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Politik

Deutsch-Französische Frühlingsgefühle

22. Januar 2019

Nach 56 Jahren erneuern Deutsche und Franzosen ihre Partnerschaft. Dabei ist der neue "Vertrag von Aachen" mehr als politische Folklore. Denn er könnte einen europapolitischen Aufbruch auslösen, meint Christan F. Trippe.

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Angela Merkel and Emmanuel Macron in Aachen für Felix Steiner
Bild: Reuters/W. Rattay

Ein Hauch von Kitsch liegt immer in der Luft, wenn ein alterndes Paar sein Eheversprechen erneuert. Wenn es die Phasen der Gleichgültigkeit und der Krisen überwinden will, um in einem symbolischen Akt die Partnerschaft neu zu begründen. Das ist bei Eheleuten nicht anders als bei Staaten. Der Champagner, der zu solchen Anlässen gerne gereicht wird, steigt schnell zu Kopf, seine Wirkung aber lässt auch rasch wieder nach.

Nun also haben Deutschland und Frankreich in Aachen auf die Erneuerung ihrer Partnerschaft angestoßen. Und das ist mehr als bloße Nabelschau. Es gehörte immer zu den Leitsätzen der deutschen Außenpolitik, dass die Bundesrepublik niemals in eine Lage geraten wollte, in der sie sich zwischen den USA und Frankreich hätte entscheiden müssen. Dieser Grundsatz mendelte sich seit 1949 durch alle Koalitionen und Kabinette, er galt weiter, als das wiedervereinigte Deutschland 1990 seine Souveränität zurückbekam. Doch nun scheint sich die Waagschale doch klar in eine Richtung zu neigen - zugunsten Frankreichs.

Neukalibrieren der Allianzen

Eine bewusst herbeigeführte Entscheidung war das nicht, jedenfalls was die Berliner Seite angeht. Aber die Gewichte haben sich in den vergangenen zwei Jahren nun einmal dramatisch verschoben. Zwar liegt der Transatlantismus noch nicht in Trümmern, aber er ist doch - Donald Trump sei Dank - akut einsturzgefährdet. Denn in dem Maße, in dem die USA immer weniger politisches Kapital zur Pflege ihrer Bündnisse einsetzen, wächst bei den enttäuschten Partnern das Befremden, beginnt das Neukalibrieren der Allianzen.

Dr. Christian F. Trippe TV Berlin
DW-Redakteur Christian F. TrippeBild: DW/B. Geilert

Der Élysée-Vertrag, der nun in Aachen erneuert worden ist, war im Kern ein Aussöhnungsvertrag zwischen Ländern, die innerhalb von 75 Jahren drei verheerende Kriege gegeneinander geführt hatten. Dem Élysée-Vertrag hatten die Deutschen noch eilig eine Präambel vorangestellt, in der die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen gewürdigt wird. Der Vertrag von Aachen kommt ohne solche Ausfallschritte aus. Er bekräftigt brav das Erreichte, aber er verwendet ungewöhnlich viele Absätze auf gemeinsames politisches Handeln. Auf Projekte der militärischen Zusammenarbeit, auf internationale Handlungsfelder, auf Institutionen wie den Weltsicherheitsrat.

Etwas kryptisch ist die Formulierung in Artikel 4 des neuen Vertrages. Darin bekräftigen Deutsche und Franzosen das militärische Beistandsversprechen der NATO - was ja völlig unnötig wäre, wenn es denn selbstverständlich wäre. Doch seit der derzeitige US-Präsident mit dem Gedanken eines Austritts seines Landes aus der Militärallianz spielt, stehen alle bündnispolitischen Gewissheiten auf dem Prüfstand.

Französische Herzensangelegenheit

Deutsche und Franzosen stellen fest, dass sie ihre "verteidigungspolitischen Zielsetzungen und Strategien einander zunehmend annähern". In Paris und in Berlin wird längst in kleinen Zirkeln darüber nachgedacht, ob und wie Frankreich sein Nuklearpotenzial in die deutsch-französische Partnerschaft einbringen könnte. Den Deutschen fällt es nicht leicht, sich auf solche strategische Denkwege zu begeben.

Auf französischer Seite aber ist das, was jetzt in Aachen geschehen ist, eine Herzensangelegenheit. Noch nie in der französischen Geschichte gab es eine Regierung, die dermaßen auf die Partnerschaft mit Deutschland fixiert war. Scheitert Präsident Emmanuel Macron und mit ihm das deutsch-französische Projekt, dann scheitert die Europäische Union. Dann hätten mit dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon und mit der rechtsradikalen Marine Le Pen zwei Politiker gute Aussichten auf die französische Präsidentschaft, die beide entschieden deutschfeindlich und nationalistisch sind.

Die politisch angeschlagene deutsche Bundeskanzlerin hat lange mit einer Antwort auf Macrons europapolitische Initiative gewartet - was zu einigem Verdruss in Paris führte. Im Vertrag von Aachen gibt Angela Merkel nun eine Antwort. Wird dieser Vertrag mit Leben gefüllt, dann kommen Deutsche und Franzosen europapolitisch einen Riesenschritt voran. Es wäre wie ein zweiter politischer Frühling. Warum soll Paris und Berlin nicht gelingen, was auch so manchem alternden Ehepaar vergönnt ist?

Christian Trippe Leiter Hauptabteilung Osteuropa
Christian F. Trippe Leiter der DW-Abteilung Osteuropa