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"Beyond the Wall": Projektionen an der Mauer

12. August 2017

Gefilmt hat Stefan Roloff alles im Jahr 1984: Szenen im Todesstreifen der Berliner Mauer, beobachtet vom Westen aus. Jetzt sind die riesigen Videostills als Ausstellung auf der Rückseite der East Side Gallery zu sehen.

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Kunstinstallation "Beyond The Wall" auf der Rückseite der East Side Gallery in Berlin des Künstlers Stefan Roloff
Bild: Reuters/H.Hanschke

Erst waren es nur Videos, die direkt an der Berliner Mauer Alltagsszenen dokumentierten, gefilmt mit einer einfachen Kamera. Jetzt sind sie Kunst – in Form von Videostills und reliefartigen Portraits. Der deutsch-amerikanische Maler und Videokünstler Stefan Roloff (64) bespielt damit 229 Meter Mauerfläche auf der Rückseite der legendären Berliner East Side Gallery, dem längsten noch am Stück erhaltenen Rest der Berliner Mauer.

Zu sehen sind darauf monumental vergrößerte Videostills aus den 1980er Jahren, handwerklich eine große Herausforderung, erzählt Roloff im DW-Interview: "Das Problem damit war, dass ein VHS-Bild gedruckt auf einem Blatt Papier normalerweise nur die Größe einer Briefmarke hat - wenn es scharf sein soll. Die Möglichkeit, es drucktechnisch aufzublasen, war also nicht da. Ich brauchte eineinhalb Jahre dazu, eine Technik zu entwickeln, um diese Videostills wie Gemälde aussehen zu lassen."

Zeitgeschichte als Foto-Panorama

Auf der gesamten Länge des historischen Mauerstücks hat Roloff die Rückseite des Touristen-Hotspots zu einer Open-Air-Ausstellung gemacht, ein Filmband von drei Metern Höhe, das aus einzelnen und zu Themen gruppierten Videostills besteht - fast wie eine überlange Foto-Tapete. "Man sieht jetzt weder Pixel noch Unschärfen. Alle Konturen sind klar. Wenn man ein paar Meter zurücktritt und auf Distanz zu dem Bild geht, sieht man es in einer Schärfe wie ein fotorealistisches Gemälde."

Kunstinstallation "Beyond The Wall" auf der Rückseite der East Side Gallery in Berlin des Künstlers Stefan Roloff
Stefan Roloff geht an seiner Kunstinstallation vorbeiBild: Reuters/H.Hanschke

Entstanden sind die Videos 1984. Wochenlang hat Stefan Roloff damals den ganz normalen Alltag der NVA-Soldaten auf der DDR-Seite beobachtet und auf Video dokumentiert - als erschreckende Banalität eines Überwachungsstaates.

Der Künstler, der an der Berliner Hochschule der Künste Malerei studiert hat, gilt als Pionier der digitalen Videokunst und bearbeitet häufig Motive aus der deutschen Geschichte. Den Umbruch nach dem Fall der Mauer und dem endgültigen Ende der DDR hat er als zwiespältig erlebt.

Roloff gehörte zu den mutigen Künstlern, die vor 1989 verbotenerweise Graffiti auf die scharf bewachte Mauer gesprüht haben. "1990 wurden offiziell Graffitikünstler nach Berlin eingeladen, um die Mauer (die heutige East Side Gallery, Anmerk. d. Red.) zu bearbeiten. Ich fand das persönlich etwas sonderbar, weil ich einer derjenigen Künstler war, die zuvor die Original-Graffiti  gemacht haben, als es noch gefährlich war. Jetzt diese Fake-Graffiti zu sehen, ist für mich schon äusserst seltsam."

"Beyond the Wall": Erlebte Geschichte

Von den Aussichtstürmen im Westen aus beobachtete Roloff damals NVA-Soldaten, die im ehemaligen Todesstreifen der Berliner Mauer ihren Dienst verrichteten. Roloff filmte auf der gegenüberliegenden Westberliner Seite Alltagsszenen von erschreckender Normalität: Soldaten harken sorgsam das aufgeschüttete Sandareal, in dem versteckte Minen vergraben waren: "Vorsichtsmaßnahmen zur Sicherheit der eigenen Leute", erzählt Roloff im DW-Interview.

Kunstinstallation "Beyond The Wall" auf der Rückseite der East Side Gallery in Berlin des Künstlers Stefan Roloff
Auch die Rückseite der "East Side Gallery" ist beliebtes Selfie-Motiv für Berlin-TouristenBild: Reuters/H.Hanschke

Die East Side Gallery hat sich seit dem Mauerfall im Laufe der letzten 25 Jahre längst zum Magnet für Berlin-Touristen entwickelt. Großformatige Graffitis und Sprayerkunst zieren die Betonflächen, die inzwischen sogar als Gesamtkunstwerk urheberrechtlich geschützt ist. Doch auch die Rückseite des Mauerstücks wird als Open-Air-Galerie genutzt. Hier stellen regelmäßig bekannte Fotografen oder Künstler aus. 2016 waren dort großformatige Arbeiten des Fotografen Kai Wiedenhöfer zu sehen: Bilder aus dem Bürgerkrieg in Syrien.
Für seine aktuelle Ausstellung "Beyond the wall", die bis zum 9. November 2017 in Berlin open air zu besichtigen ist, kombiniert der in Berlin geborenen Stefan Roloff Videostills mit Portraits, Zitaten und Silhouetten von Menschen, deren Leben auf der Ostberliner Seite auf ganz andere Weise durch die Mauer geprägt waren. Abstrakte Zeitzeugen, fast schon entpersonalisiert. Erst ihre persönlich erlebten Zitate füllen die Arbeit mit Leben: "Ich habe gesehen, dass irgendwie eine Totenstille in der Stadt war", sagt beispielsweise Carola S. 

Die Mauer: Ein Ort des Schreckens

Stefan Roloff bedauert, dass nur so wenig von der Berliner Mauer erhalten geblieben ist. Kaum jemand könne sich vorstellen, was sich früher zu DDR-Zeiten dort abgespielt habe: "Die Leute sehen nur noch eine drei Meter hohe Mauer und sagen, so schlimm sieht das ja gar nicht aus. Man sieht nicht mehr, was für ein Ort das wirklich gewesen ist, was für eine schreckliche Todesmaschine - mit elektrischen Zäunen, schwer bewaffneten Wachposten, Scheinwerfern, Lastwagen und deutschen Schäferhunden."

In langen Interviews haben ehemalige DDR-Bürger Stefan Roloff von ihrer Flucht erzählt, mehr als 70 hat er nach dem Mauerfall 1989 befragt. Mario Röllig zum Beispiel, der 1987 nach einem Fluchtversuch über die ungarische Grenze verhaftet wurde und im berüchtigten Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen landete. Röllig war bei der offiziellen Ausstellungseröffnung am 13. August dabei – als lebender Zeitzeuge. Weit mehr als 100 DDR-Flüchtlinge, die zwischen dem 13. August 1961 und dem 9. November 1989 die Flucht über den schwer bewachten Todesstreifen riskierten, haben es nicht überlebt. Die genaue Zahl ist bis heute umstritten.

Info: Die Ausstellung "Jenseits der Mauer / Beyond the Wall" von Stefan Roloff wird ausgeführt von "Kunst darf alles e.V." in Kooperation mit Kulturprojekte Berlin, das Begleitprogramm gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Zu sehen ist sie bis zum 9. November 2017.