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Neue Wege bei intimen Drehs

Philipp Jedicke
28. Januar 2021

Schauspielerin Keira Knightley möchte erotische Szenen nicht mehr mit männlichen Regisseuren drehen. Ihre Aussage steht exemplarisch für einen Wandel.

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Keira Knightley
Bild: Ian West/empics/picture alliance

In einem Interview für den Podcast "Chanel Connects" sprach die britische Schauspielerin Keira Knightley kürzlich sehr offen über ihre Gefühle und Gedanken im Zusammenhang mit intimen und erotischen Filmszenen. Sie fühle sich mittlerweile "sehr unwohl damit, zu versuchen, dem männlichen Blick zu entsprechen". Sie verstehe zwar, dass Sexszenen manchmal unumgänglich seien, aber dafür könne ja ein Körper-Double eingesetzt werden. Knightley begründete ihre Entscheidung so: "Weil ich zu eitel bin und dieser Körper mittlerweile zwei Kinder geboren hat und ich ungern nackt vor einer Gruppe Männer stehen möchte." 

Knightley betonte in dem Podcast-Interview allerdings auch, dass sie Nacktszenen nicht grundsätzlich ablehne. So würde sie durchaus einen Film drehen, in dem es ums Mutterwerden und die Veränderung des Körpers gehe - allerdings nur "mit einer Frau, die das versteht", so Knightley.

Szene aus "Damengambit": Anya Taylor-Joy in Unterwäsche auf einer Couch. Sie blickt direkt in die Kamera
Der Blick zurück auf den Betrachter: Anya Taylor-Joy in "Damengambit"Bild: Cinema Publishers Collection/imago images

Sexszenen ohne jede Expertise

Mit ihrer klaren Ablehnung einer bestimmten Art, an Sexszenen heranzugehen, schützt sich Keira Knightley. Und sie hat dafür gute Gründe: Bis vor wenigen Jahren war die Filmbranche, besonders Hollywood, fest in den Händen meist männlicher Produzenten - auch die Filmcrews bestanden überwiegend aus Männern. Die Ausgestaltung erotischer Szenen wurde - teils aus falscher Scham, teils aus Unwissen - entweder alleine dem Regisseur oder den Schauspielerinnen und Schauspielern überlassen. Selbst eine potenziell traumatische Erfahrung wie eine Vergewaltigungsszene wurde in der Vergangenheit ohne jegliche vorherige Beratung mit Experten in Kauf genommen. Es kam auch selten zu einer kreativen Auseinandersetzung mit der Ausgestaltung einer solchen Szene.

Dabei ist gerade bei intimen Szenen besonders viel Expertise und Feingefühl gefordert. Egal, ob es sich dabei um etwas so Extremes wie sexuelle Gewalt handelt oder einen langen und intensiven Kuss: Solche hoch sensiblen Szenen sollten glaubwürdig und künstlerisch hochwertig sein, und gleichzeitig müssen die Beteiligten dabei geschützt werden - sowohl die psychische Gesundheit der beteiligten Schauspielerinnen und Schauspieler, als auch die der Filmcrew. 

Intime Szenen ähneln Stunts

Während es im Theater bereits sogenannte "intimacy directors" gab, deren Aufgabe die Choreografie von Sex- oder intimen Szenen war, ließ dies im Film lange auf sich warten und änderte sich erst in Folge der internationalen #Metoo-Bewegung. 2017 veröffentlichte die Britin Ita O'Brien "intimacy guidelines", also Intimitätsrichtlinien, für die Filmbranche. Diese sind heute zur Grundlage zahlreicher gewerkschaftlicher Standards in den USA und vielen anderen angelsächsischen Ländern geworden. Und Ita O'Brien wurde eine der ersten Initimitätskoordinatorinnen der Filmwelt. 

Als O'Brien ihre Intimitätsrichtlinien 2018 beim Filmfestival in Cannes vorstellte, wurde die deutsche Schauspielerin Julia Effertz auf sie aufmerksam. O'Brien verglich bei ihrem Vortrag Sexszenen mit Stuntszenen, beschrieb sie als "Hochrisikoszenen" und sprach von psychischer Verletzungsgefahr. So traf sie bei Julia Effertz einen Nerv. Denn Effertz kennt die Branche von innen, mit all ihren Fallstricken, und sie weiß, dass bestimmte Erfahrungen bei Drehs innere Verletzungen und Traumata hervorbringen können, die "ein Leben lang nachwirken". Und Effertz fügt hinzu: "Jeder weiß, dass sich bei einer Kampfszene der Schauspieler körperlich verletzen kann. Niemand würde jemals erwarten, dass ein Schauspieler das ohne Expertise von einem Kampfchoregografen improvisieren würde. Und es muss ganz klar sein, dass diese Selbstverständlichkeit auch für die Darstellung von Intimität und Sexualität gelten muss." Heute ist Julia Effertz Deutschlands erste Intimitätskoordinatorin. 

Szene aus der Serie "Sex Education": die Schauspieler Emma Mackey und Kedar Williams Stirling auf einem Bett
"Sex Education" ist eine der ersten Netflix-Serien, die unter Mitwirkung einer Intimitätskoordinatorin entstandenBild: Jon Hall/Netflix/Everett Collection/picture alliance

Vorbereitung ist das A und O

Julia Effertz' Arbeit beginnt lange vor dem ersten Drehtag. Sie sagt: "Der wichtigste Teil ist die Vorbereitung". Sie führt Vorgespräche über die intimen Inhalte einer Produktion mit der Regie und mit den beteiligten Schauspielern. "Gibt es Jas oder Neins, eine Nacktklausel, körperliche Beeinträchtigungen"? So baut Effertz eine professionelle Arbeitsstruktur auf, die es Schauspielerinnen und Schauspielern ermöglicht, ihre Zustimmung zu geben und "in der Szene und in ihrem Körper abgesichert zu sein". Effertz nennt das eine eindeutige Win-Win-Situation, denn auch die Regie sei froh, die oft schambehaftete Thematik abgeben zu können. 

Beim Dreh prüft Effertz, ob alles so eingehalten wurde, wie sie es im Vorfeld mit den Departments Kostüm und Regieassistenz abgesprochen hat: dass Genitalabdeckungen und Bademäntel bereit stehen und dass das Set geschlossen ist, also nur die allernötigsten Crewmitglieder anwesend sind. Sie probt mehrfach die Intimszene mit den Darstellern. 

Julia Effertz blickt direkt in die Kamera
Intimitätskoordinatorin Julia EffertzBild: Teresa Marenzi

An ihrer Position reizt sie die seltene Kombination aus Arbeitsschutz und kreativem Storytelling. "Schöner kann ein Job nicht sein", so Effertz. Nach dem Dreh führt sie Abschlussgespräche mit der Regie und den SchauspielerInnen: Wurde die Szene der Vision der Regie gerecht? Finden die Schauspieler aus der Rolle gut wieder hinaus? Letzteres sei besonders wichtig bei belastenden Inhalten wie der Darstellung von nicht einvernehmlichem Sex oder anderen, besonders intensiven Szenen.

Mehr Tiefe und mehr Präzision

Immer wieder wird Julia Effertz zu ihrem Job befragt, schließlich ist sie in Deutschland Pionierin auf dem Gebiet. Die Angst, dass Sexszenen von nun an langweiliger werden könnten, sei völlig unbegründet. Das Gegenteil sei der Fall: "Eine Szene kann auch gerne erotischer werden". Und Effertz betont: "Ich bin nicht die Genderbeauftragte, Security oder Zensur". Stattdessen arbeite sie gemeinsam mit der Regie und den Schauspielerinnen und Schauspielern an einer kreativen und qualitativ hochwertigen Szene. 

Effertz betrachtet die Thematik auch aus der Rolle der Konsumentin heraus: "Ich will einfach gute Geschichten sehen". Und wenn nach best practice gearbeitet wurde, sehe man das eindeutig am Ergebnis: "ein klarer Ausdruck beider Figuren", Tiefe und Präzision. 

Die Entwicklung steht erst am Anfang

Der Weinstein-Prozess war laut Julia Effertz eine Zäsur, die zeigte, dass es so nicht mehr weitergehe in der Branche, und daraus seien besonders vitale Dynamiken entstanden. Doch es bleibe viel zu tun: Noch immer sei die Film- und Fernsehwelt voll von "stereotypen Kameraeinstellungen und bestimmten Erzählmustern, die immer wieder reproduziert" würden. Noch immer herrsche eine Art "Autopilot" bei Sexszenen. "Mich überrascht, dass es immer noch so langsam geht", sagt Effertz.

Der Erfolg von Filmen und Serien mit weiblichen und anderen, nicht eindeutig zuzuordnenden Blickwinkeln und Perspektiven mache sie "vorsichtig optimistisch". Ob der Blick auf die Sexszene nun ein männlicher oder ein weiblicher wäre, sei dabei völlig egal. "Vielleicht ist es ja ein non-binary Gaze", also ein Blick, der die binäre Geschlechtertrennung aufhebt und Sexszenen neu denkt? "Das ist das Spannende! Das ist, was mich begeistert."

Die Arbeit von Intimitätskoordinatorinnen wie Ita O'Brien und Julia Effertz wird dabei helfen, dass Aussagen wie die von Keira Knightley in nicht allzu ferner Zukunft nicht einmal mehr eine Schlagzeile wert sind - sondern Normalität.