrastrukturbereich zum Arbeitskampf auf. Betroffen seien etwa Flughäfen sowie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und die Autobahngesellschaft. "Es wird umfassende Einschränkungen im Flugverkehrs geben", sagte Werneke.

"Wir müssen feststellen, dass die Arbeitgeber nach wie vor sämtliche Augen verschließen vor den Nöten der Beschäftigten", erklärte EVG-Chef Martin Burkert. "Wir wollen keine weitere Eskalation. Wir wollen ein verhandlungsfähiges Angebot."

Tarifpartner überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen

Verdi verhandelt für die etwa 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen, unter anderem auch für die Beschäftigten des Nahverkehrs und an Flughäfen. Die Gewerkschaft fordert 10,5 Prozent mehr, mindestens aber 500 Euro monatlich. Die EVG verhandelt für rund 230.000 Beschäftigte bei 50 Bahn- und Busunternehmen und pocht auf zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro im Monat mehr.

Die Angebote von Deutscher Bahn oder den öffentlichen Arbeitgebern sind vergleichbar und umfassen fünf Prozent mehr Lohn und Einmalzahlungen von bis zu 2500 Euro. Beide Seiten machen sich gegenseitig für das Scheitern der Tarifgespräche im Februar und März verantwortlich.

Deutschland | Hannover Streik Nahverkehr
Streik auch im NahverkehrBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Die deutsche Luftfahrtbranche kritisierte den Streik. "Die andauernde Kette sogenannter Warnstreiks an immer neuen Stellen unserer Flughäfen trifft den gesamten Flugbetrieb auch da, wo gar keine Tarifverhandlungen geführt werden", sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Jost Lammers. "Damit werden die intensiven Vorbereitungen auf den bevorstehenden Osterreiseverkehr massiv erschwert." Leidtragende seien die Reisenden und auch die Luftfahrt-Unternehmen, die sich nach den pandemiebedingten Reisebeschränkungen jetzt wieder für einen reibungslosen Flugbetrieb engagierten, sagte Lammers, der auch Chef des Münchner Airports ist.

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) bezeichnete den Arbeitskampf als unverhältnismäßig und überzogen. "Das hat nichts mehr mit einem Warnstreik zu tun", sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel. "Vielmehr ist es der Versuch, per Generalstreik französische Verhältnisse in Deutschland einziehen zu lassen."

Großstreik wird der Konjunktur nicht schaden

Der angekündigte Großstreik von Verdi und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wird Ökonomen zufolge keine sichtbaren Bremsspuren in der deutschen Konjunktur hinterlassen. "Es braucht schon mehrtägige Streiks, um einen entsprechenden Effekt auszulösen", sagte Ökonom Thomas Puls vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. Durch die aktuelle Welle von Warnstreiks - die nun auf ihren vorläufigen Höhepunkt zusteuert - würden vor allem verdeckte Kosten entstehen, etwa durch Umplanungen. "Statistisch greifbar wird es aber erst, wenn Produktionen angepasst werden - und das wird erfahrungsgemäß ab etwa fünf Streiktagen ein Thema", sagte Puls.

Ähnlich wird das vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) eingeschätzt. "Der gesamtwirtschaftliche Arbeitsausfall infolge von Streiks war in der Vergangenheit vernachlässigbar", sagte IfW-Arbeitsmarktexperte Dominik Groll. "Dementsprechend dürfte hiervon auch kein nennenswerter Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung ausgegangen und auch im laufenden Jahr nicht zu erwarten sein." Den mit Abstand größten Streikeffekt auf die Arbeitszeit habe es im Jahr 1992 gegeben. Bezogen auf die Jahresarbeitszeit habe sich dadurch aber nur ein Arbeitsausfall je Arbeitnehmer von 0,03 Prozent ergeben.

Warnstreiks generell zulässig

 

Im Grundgesetzes ist das Recht festgelegt, "zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden". Zur Wahrung eines Kräftegleichgewichts wird den Arbeitgebern wiederum ein begrenztes Recht anerkannt, Arbeitnehmer von ihrem Arbeitsplatz fernzuhalten (Aussperrung). Ein Anspruch auf Lohn besteht für diesen Zeitraum dann nicht.

Warnstreiks sind aus Sicht der Gewerkschaften kurze und zeitlich befristete Maßnahmen und ein Druckmittel, um wieder Bewegung in festgefahrene Gespräche zu bringen. Sie sind auch während Tarifverhandlungen zulässig, müssen aber verhältnismäßig sein. Auch bei einem Warnstreik haben die Teilnehmer keinen Anspruch auf Lohnzahlung. Anders als bei generellen Streiks erhalten gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte auch keine Streikunterstützung von der Gewerkschaft.

dk/ul/hb (rtr, afp, dpa)