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Blumen für Gysi

Marcel Fürstenau2. Oktober 2015

Der Vorzeige-Linke hält seine letzte Rede als Oppositionschef. Das Thema hätte passender nicht sein können: 25 Jahre Wiedervereinigung. Parlamentspräsident Lammert fühlt sich an eine "Regierungserklärung" erinnert.

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Gregor Gysi redet im Deutschen Bundestag (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Es gibt keinen Politiker im Deutschen Bundestag, dessen Vita facettenreicher mit der Wiedervereinigung Deutschlands verbunden ist als die Gregor Gysis. Der 1948 noch vor der Gründung der DDR geborene Berliner verkörpert seit 25 Jahren Irrungen und Wirrungen des zwar mühseligen, aber im Großen und Ganzen auch erfolgreichen Zusammenwachsens von Ost und West. Gysi formte 1990 aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die 2007 im vereinten Deutschland Teil der Partei Die Linke wurde. Allein diese Leistung ist erstaunlich angesichts der historischen Verwerfungen, die mit dem Namen SED verbunden sind.

Dass die späte Nachfolgerin der DDR-Staatspartei bei der Bundestagswahl zur stärksten Oppositionskraft aufgestiegen ist, bereitet manchen im Parlament noch immer Probleme. Das ist auch am Freitag zu spüren, als Gysi zum letzten Mal als Oppositionsführer ans Rednerpult tritt. Mitte Oktober wird seine Fraktion einen neuen Vorstand wählen, für den er nach zehn Jahren an der Spitze nicht mehr kandidiert. Diese Ära mit einer Rede zum Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit zu beenden, ist ganz nach Gysis Geschmack.

Gysi vermisst "Respekt" vor ostdeutschen Biografien

Eine Viertelstunde lang zieht der 67-Jährige eine auch persönlich gefärbte Bilanz. Sie beginnt mit einem Rückblick auf die Ursachen der Deutschen Teilung: Zweiter Weltkrieg, Millionen Tote, deutsche Schuld, Ost-West-Konflikt. Die Wiedervereinigung 1990 nach 41 Jahren staatlicher Trennung sei auch "Dank des Mutes vieler Ostdeutscher entstanden", würdigt Gysi den Anteil der DDR-Bevölkerung besonders. Als deren Anwalt im Prozess der inneren Vereinigung hat sich der gelernte Jurist von Anfang an verstanden.

Das Reichstagsgebäude mit der markanten Glaskuppel (Foto: DW)
Symbol der Wiedervereinigung: Das Reichstagsgebäude mit der markanten Glaskuppel

Die Menschen im Osten hätten viel gewonnen: Vor allem Freiheit und Demokratie sowie eine funktionierende Wirtschaft. Aber, schränkt Gysi ein, die Vor- und Nachteile hingen von der subjektiven Bewertung ab. Die Privatisierung des DDR-Volkseigentums habe dazu geführt, dass von 4,1 Millionen Arbeitsplätzen nur 1,5 Millionen übrig geblieben seien. Manche Entscheidung der verantwortlichen Treuhand-Anstalt sei "sinnvoll" gewesen, manche "willkürlich". Auch 25 Jahre danach vermisst Gysi aber vor allem "Respekt vor ostdeutschen Biografien". Persönlich erlebt er den schon lange, nennt sich selbst einen "Privilegierten".

Ungewöhnliche Sympathien für die FDP

Doch ein Stachel sitzt weiterhin tief: Die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit, wenn es um seine Rolle beim DDR-Staatssicherheitsdienst (Stasi) geht. Der Immunitätsausschuss des Bundestages sah es 1998 als erwiesen an, dass Gysi Stasi-Spitzel gewesen sei. Neben seinen eigenen Genossen stimmten damals lediglich die Freien Demokraten gegen diese Bewertung. Deswegen habe die vor zwei Jahren in der außerparlamentarischen Opposition gelandete FDP bei ihm "immer einen Stein im Brett", sagt Gysi in der Debatte zum Stand der Deutschen Einheit. Und er freut sich darüber, inzwischen von den meisten mit "Respekt" behandelt zu werden. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) kommentiert Gysis Rede freundlich-ironisch mit dem Hinweis, sie habe "streckenweise den Charakter einer Regierungserklärung" gehabt.

Weniger humorvoll reagiert Lammerts junger Fraktionskollege Mark Hauptmann auf Gysis letzte Worte als Oppositionsführer. Die Wiedervereinigung sei den früheren Kanzlern Kohl, Brandt und Adenauer zu verdanken, "nicht den Lafontaines und Gysis". Eine Anspielung auf die Haltung des SPD-Kanzlerkandidaten von 1990, Oskar Lafontaine, der damals vor einer überstürzten Zusammenführung der beiden deutschen Teilstaaten warnte. Der Linken von heute wirft der aus Weimar stammende CDU-Abgeordnete vor, keine Verantwortung für "Stacheldraht und Schießbefehl" übernommen zu haben.

Stasi-IM im Thüringer Landtag

Der 31-Jährige verknüpft seinen Vorwurf mit Kritik an den Zuständen im Thüringer Landesparlament. Zwei Abgeordnete der Linken-Fraktion hätten zu DDR-Zeiten als Informelle Mitarbeiter (IM) für die Stasi gearbeitet. Von ihnen sei die mit einer Mehrheit von einer Stimme regierende Koalition abhängig. In Thüringen gibt es seit 2014 ein rot-rot-grünes Bündnis mit dem ersten linken Ministerpräsidenten an der Spitze: Bodo Ramelow. Auch das gehört 25 Jahre nach der Wiedervereinigung zur politischen Normalität.

Der erste linke Ministerpräsident, Bodo Ramelow, nach seiner Wahl im Dezember 2014 (Foto: Reuters)
Der erste linke Ministerpräsident, Bodo Ramelow, nach seiner Wahl im Dezember 2014Bild: Reuters/R. Orlowski

Anders als noch im vergangenen Jahr bleiben die ostdeutschen Parlamentarier in der Debatte zum Stand der Deutschen Einheit nicht unter sich. Immerhin vier der elf Redner stammen aus dem Westen. Einziger prominenter Gast auf der Zuschauertribüne ist der frühere DDR-Bürgerrechtler Roland Jahn. Der heutige Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde gehört seit jeher zu den größten Kritikern Gregor Gysis. Jahn wird sich seine eigenen Gedanken gemacht haben, als er den aus Frankfurt am Main stammenden SPD-Abgeordneten Axel Schäfer sagen hörte: "Herr Gysi, wir danken Ihnen für Ihre historische Leistung". Der verlässt unmittelbar nach der Debatte den Plenarsaal des Bundestages mit einem Blumenstrauß in der Hand. Das Geschenk stammt von seinen Genossen, die Mitte Oktober über seine Nachfolge an der Fraktionsspitze entscheiden werden.