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PolitikEuropa

"Dracron": Französisch-italienisches EU-Duo?

12. Juni 2022

Deutschland und Frankreich galten bislang als "Motor" der EU. Bildet sich mit dem Duo aus Italiens Premier DRAghi und Frankreichs Präsident MaCRON ein Gegengewicht? Eine Analyse von Bernd Riegert.

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Frankreich | Paris | Treffen von Emmanuel Macron mit Mario Draghi
Ein Herz und eine Seele: Präsident Macron, Premier Draghi im Elysee-Palast am 8. JuniBild: Francois Mori/AP/picture alliance

In den vergangenen Wochen und Monaten demonstrieren der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi große Einigkeit in europapolitischen Fragen. Sie versuchen, das "Qurinals-Abkommen", das zwischen Frankreich und Italien im November 2021 in Rom feierlich geschlossen wurde, mit Leben zu füllen. Der seit 2017 ausgehandelte Grundsatz-Vertrag wird oft mit dem "Elysee-Vertrag" und dem daraus entwickelten "Vertrag von Aachen" verglichen, die die deutsch-französischen Beziehungen besonders eng gemacht haben. Deutschland und Frankreich galten von jeher als Motor oder Tandem in der EU, ohne den oder das kein großes Vorhaben umzusetzen ist.

Rom | Freundschaftsabkommen zwischen Rom und Paris
Quirinale-Vertrag soll Freundschaft zwischen Frankreich und Italien vertiefen: Macron (li.), Draghi unterschreiben am 26. November 2021Bild: Domenico Stinellis/AP/picture alliance

Premier Draghi, der seit 2021 eine relativ stabile Technokraten-Regierung in einer Allparteien-Koalition führt, will Italien zurück in das Zentrum der europäischen Bühne führen. Die in den vergangenen Jahren, besonders unter der populistischen "5 Sterne-Bewegung", arg gebeutelten Beziehungen zum französischen Nachbarn am Mittelmeer sollen wieder verbessert und gestärkt werden. Manche Medien in Italien und Frankreich schreiben bereits über das Duo Draghi und Macron als "Dracron". Eine Anlehnung an Wortschöpfungen wie "Merkozy", die einst das deutsch-französische Führungspaar Angela Merkel und Nicolas Sarkozy beschrieben haben.

Rom und Paris im Gleichklang

Es ist auffällig, wie Macron und Draghi, beide gelernte Banker, ihre Vorstellungen zu Europa auch nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine synchronisieren. Macron schlug im Mai eine "Europäische Politische Gemeinschaft" vor, in der die Beitrittsbewerber für die EU, einschließlich der Ukraine, Georgien und Moldawien, zusammengeführt werden sollen. Diese Mitgliedschaft zweiter Klasse befürwortete Italien sofort.

Der italienische Minister für Europafragen, Vincenzo Amendola, sagte im Europaparlament, französische Vorschläge würden dazu führen, dass die Zusammenarbeit im Energiebereich und in der Außen- und Verteidigungspolitik entscheidende Schritte nach vorne machen werde. Italien unterstütze Macron ausdrücklich. "Nur durch den Zusammenhalt der EU in diesem historischen Moment können wir uns vor der Gefahr eines Krieges schützen", sagte Amendola. Italien und Frankreich sind sich auch einig, dass die EU-Verträge so geändert werden müssen, dass Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik und anderen wichtigen Fragen möglich werden. Ministerpräsident Draghi spricht von einem "pragmatischen Föderalismus". Am Ende des Weges werde es Vertragsänderungen geben müssen. Mit "Mut und Zuversicht" wolle man vorangehen.

Berlin beobachtet

Aus Berlin, von der einen Hälfte des bisher ausschlaggebenden europäischen Motors, sind solche eindeutigen Signale nicht zu vernehmen. Zur französisch-italienischen Initiative heißt es, Vertragsänderungen seien extrem schwierig. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Vorschläge Macrons für eine "Europäischen Politische Gemeinschaft" zwar "interessant", eindeutige Zustimmung wie aus Rom kam aber nicht. Scholz erinnerte Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Anfang Mai in Berlin daran, dass man den sechs beitrittswilligen Staaten auf dem Westbalkan feste Zusagen gemacht hätte. Macron sieht wie Mario Draghi Vollmitgliedschaften dieser Länder eher skeptisch. Die italienische Zeitung "Corriere della Sera" bemängelte in einem Kommentar zu Scholzens Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass es dem Kanzler an europäischen Visionen mangele. Zu den Vorschlägen Macrons und Draghis habe er nur geschwiegen.

Außerordentlicher EU-Gipfel zum Krieg in der Ukraine
Scholz und Draghi (re.) stimmen sich ab: EU-Sondergipfel nach Beginn des russischen Überfalls im FebruarBild: Olivier Hoslet, Pool/AP/picture alliance

Einheitliche Ukraine-Politik

Bei der Politik gegenüber dem russischen Aggressor und der Ukraine sind sich sowohl der französische Präsident als auch der italienische Ministerpräsident und der deutsche Bundeskanzler weitgehend einig. Sie wollen ein verhandeltes Ende des Krieges erreichen. Draghi hat sogar einen Friedensplan in Absprache mit den vereinten Nationen vorgelegt, der einen wie auch immer gearteten Kompromiss zwischen Russland und der Ukraine vorsieht. Macron sorgte mit seiner Äußerung für Aufsehen, man dürfe den russischen Machthaber Wladimir Putin nicht demütigen. Scholz ist in seiner Wortwahl nach wie vor vorsichtig und spricht nicht davon, dass Russland besiegt werden müsste. Dies wiederum hat Macron und Scholz harsche Kritik vom polnischen nationalkonservativen Präsidenten Andzrej Duda eingebracht, der die Telefonate der EU-Politiker mit Putin in einem Interview mit der Bild-Zeitung hart verurteilte. "Hat jemand so mit Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg gesprochen? Hat jemand gesagt, dass Adolf Hitler sein Gesicht wahren können muss?" Solche Stimmen kenne er nicht, meinte Duda. "Alle wussten: Man muss ihn besiegen."

Ein EU-Lobbyist für die Ukraine

Lockere Staatsfinanzen

Vollkommen einig sind sich der französische Präsident und der italienische Regierungschef, wenn es ums Geld geht. Schon vor dem Ukraine-Krieg hatten sie im Dezember 2021 in einem Beitrag für die "Financial Times" angeregt, die Staatshaushalte durch mehr Schulden auch auf EU-Ebene zu finanzieren. So sollten Investitionen in Klimaschutz und auch die Verteidigung finanziert werden. Neuerdings wollen Frankreich undItalien, beide bereits jetzt überbordend in den roten Zahlen, auch Preisdeckel für Energie in der EU einführen. Die Folgen der Inflation sollen durch mehr Schulden und einen dauerhaft veränderten Stabilitätspakt für den Euro abgemildert werden. Diesen Kurs von "Dracron" lehnt die Bundesregierung in Berlin bislang ab. Weitere EU-Schulden, für die Deutschland erheblich mit haften müsste, und eine lockere Verschuldungspolitik in der Eurozone sind mit dem deutschen Finanzminister nicht zu machen.

"Deutschland fundamental für Frankreich"

Wird also das italienisch-französische Tandem wichtiger als das deutsch-französische in der EU? Bilden sich in der Europäischen Union zwei Machtpole heraus? Der französische Historiker und Italien-Kenner Marc Lazar glaubt das nicht. In einem Interview mit der französischen Zeitung "Les Echos" sagte Lazar, für Frankreich werde die Beziehung zu Deutschland immer fundamentaler und wichtiger als andere sein. Allerdings sei die deutsch-französische Ehe etwas ermüdet und deshalb sei es kein Wunder, dass sich Macron auch nach anderen Partnern umschaue. "Französische Diplomaten schauen immer erst nach Deutschland", so Lazar, der an der Elite-Uni Science Po lehrt. "Italien träumt von einer Dreiecksbeziehung Paris-Berlin-Rom, weil es aus vielerlei historischen Gründen an einer Art Minderwertigkeitskomplex gegenüber der deutsch-französischen Bindung leidet."

Deutschland I Frankreichs Präsident Macron trifft Bundeskanzler Scholz in Berlin
Macron (li.) und Scholz am 9. Mai vor dem Brandenburger Tor: Tandem arbeitet weiterBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Beim kommenden EU-Gipfel Ende Juni wollen Macron und Draghi gemeinsam für ihre Reform-Ansätze in der Union werben. Das haben sie bei einem informellen Abendessen im Elysee-Palast in Paris vereinbart. Solche Absprachen gibt es traditionell allerdings auch zwischen dem französischen Staatspräsidenten und dem Bundeskanzler.

Scholz seinerseits steckt auch die Fühler nach Rom aus. Mit Draghi vereinbarte er Anfang April mehr Zusammenarbeit in der Rüstungs- und Verteidigungspolitik sowie bei der Innovations-Förderung. Viel Zeit bleibt Draghi für seine Europa-Pläne nicht mehr. Aus den Wahlen in Italien spätestens im kommenden Frühjahr wird er wohl nicht wieder als Ministerpräsident hervorgehen. Ihm sitzen, wie Macron, die rechten Populisten im Nacken. Sie könnten stärkste Kraft in Italien werden und dann würden die Karten wieder neu gemischt.

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union