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Filmfest Locarno zeigt deutsches Nachkriegskino

Jochen Kürten31. Juli 2016

Das "Oberhausener Manifest" läutete 1962 einen Neubeginn des deutschen Nachkriegsfilms ein. Junge Regisseure erklärten das deutsche Kino nach dem Krieg für tot. Das Festival in Locarno wagt jetzt eine Neuinterpretation.

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Filmstill aus 'Die Spur führt nach Berlin' mit Gordon Howard und Irina Garden (Foto: DIF Frankfurt)
Bild: Deutsches Filminstitut

"Papas Kino ist tot", lautete ein berühmtes Fanal in den 1960er Jahren. Das deutsche Kino, wie es sich in den Jahren ab 1945 präsentiert hatte, stand vor der Ablösung. Ähnlich wie in Frankreich, wo Regisseure wie Françoise Truffaut und Jean-Luc Godard die "Nouvelle Vague" ins Leben riefen, wurde auch das deutsche Nachkriegskino von einer Handvoll junger Filmenthusiasten zu Grabe getragen.

Sichtbarstes Symbol war eben jenes "Oberhausener Manifest", unterzeichnet von 26 Filmschaffenden, die 1962 in ein paar knackigen Thesen zusammentrugen, was ihnen nicht passte im Kino der Väter. Nun sollte ein Neustart gewagt werden. Nach all den kitischigen Heimatfilmen und verklemmten Kriegsdramen, nach alberner Unterhaltung und harmloser Krimikost, sollte inhaltlich und formal etwas Neues ins Leben gerufen werden.

Der "Neue Deutsche Film" brachte dem heimischen Kino weltweit Anerkennung

Regisseure wie Alexander Kluge und Edgar Reitz betraten die Bühne und gewannen auch international Preise. Später stießen Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders, Werner Herzog und Volker Schlöndorff dazu. Der "Neue Deutsche Film" war geboren und bereicherte die nationale und internationale Filmszene.

Filmdreharbeiten von 'Schwarzer Kies' von Helmut Käutner (sitzend) (Foto: DIF Frankfurt)
Helmut Käutner - hier bei den Dreharbeiten von 'Schwarzer Kies' - war einer der wenigen anerkannten NachkriegsregisseureBild: Deutsches Filminstitut

Doch wie bei allen Revolutionen, in Frankreich war es mit der "Nouvelle Vague" nicht anders, wurde bei all dem revolutionären Gebaren übersehen, dass nicht alles schlecht war, was vor den Jahren 1962/63 gedreht wurde. So geht es dem Filmfestival Locarno (3.-13. August), das jetzt zusammen mit dem Deutschen Filminstitut in Frankfurt eine umfangreiche Retrospektive zum deutschen Nachkriegsfilm auf die Beine gestellt hat, um nichts anderes als eine Ehrenrettung eben dieser filmkünstlerischen Epoche.

Insbesondere populäre Film-Genres seien bei der Bewertung sträflich missachtet worden, so die Veranstalter. "Das ist womöglich auch ein Ausdruck einer Verachtung von Populärkultur, die mit dazu geführt hat, dass das Autorenkino und das populäre Kino heute soweit voneinander entfernt sind, wie nie", meint Claudia Dillmann vom Filminstitut Frankfurt.

Zu Unrecht vernachlässigt - deutsches Nachkriegskino

"Wir richten unsere Scheinwerfer auf eine Zeit des bundesdeutschen Kinos, die unseres Erachtens zu Unrecht vernachlässigt wurde", ergänzt Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter des Festivals in Locarno. "Nicht alles, was die Väter und Großväter gemacht haben, ist bedeutungslos." Es sei Zeit, so Chatrian, "verschüttete Kinoschätze zu heben und für die jüngeren Generationen zu erschließen."

Filmfestival Locarno Piazza Grande (Foto: Filmfest Locarno)
Viel Raum für Neuinterpretation des deutschen Nachkriegskinos: beim Festival in LocarnoBild: Imago

Olaf Möller, der die Retrospektive im schweizerischen Locarno von deutscher Seite kuratiert hat, meint sogar, es sei "ein großes Missverständnis, dass der 'Neue Deutsche Film' wirklich etwas Neues gewesen wäre." Insbesondere einige der Regisseure des "Neuen Deutschen Films" hätten damals erst mit Hilfe der vielgescholtenen Produzenten der Populärfilmindustrie die Chance erhalten, etwas Neues zu wagen, so seine Argumentation.

Nach Locarno werden die Filme auch in den USA gezeigt

Locarno präsentiert jetzt also die Retrospektive "Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik von 1949 bis 1963". Rund 80 Filme werden gezeigt, Spiel- und Dokumentarfilme, Dokumentationen und Animationsstreifen - von bekannten und weniger bekannten Filmemachern der Zeit. Und auch wenn - wie bei jeder Gegen-Revolution - manche These der Kuratoren etwas überzeichnet erscheint, so lohnt ein neuer Blick auf das Kino der alten Bundesrepublik auf jeden Fall.

C. Dillmann, O. Möller (Hg.) Buchcover Geliebt und Verdrängt (Foto: Verlag)
Bild: Verlag des Deutschen Filminstituts

Nach der Präsentation in Locarno ist die Filmschau in mehreren deutschen und Schweizer Städten zu sehen. Und auch international ist die Retrospektive schon gebucht: Italien und die USA stehen fest auf dem Programm. In den Vereinigten Stataten werden die Filme in Washington und New York gezeigt.

Zur Retrospektive erscheint ein umfangreicher Katalog, herausgegeben vom Deutschen Filminstitut und dem Filmfestival in Locarno: Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963, von Claudia Dillmann, Olaf Möller (Herausgeber), 416 Seiten, Verlag des Deutschen Filminstituts, ISBN-13: 978-3887990893.