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Deutsche Einheit: Stolz und Ignoranz

Marcel Fürstenau21. Februar 2014

In der Bundestagsdebatte über den Stand der Vereinigung bleiben die Ostdeutschen unter sich. Das ist kein Zufall, sondern Beleg für das weitverbreitete Desinteresse der Westdeutschen - 25 Jahre nach dem Mauerfall.

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Händedruck - Foto: Imago
Bild: imago/bonn-sequenz

Selbstverständlich ist am Freitag (21.02.2014) im Zusammenhang mit dem #link:http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Neue-Laender/Jahresbericht-Deutsche-Einheit/jahresbericht-deutsche-einheit_node.html:"Bericht zum Stand der Deutschen Einheit"# im Deutschen Bundestag wieder von "blühenden Landschaften" die Rede. Die hatte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Sommer 1990 für das Gebiet der damaligen DDR in Aussicht gestellt. Wenige Monate später war die ostdeutsche Diktatur und damit die Planwirtschaft Geschichte. Seitdem ist Deutschland vereinigt und bemüht sich um das, was bürokratisch "Angleichung der Lebensverhältnisse" genannt wird. Jedes Jahr debattiert der Bundestag darüber. Und jedes Jahr sehen die Einen "blühende Landschaften", wo die Anderen deindustrialisierte Brachen erblicken.

Dietmar Bartsch (Die Linke) - Foto: Jens Büttner (dpa)
Dietmar Bartsch (Die Linke): "Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert"Bild: picture-alliance/dpa

Es ist, wie immer, eine Frage des Blickwinkels. Zwar kann niemand halbwegs objektive Zahlen wie die über Arbeitslosigkeit oder Einkommen ignorieren, aber sie lassen sich so oder so interpretieren. #link:http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/biografien/B/bartsch_dietmar.html:Dietmar Bartsch# von den oppositionellen Linken erwähnt die 1,2 Millionen versicherungspflichtigen Arbeitsplätze, die seit 1992 im Osten verloren gegangen seien - das sind fast 18 Prozent. #link:http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/biografien/H/hauptmann_mark.html:Mark Hauptmann# von den regierenden Christdemokraten verweist lieber auf die "niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Wiedervereinigung", die mit rund elf Prozent aber immer noch fast doppelt so hoch ist wie im Westen (6,4 Prozent).

Keine schwarz-weißen Denkmuster

Bartschs Fazit ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Berliner Mauer: "Der Aufbau Ost als Nachbau West ist gescheitert." Hauptmann hingegen meint, Vollbeschäftigung in Ostdeutschland sei eine "reale" Perspektive. Die höchst unterschiedliche Wahrnehmung der beiden Abgeordneten lässt sich einerseits mit ihrer politischen Herkunft erklären, aber auch mit ihrem Alter. Bartsch war Mitglied der DDR-Staatspartei SED und beim Zusammenbruch der DDR 30 Jahre alt. Hauptmann wurde 1984 in Weimar geboren, erlebte die deutsche Vereinigung als Kind und trat als Teenager in die CDU ein.

Mark Hauptmann (CDU) - Foto: Silvera Padori-Klenke (DW)
Mark Hauptmann (CDU): "Trend zur Verharmlosung der DDR-Diktatur"Bild: DW/S. Padori-Klenke

Während Bartsch in "fabelhaft sanierten Städten" vor allem die vielen leer stehenden Läden auffallen, registriert Hauptmann bei Jüngeren einen "Trend zur Verharmlosung" der DDR-Diktatur. Als Beispiel nennt er TV-Sendungen mit Titeln wie "Nicht alles war schlecht". Die beiden so unterschiedlichen Politiker verfallen aber trotz aller Gegensätze nicht in simple schwarz-weiße Denkmuster. Bartsch freut sich im Namen der Linken über "alle Fortschritte" bei der Entwicklung der Deutschen Einheit. Hauptmann sorgt sich bei allem Optimismus über die wirtschaftliche Entwicklung des Ostens um den ländlichen Raum: Durch Abwanderung und niedrige Geburtenraten verschärfe sich dort der Facharbeitermangel, das sei "bedrohlich" für mittelständische Unternehmen.

"Ich bin stolz darauf, aus Ostdeutschland zu kommen"

In der Bundesregierung kümmert sich die Sozialdemokratin #link:http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/biografien/G/gleicke_iris.html:Iris Gleicke# von Amts wegen um die Deutsche Einheit. Als Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium ist sie zugleich Ostbeauftragte und voller Zuversicht, "etwas bewegen zu können". Dabei denkt sie bei allem Nachholbedarf für die Region östlich der Elbe auch an die strukturschwachen Gebiete im Westen der Republik. Im Osten hätten sich die Lebensverhältnisse "kontinuierlich verbessert", freut sich die 49-Jährige aus dem Thüringer Wald. Aber einen Schlussstrich dürfe man dennoch nicht ziehen, "weil die Deutsche Einheit noch nicht vollendet ist".

Wie richtig Gleickes Feststellung ist, zeigt ein Blick auf die Rednerliste in der anderthalbstündigen Debatte im Deutschen Bundestag: Alle zwölf Abgeordneten stammen aus dem Osten. Sie bleiben also unter sich, und das gilt weitgehend auch für die wenigen Parlamentskollegen, die ihnen zuhören. Die vielen abwesenden Volksvertreter aus dem Westen hätten sich wahrscheinlich vor allem über einen Satz gewundert, der von Abgeordneten aller Fraktionen zu hören war: "Ich bin stolz darauf, aus Ostdeutschland zu kommen."