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Politik

Ein Vertrag für den Zusammenhalt der EU

22. Januar 2019

Zum Wohl Europas wollen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron die Freundschaft ihrer Länder ausbauen - und Populisten in ihre Schranken verweisen. Die EU applaudiert. Aus Aachen Bernd Riegert.

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Angela Merkel and Emmanuel Macron unterzeichnen den neuen Elysée-Vertrag in Aachen
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Draußen vor dem historischen Rathaus von Aachen standen sich bei eisiger Kälte zwei kleine Gruppen von Demonstranten gegenüber, durch Polizei und Absperrgitter säuberlich auseinander gehalten. Auf der einen Seite die europafreundlichen Anhänger von "Pulse of Europe" mit ihren blauen Luftballons, auf der anderen Seite überwiegend Franzosen in gelben Westen, die gegen Staatspräsident Macron und - ihrer Meinung nach - zuviel Europa demonstrieren. Mit Trillerpfeifen und lauten Sprechchören versuchten sich die Demonstranten Gehör zu verschaffen. Im Kreuzgewölbesaal des Rathauses, hinter schweren Mauern und Butzenglasscheiben, bekamen die Festredner von den kleinen Gruppen auf dem Vorplatz nichts mit.

Im Saal waren sich alle einig, dass der neue Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur die beiden Länder enger zusammenschmieden wird, sondern auch der "wankenden" Europäischen Union helfen werde, so Frankreichs Staatspräsident Macron. Man lebe in "besonderen Zeiten", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es bedürfe "klarer, entschlossener und zukunftsorientierter Antworten". Der zunehmende Nationalismus und Populismus, auch der Brexit, setzten Europa unter Druck. In der Welt sei der Multilateralismus in Gefahr, sagte die Kanzlerin mit Blick auf die USA. "Selbstverständliches wird in Frage gestellt."

Deutschland und Frankreich bleiben Motor

"Deutschland und Frankreich müssen zu ihrer Verantwortung stehen", mahnte der französische Präsident Emmanuel Macron. Es müsse ein wirklich souveränes Europa geschaffen werden. Die deutsch-französische Freundschaft sei dafür das Fundament. Auf die sich zusammenbrauende Wut müsse eine Antwort gefunden werden. Die Gefahr komme aus dem Inneren der Gesellschaft, sagte Macron - wohl auch mit Blick auf die Gelbwesten, die seit Wochen in Frankreich gegen seine Politik auf die Straße gehen.

"Deutschland und Frankreich müssen Taktgeber sein", forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es gehe um den sozialen Zusammenhalt in der EU. Deutschland und Frankreich strebten mit dem neuen Vertrag von Aachen, der den 56 Jahre alten Elysee-Vertrag ergänzen soll, eine wirtschaftliche Konvergenz, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum an. Wo immer möglich, wollen Frankreich und Deutschland in der EU mit einheitlichen Positionen auftreten. Das bedeute viel Arbeit, so die Kanzlerin, aber sie verpflichte sich mit "voller Kraft und ganzem Herzen" dazu, den Vertrag mit Leben zu füllen.

Enge militärische Zusammenarbeit

Sowohl der französische Präsident als auch die deutsche Kanzlerin würdigten die im Vertrag vereinbarte militärische Beistandsklausel als ganz besonderes Zeichen der Freundschaft. "Noch vor wenigen Jahren wäre das nicht denkbar gewesen", so Macron. Die beiden Völker hätten einen "atemberaubenden Weg" zurückgelegt, sagte Angela Merkel und erinnerte daran, dass man erst vor wenigen Wochen des Endes des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren gedacht habe. Jetzt verpflichte man sich, gemeinsame Außenpolitik zu machen. Das sei wirklich atemberaubend, so Merkel.

Die EU mit im Boot

Eingeladen zur feierlichen Unterzeichnung des neuen Freundschaftsvertrages waren auch die Spitzenvertreter der Europäischen Union. Donald Tusk, der Chef des Europäisches Rates, der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der rumänische Präsident Klaus Iohannis als derzeitiger Ratspräsident lobten den Vertrag und gehen davon aus, dass Deutschland und Frankreich auch künftig die Integration innerhalb der EU fördern und kein Land ausschließen. "Die EU braucht ein klares Signal aus Paris und Berlin", sagte Donald Tusk. "Die Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern ist keine Alternative zur großen Zusammenarbeit zwischen allen." Auch in seiner Heimat Polen, in den baltischen Staaten und vielen östlichen Mitgliedsstaaten gebe es Millionen von Menschen, die Europa wollten.

"Deutschland und Frankreich lassen andere an ihrer Freundschaft teilhaben", gab sich der Luxemburger Jean-Claude Juncker gewiss. Diese Freundschaft sei der Garant für Frieden und Freiheit in Europa, meinte Juncker. Er könne das als jemand, der aus einem kleinen Land zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland stamme, beurteilen.

Kritik am Aachener Abkommen

Kritik an dem erneuerten deutsch-französischen Vertragswerk kommt aus Italien und Polen. Die dortigen populistischen Regierungen wollen eine Art Gegengewicht zum deutsch-französischen Tandem bilden. Das vereinbarten der italienische Innenminister Matteo Salvini und sein polnischer Amtskollege, Joachim Brudzinski, vor wenigen Tagen. Der rechtsradikale Lega-Chef Salvini warf Deutschland und Frankreich vor, sie hätten ein "Europa der Bürokraten" geschaffen. Er unterstützt die Proteste der Gelbwesten gegen den französischen Präsidenten. Im Rathaussaal wandte sich Emmanuel Macron unter großen Applaus gegen alle, die Lügen verbreiteten und versuchten, die deutsch-französische Aussöhnung zu unterwandern. Er reagierte offenbar auf Äußerungen von rechtspopulistischen Politikern in Frankreich, die behauptet hatten, der neue Vertrag von Aachen führe zu einer Unterwerfung Frankreichs unter deutsches Recht.

Deutsch-Französischer Freundschaftsvertrag
Karl der Große (Charlemagne), der vor 1200 Jahren von Aachen aus regierte, gilt als "Vater Europas"Bild: picture alliance/dpa/F. Gambarini

"Das ist natürlich Unsinn", sagte der Ministerpräsident des Saarlandes, Tobias Hans, der Deutschen Welle. Die Kritik der Rechten sei nur der Versuch, die EU zu diskreditieren. "Der Vertrag ist eine Riesenchance, die Freundschaft auszubauen." Sein Bundesland, das an Frankreich grenzt, solle das erste wirklich zweisprachige Bundesland werden, sagte der saarländische Regierungschef. Der Vertrag müsse jetzt gelebt und in viele konkrete Projekte umgesetzt werden, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr, in gemeinsamen Kindertagesstätten oder einheitlichen Verwaltungsvorschriften beiderseits der Grenzen.

Besser als Schule

2083 Städtepartnerschaften zwischen deutschen und französischen Gemeinden gibt es inzwischen, 56 Jahre nach dem ersten Freundschaftsvertrag. Acht Millionen Menschen haben an Austauschprogrammen des deutsch-französischen Jugendwerkes teilgenommen. "Der Prozess ist unumkehrbar", sagte die Bundeskanzlerin. "Aus Erbfeindschaft ist eine ewige Freundschaft geworden", lobte EU-Komissionspräsident Juncker. Als Beispiel für konkrete Zusammenarbeit waren neben den Ehrengästen Schulklassen des Sankt Leonhard Gymnasiums in den Rathaussaal eingeladen worden. Die Schülerinnen und Schüler der bilingualen Schule folgten den Reden auf Deutsch und Französisch völlig selbstverständlich. "Es ist spannend, die Politiker mal live zu sehen", meinte eine Schülerin der 11. Jahrgangsstufe. "Und immer noch besser als Unterricht", fügte sie grinsend hinzu.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union