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Zwischen Jena und Jemen

26. Oktober 2009

Salah al-Dumaini ergatterte nach dem Abitur ein Stipendium für ein Medizinstudium in der DDR. Mit 18 landete der Jemenit 1986 in Berlin-Schönefeld – und erschrak, wie grau der Sozialismus war.

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Der jemenitische Arzt Salah al-Dumaini in Berlin, Foto: Klaus Heymach
Hin- und hergerissen zwischen neuer und alter Heimat: Salah al-DumainiBild: Klaus Heymach

"Arbeitsmäßig fühle ich mich wie ein Deutscher", sagt Salah al-Dumaini. "Aber die Arbeit ist ja nicht alles im Leben." Der 42-jährige Oberarzt dreht die Musik in seinem schwarzen Mazda lauter. Am Rückspiegel baumelt eine silberne Gebetskette, aus den Autolautsprechern kommen orientalische Klänge. "Das ist Abu Bakr", erklärt al-Dumaini und summt die Melodie mit. "Er lebt in Saudi-Arabien, stammt aber aus dem Jemen" - so klingt Heimweh auf jeminitisch.

Salah al-Dumaini als junger Mann, Foto: Klaus Heymach
Als junger Mann ergatterte al-Dumeini ein Stipendium für die DDRBild: Klaus Heymach

Al-Dumaini lebt in Brandenburg. Der Weg von der Arbeit nach Hause führt ihn vorbei an adretten Einfamilienhäusern im Speckgürtel von Berlin. Gleich nach seinem Abitur, mit 18, kam al-Dumaini nach Deutschland. Er gehörte zu den Besten seines Jahrgangs im Jemen, deshalb spendierte ihm seine Regierung ein Stipendium. Weil 1986 kein englischsprachiges Land zu haben war, entschied er sich für die DDR. In Leipzig begann er sein Medizinstudium, in Jena machte er den Abschluss, Arzt im Praktikum, Facharzt. Heute ist al-Dumaini Urologe und Oberarzt an der Havelland-Klinik in Nauen.

Heimweh nach dem Jemen

Was ihm dort fehlt? Die Arbeitsbedingungen seien perfekt, sagt al-Dumaini, er hat dichtes schwarzes Haar, braune Augen, ein knapp gestutztes Bärtchen ums Kinn. Das Leben in Deutschland hingegen nicht ganz: "Diese Hilfsbereitschaft und dass immer jemand da ist - das gibt es nur im Jemen.", sagt er. Jedes Jahr im Sommer fliegt er deshalb mit seiner jemenitischen Frau und den drei Kindern zurück in seine alte Heimat. Seine Mutter lebt noch immer in Taiz, der zweitgrößten Stadt des Landes in den grünen Bergen. Auch die meisten seiner zehn Geschwister sind noch dort.

"Ich brauche den Kontakt zu meinem Land", sagt al-Dumaini. "Auch um zu schauen, ob sich das Land entwickelt." Er wäre als ausgebildeter Facharzt gerne in den Jemen zurückgegangen, damals hat er nach einer passenden Stelle gesucht, aber die Zustände in den meisten Krankenhäusern seien bis heute miserabel, erzählt der Urologe. "Um eine OP zu organisieren, muss man einen halben Tag hinter den Anästhesisten, den Schwestern und den Assistenten her telefonieren", sagt er. In seinem Sommerurlaub arbeitet al-Dumaini deshalb jedes Jahr ohne Bezahlung im Jemen – für Patienten, die sich eine teure Privatklinik nicht leisten können. Urlaub sei das jedoch nicht, so der Arzt, keine Erholung, "aber ich genieße es. Es ist ja auch meine Heimat, ich will etwas zurückgeben!"

Taiz im Jemen, Foto: Klaus Heymach
Die Stadt Taiz im Nordjemen ist die Heimat von Salah al-Dumaini. Beide Teile des Jemen unterhielten damals gute Beziehungen zur DDR.Bild: Klaus Heymach

Kulturschock und Trabis

An seine Ankunft im fremden Europa kann sich al-Dumaini noch genau erinnern: Es war seine erste Auslandsreise, sie führte ihn von Sanaa über Frankfurt am Main und Amsterdam nach Ost-Berlin, auf den Flughafen Schönefeld. Dort bekam der jemenitische Abiturient einen ernüchternden Eindruck vom real existierenden Sozialismus anno 1986: "Auf dem Parkplatz stand nur eine Sorte Autos, alle sahen gleich aus, nur Trabis. Wir dachten, das kann doch nicht sein", lacht er. "Wo waren die Farben geblieben, die Helligkeit aus Amsterdam? Von oben, aus dem Flugzeug hatte alles so grün ausgesehen, aber dann … Wir begannen zu verstehen, was der Unterschied zwischen Ost und West war."

Gefallen hat al-Dumaini das Studieren in den Plattenbauten trotzdem: 40 Dollar im Monat von der jemenitischen Regierung und 300 Ostmark aus dem Karl-Marx-Stipendium der DDR reichten für ein sorgenfreies Leben in Ostdeutschland. Und als Ausländer aus dem nicht-sozialistischen Nordjemen blieb al-Dumaini sogar von der ideologischen Lehre an der Uni verschont: "Marxismus-Leninismus war eigentlich für alle verpflichtend. Aber da ich aus dem Nordjemen kam, war ich davon befreit, zum Glück", sagt er.

DDR-Präsident Wilhelm Pieck mit dem jeministischen König Emir Seif el-Islam Mohammed el-Badr, im Juni 1956 in seinem Amtssitz Niederschönhausen (Von links nach rechts: Frau Grotewohl, Ministerpräsident Otto Grotewohl, Kronprinz El-Badr, Präsident Pieck, die Tochter des Präsidenten, Frau Elli Winter, Volkskammerpräsident Dr. h. o. Dieckmann), Foto: Bundesarchiv
Die DDR bot dem Jemen Bildung und Entwicklungshilfe an, auch um Einfluss auf die beiden jungen Staaten zu nehmen. Bundesarchiv: Bild 183-39459-0010 Foto: HeiligBild: Bundesarchiv

Marxistisch-leninistisch geschult wurden nur die Studenten aus den sozialistischen Bruderstaaten, erinnert sich der Oberarzt. Wie Deutschland war der Jemen geteilt, der Süden war sozialistisch. Doch die DDR unterhielt – genau wie die Bundesrepublik – gute Beziehungen zu beiden Teilen des arabischen Landes, auch zum islamisch geprägten Norden. So kam auch der Nordjemenit al-Dumaini zu seinem Studienplatz im Osten.

Bürgerliches Leben in der Gartenstadt

Junge Jemeniten im internationalen Sommerlager am Werbellinsee, Foto: Uhlemann/ Bundesarchiv
Austausch auf allen Ebenen: Ein Jemenit im Pionier-Sommerlager Bundesarchiv: Bild 183-1987-0722-041Bild: Uhlemann/ Bundesarchiv

Die Wende erlebte er mit Anfang 20 in Jena: Silvester 1989 fuhr der Mediziner mit Kommilitonen nach Berlin, um Ost- und Westdeutsche auf der Mauer tanzen zu sehen. Ein kleiner Kulturschock, der dem Jemeniten noch heute imponiert. "Ich habe live miterlebt, wie die Leute gefeiert haben, das war unglaublich!", sagt er heute, "welche Power die Leute auf einmal hatten, wie sie explodierten! – Menschen, die sonst so still und ruhig waren, das hatte ich nicht erwartet."

Nun hat sich al-Dumaini selbst für das ruhige, bürgerliche Leben in einer schmucken Neubausiedlung entschieden. Mit Frau und Kindern hat er eine lichte Wohnung in der Gartenstadt Falkenhöhe bezogen, im einstigen Grenzgebiet zwischen West-Berlin und der DDR. Im Wohnzimmer riecht es nach Weihrauch, ein bisschen Jemen in Brandenburg. In das Weihrauchland zurück will der Arzt aber erst nächsten Sommer wieder.

Autor: Klaus Heymach

Redaktion: Ina Rottscheidt