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Politik

Der rätselhafte Fall des Moncef Kartas

Naomi Conrad | Sandra Petersmann
15. Mai 2019

UN-Mitarbeiter genießen diplomatische Immunität. Trotzdem hält Tunesien seit Wochen den wichtigsten UN-Experten für den Waffenschmuggel nach Libyen fest. Der Vorwurf: Spionage. Die DW hat den Fall recherchiert.

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NEU Moncef Kartas, UN-Experte für Waffenschmuggel
Der deutsch-tunesische UN-Waffenexperte Moncef KartasBild: AFP/Family Handout

Sie warteten in der Eingangshalle des Flughafens auf ihn, um ihn abzufangen: Haben Geheimdienste ihre Finger im Spiel? Geht es um den Schutz lukrativer Waffengeschäfte oder strategischer Interessen? Oder ist Moncef Kartas doch ein Spion? Wegen dieses Vorwurfs hat Tunesien den UN-Waffenexperten am Abend des 26. März direkt nach der Einreise festgenommen. Seitdem sitzt er im Gefängnis - mit schwerwiegenden Folgen.

Tunesien ist für die Vereinten Nationen die wichtigste Drehscheibe, um das 2011 verhängte Waffenembargo gegen Libyen zu überwachen. Das Embargo soll den Bürgerkrieg eindämmen, der das Land seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi lähmt.

Keine Reisen nach Tunesien

Doch wie die Vereinten Nationen der DW bestätigen, sind "angesichts der Unsicherheit über die Verhaftung und anhaltende Inhaftierung von Herrn Kartas" derzeit alle Reisen von UN-Waffenexperten nach Tunesien gestoppt. "Die Inhaftierung von Herrn Kartas wirkt sich negativ" auf die Kontrolle des Embargos aus.

Dabei wäre Kontrolle gerade jetzt besonders wichtig: Am 6. April 2019, also nur wenige Tage nach der Festnahme von Moncef Kartas, begann der abtrünnige libysche General Chalifa Haftar seine Offensive gegen die international anerkannte "Regierung der Nationalen Übereinkunft" von Fajis al-Sarradsch.

Haftar, der selbsternannte Feldmarschall der "Libyschen Nationalen Armee", beherrscht den Osten des Landes. Er erhält Unterstützung aus Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sein Gegenspieler al-Sarradsch hat seine Machtbasis im Westen. Zu seinen engsten Verbündeten zählen Katar und die Türkei. Beide Kontrahenten arbeiten mit rivalisierenden Milizen zusammen. Auch Al-Kaida und der selbsternannte Islamische Staat (IS) sind in der Region aktiv.

Gilt das Recht des Stärkeren? Als Chalifa Haftar auf Tripolis vorrückte, lobte ihn US-Präsident Donald Trump völlig überraschend für seinen Einsatz im Kampf gegen den Terror. In einem Telefongespräch am 15. April haben Trump und Haftar nach Angaben des Weißen Hauses sogar über ihre "gemeinsame Vision" für ein stabiles Libyen gesprochen. Auch Frankreich scheint sich Haftar anzunähern.

Nachschub trotz Waffenembargo

Um zu kämpfen, sind die Akteure auf dem libyschen Schlachtfeld auf Hilfe von außen angewiesen. Die Region ist konfliktgeladen und strotzt vor Schmuggelrouten. Schon in ihrem abschließenden Untersuchungsbericht für das Jahr 2018 hatten die UN-Waffenexperten darauf hingewiesen, dass sie vor allem im Osten Libyens "eine wachsende Zahl von gepanzerten Fahrzeugen und Pickup-Trucks" beobachtet hätten, ausgestattet "mit schweren Maschinengewehren, Mörsern und Raketenwerfern". Sie betonten, "dass alle Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen zur Umsetzung des Waffenembargos erheblich verstärken könnten."

Karte Tunesien und Nachbarländer DE

Moncef Kartas war an diesem Bericht beteiligt. Der promovierte Konfliktforscher besitzt einen deutschen und einen tunesischen Pass. Er hat nach dem Arabischen Frühling umfassend zu Tunesien und Libyen gearbeitet. In Tunesien ist er an der Beratungsfirma Maharbal beteiligt, die sich mit Sicherheitsfragen und politischer Strategie beschäftigt.

Arrest in der Ankunftshalle

Seit 2016 gehört Moncef Kartas zum sogenannten "Panel of Experts on Libya", das im Auftrag des Weltsicherheitsrats das Waffenembargo gegen Libyen überwacht. Die Mitglieder werden vom UN-Generalsekretär ernannt und genießen diplomatische Immunität, wenn sie für die UN im Einsatz sind.

Als Moncef Kartas am 26. März 2019 über Rom nach Tunis flog, sollte er dort am Rande des Gipfeltreffens der Arabischen Liga Gespräche über mögliche Verstöße gegen das libysche Waffenembargo führen. Doch dazu kam es nicht.

Kartas wurde nach der Landung am Abend in der Ankunftshalle des Flughafens Tunis-Carthage von einer Gruppe unbekannter Männer in ziviler Kleidung festgenommen, wie seine Cousine und Rechtsanwältin Sarah Zaafrani der DW schildert. "Die haben auf ihn gewartet." Dabei seien nur wenige Menschen vorab in die Reisepläne des UN-Experten eingeweiht gewesen, die sich zudem kurzfristig noch einmal geändert hätten.

Libyen Kämpfe um Tripolis
Schwere Geschütze in Libyen - wie kommen sie ins Land? Bild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Die tunesische Justiz bestätigte die Festnahme erst drei Tage später mit der Begründung, dass Kartas unter Spionageverdacht stehe - ein Vergehen, für das man in Tunesien zum Tode verurteilt werden kann, auch wenn das Land die Todesstrafe zuletzt nicht mehr vollstreckt hat.

Schutz für die Vereinten Nationen

Für die Vereinten Nationen ist die Verhaftung ein "sehr ernster Vorfall". Das Büro des UN-Generalsekretärs unterstreicht gegenüber der DW die Wichtigkeit der diplomatischen Immunität, die seit 1946 durch die "Konvention über die Privilegien und Immunitäten der Vereinten Nationen" geregelt ist. Letztlich gehe es darum, "die Interessen der Organisation zu schützen." Die UN verlangen die sofortige Freilassung ihres Experten und fordern Tunesien auf, die Anklage fallen zu lassen. 

Alle befragten Völkerrechtler haben bestätigt, dass nur der UN-Generalsekretär die Immunität von Moncef Kartas aufheben kann - wenn Tunesien zuvor einen entsprechenden Antrag stellt. Doch das ist bis heute nicht passiert. Selbst ein persönliches Gespräch von Generalsekretär Guterres mit dem tunesischen Premierminister am 30. März in Tunis blieb ergebnislos.

Besondere deutsche Verantwortung

Auch Deutschland macht diplomatischen Druck. Man fühle sich "für Moncef Kartas klar zuständig", heißt es in Berlin. Hier hat Kartas seinen Lebensmittelpunkt. Hier lebt er mit seiner Frau und seinem 14-jährigen Sohn. Außerdem hat Deutschland derzeit den Vorsitz im Libyen-Sanktionskomitee der UN und fühlt sich auch deshalb "besonders verantwortlich".

USA Deutschland und Frankreich teilen sich Vorsitz im Sicherheitsrat der UN
Deutschland hat den Vorsitz im Libyen-Sanktionskomitee der UNBild: picture-alliance/dpa/J. Schmitt-Tegge

Das Auswärtige Amt forderte schriftlich und im direkten Gespräch mit dem tunesischen Botschafter konsularischen Zugang zu Moncef Kartas. Der erste Gefängnisbesuch wurde nach Wochen des diplomatischen Tauziehens am 7. Mai gewährt.

Kartas ist inzwischen im größten Gefängnis des Landes in Mornaguia inhaftiert, rund 15 Kilometer außerhalb von Tunis. Sie könne ihren Cousin mit Essen und Medikamenten versorgen, schildert Rechtsanwältin Sarah Zaafrani telefonisch aus Tunis, doch Kartas habe keinen Zugang zu einem Telefon oder zu Büchern. Andere Familienangehörige dürften ihn erst jetzt einmal pro Woche besuchen – immer nur kurz und getrennt durch eine Glasscheibe. In seinen Verhören sei es bisher fast ausschließlich um Libyen gegangen.

Spionage und "terroristische Straftaten"

Dabei weist die Anklage in eine andere Richtung. Am 11. April, sechzehn Tage nach der Verhaftung am Flughafen, leitete die für Terror zuständige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Moncef Kartas ein. Mitangeklagt ist ein tunesischer Staatsbürger, mit dem Kartas zuletzt vor Monaten zusammengearbeitet hatte.

Die offizielle englische Übersetzung der Anklage liegt der DW vor. Danach soll der UN-Waffenexperte vorsätzlich "nationale Verteidigungsgeheimnisse" gesammelt haben, "um sie einem ausländischen Staat oder seinen Agenten offenzulegen". Weiterer Anklagepunkt: "die Nutzung von Funkfrequenzen ohne Genehmigung" in Zusammenhang mit der Begehung "terroristischer Straftaten".

Konkrete Beweise haben die tunesischen Behörden bisher nicht öffentlich gemacht. Alle schriftlichen und telefonischen Anfragen der DW blieben unbeantwortet.  

Tatsächlich war Moncef Kartas in Besitz eines Geräts, mit dem Amateur-Flightspotter Flugzeuge orten können. Vor allem darauf scheint sich die Staatsanwaltschaft zu stützen. Der Online-Händer Amazon bietet diesen sogenannten RTL-SDR Funkempfänger für rund 30 Dollar an. Das Gerät sei ideal "als allgemeiner Funkscanner", aber auch "für die Luftverkehrskontrolle" einsetzbar, heißt es in der Produktbeschreibung.

Krieg in Libyen
Die Kämpfe um Tripolis halten anBild: Getty Images/M. Turkia

Es gehört zu den Aufgaben des UN-Expertenpanels, die Einhaltung des libyschen Waffenembargos zu Land, zu Wasser und in der Luft zu überwachen. Nach Angaben von Kollegen benutzte Kartas den Funkscanner, um Flüge zu dokumentieren, die möglicherweise das UN-Waffenembargo verletzten.

Politische Justiz in Tunis

Übt jemand von außen Druck auf Tunesien aus? Fürchten mächtige Personen in Tunesien um ihre wirtschaftlichen Interessen? Im Schmuggelgeschäft steckt sehr viel Geld. Viele Gesprächspartner, mit denen die DW den Fall Kartas diskutiert hat, wollen namentlich nicht erwähnt werden. Einige äußern Angst und fühlen sich an die dunklen Jahre unter dem gestürzten tunesischen Machthaber Ben Ali erinnert. "Wenn sie einen mit Immunität verhaften können, können sie jeden verhaften", sagt ein Kontakt.

"Das muss alles ein großes Missverständnis sein. Spionage passt einfach nicht zu ihm", schildert der Mediziner Adel Kartas der DW telefonisch aus England. Sein jüngerer Bruder sei ein "echter Idealist", der seine Arbeit für die Vereinten Nationen "sehr ernst" nehme. Er habe immer gewusst, ergänzt Adel Kartas, dass die Arbeit eines Waffenexperten auch mal gefährlich werden könnte, "doch ich dachte, dass mein Bruder durch die Vereinten Nationen geschützt ist."

Auch Wolfram Lacher ist ratlos. Der Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist ein Kollege und Freund von Moncef Kartas. Er weist darauf hin, dass auch andere den Schmuggel von und den Handel mit Waffen, Menschen und Öl im Norden Afrikas dokumentieren. "Es muss sich um ein politisch motiviertes Verfahren handeln."

Khalifa Haftar
Chalifa Haftar, Anführer der selbsternannten "Libyschen Nationalen Armee"Bild: Getty Images/AFP/F. Monteforte

Derzeit deutet nichts darauf hin, dass Moncef Kartas schnell freikommt. Im Nachbarland Libyen ist die Offensive von Chalifa Haftar vor Tripolis ins Stocken geraten. Auch Tunesien leidet unter dem Blutvergießen. Nach Angaben des UN-Expertenpanels um Moncef Kartas stammten die meisten Waffen, die in den vergangenen Jahren bei Terroranschlägen in Tunesien eingesetzt wurden, aus Libyen.

Mabrouka Khedir und Moncef Slimi haben die Recherche unterstützt.