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Weltwirtschaft - nach der Inflation die Rezession?

Jo Harper
10. Juni 2023

Vor kurzem noch war die Inflation die größte wirtschaftliche Sorge vieler, doch sinkende Rohstoffpreise für Güter wie Weizen und Energie wecken nun Befürchtungen, dass eine weltweite Rezession drohen könnte.

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Gelbe Maiskörner mit Lehmschüssel im Leinensack
Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mais oder Weizen fallen weltweit, nachdem sie 2022 auf Rekordhöhen geklettert warenBild: Olena Mykhaylova/Zoonar/picture alliance

Laut dem Bloomberg Commodity Spot Index erreichten die Preise für Lebensmittel im Mai 2022, also zwei Monate nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, ein Rekordhoch. In den zwei Jahren davor waren die Preise Zahlen des Internationalen Währungsfonds zufolge weltweit bereits um nahezu 40 Prozent gestiegen. Doch für das Jahr 2023 wird davon ausgegangen, dass die Preise um 21 Prozent fallen.

Die Preise für Rohstoffe sinken bereits seit geraumer Zeit, stellt Ayhan Kose, stellvertretender Chefökonom der Weltbank, klar. "Die fallenden Rohstoffpreise sind zum Teil auf das geringere weltweite Wachstum zurückzuführen, doch das sollte nicht als Anzeichen für eine drohende weltweite Rezession gesehen werden", sagt Kose zur DW. "Wir gehen davon aus, dass die Weltwirtschaft zwar schwach ist, 2023/24 aber nicht in eine Rezession abrutschen wird. Sollten jedoch schwerwiegende Abwärtsrisiken eintreten, könnte es dazu kommen."

Mann auf Getreidefeld
Die Folgeschäden des Krieges lassen keine exakte Prognose darüber zu, wie viel Getreide die Ukraine in naher Zukunft exportieren kannBild: Efrem Lukatsky/AP/picture alliance

Seine Prognosen basieren auf der Annahme, dass sich der Stress im Bankensektor in den USA und anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften nicht ausweiten wird. Für den Rückgang des Rohstoffpreisindexes der Weltbank in den ersten fünf Monaten des Jahres 2023 macht Kose die Umlenkung wichtiger Rohstoffexporte aus Russland und der Ukraine, günstiges Winterwetter und die jüngst zu beobachtende Verlangsamung der globalen Wirtschaftstätigkeit verantwortlich.

Zerstörter Staudamm lässt Preise steigen

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FOA) erfasst die Preisentwicklung der weltweit am meisten gehandelten Lebensmittel wie Getreide, Milchprodukte und Pflanzenöle. Ihrem Preisindex zufolge sind die Preise für Lebensmittel im vergangenen Jahr um 22 Prozent gefallen. Am stärksten fielen dabei die Preise für Pflanzenöle: um ganze 48 Prozent dank niedrigerer Preise für Palm-, Soja-, Raps- und Sonnenblumenöl.

Nahezu die Hälfte des weltweit gehandelten Sonnenblumenöls wird in der Ukraine produziert. Als Russland einmarschierte, schossen die Preise nach oben, doch da nun wieder mehr exportiert werden kann, sind auch die Preise wieder gesunken. Auch die Preise für Getreide wie Weizen oder Mais sind von ihrem Rekordhoch vor einem Jahr um ein Viertel gefallen.

Im vergangenen Monat sank der Preis für Weizen um 3,5 Prozent. Laut Weltbank sorgte die Verlängerung der Schwarzmeer-Getreide-Initiative bis zum Juli 2023 für vorübergehende Entspannung, doch ob es weitere Verlängerungen geben wird, ist noch ungewiss. Engpässe später in diesem Jahr sind also denkbar.

Russland beteiligt sich wieder am Getreideabkommen

"Die Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine haben darüber hinaus zur Zerstörung eines riesigen Staudamms geführt. Das gibt neuen Befürchtungen Vorschub, wie über das Schwarze Meer die Versorgung aus dem Kriegsgebiet sichergestellt werden kann", gibt Ole Hansen, Leiter für Rohstoff-Strategie an der Saxo Bank, gegenüber der DW zu bedenken.

Im von der Zerstörung des Damms betroffenen Süden der Ukraine befinden sich riesige landwirtschaftliche Flächen. Der Wiederaufbau des Damms wird Jahre in Anspruch nehmen und könnte die Fähigkeit der Ukraine, Überflutungen in ihrer Kornkammer zu regulieren, massiv beeinträchtigen, befürchtet Scott Irwin, Professor für Agrarwirtschaft an der Universität von Illinois.

Auf und Ab der Energiepreise

Der Krieg in der Ukraine hatte im vergangenen Jahr noch weitere drastische wirtschaftliche Auswirkungen. Laut dem Aktienindex S&P 500 stieg der Wert der Unternehmen auf dem Energiesektor in den Jahren 2021 und 2022 am stärksten. Sie verzeichneten 2022, als der Einmarsch Russlands in die Ukraine die Rohölpreise nach oben trieb, einen Zuwachs von 50 Prozent. Doch nun hat sich die Stimmung gewandelt. Seit Beginn des Jahres fiel der Energiesektor um 5 Prozent, während die Marktentwicklung allgemein um 8 Prozent nach oben ging.

Verheerende Schäden nach Staudamm-Zerstörung in Ukraine

Prognosen zufolge sollen die Energiepreise in diesem Jahr um 26 Prozent sinken. Der Preis pro Barrel der Rohölsorte Brent wird 2023 voraussichtlich bei durchschnittlich 84 US-Dollar (78 Euro) liegen – das sind 16 Prozent weniger als der Durchschnittspreis des Vorjahres. Bei den Erdgaspreisen wird in Europa und den USA von einer Halbierung zwischen 2022 und 2023 ausgegangen, während bei den Preisen für Kohle im Jahr 2023 eine Reduzierung um 42 Prozent erwartet wird.

Der Erweiterung der Kapazitäten für Flüssigerdgas (LNG) ist es laut der Energy Information Administration, der US-Behörde für Energieinformationen, zu verdanken, dass der Druck auf den Erdgasmärkten nachgelassen hat. Versorgungsengpässe auf den Ölmärkten könnten die Rohölpreise wieder nach oben treiben, denn der Ausfall von Exportpipelines im Irak, Waldbrände in Kanada, Proteste in Nigeria und Wartungsarbeiten in Brasilien sowie Produktionskürzungen der OPEC+ könnten zu Produktionsrückgängen führen.

Chinas Einfluss auf die Preise für Metall

Die Preise für Käufer erreichten in dieser Woche ein Sechsmonatstief, da Spekulanten ihre Leerverkäufe erhöhten. In China erholt sich die Inlandsnachfrage langsamer als erwartet, was zu niedrigeren Preisen für Industriemetalle beiträgt. Im Jahr 2022 entfielen 23 Prozent des Bedarfs an Metallen auf die Bauindustrie. Ein geringeres Wachstum hier führt also zu einer geringeren Nachfrage nach Stahl, Aluminium und Kupfer. Auch das größere Metallangebot trug zu niedrigeren Metallpreisen bei. Die größten Anbieter wie Rio Tinto, Vale und Glencore haben alle ihre Lieferungen erhöht. Wie stabil die Metallpreise 2023 bleiben, hängt laut Weltbank davon ab, wie stark der Fertigungssektor in China wächst.

Inflation bereitet weiter Sorgen

Der deutliche Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise schlug sich im vergangenen Jahr in einer hohen Inflation nieder. Das gilt insbesondere für die Zeit nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine. Nach einem Höchststand in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 "wird die Inflation im Laufe des Jahres 2023 vermutlich langsam sinken, da sich das globale Wachstum verlangsamt, Versorgungsengpässe abgebaut werden und Rohstoffpreise sinken", vermutet Kose. "Ein Rückgang der Rohstoffpreise wird sicherlich dazu beitragen, die globale Inflation zu senken."

LNG-Terminal in Deutschland
Erdgaspreise werden 2023 weltweit voraussichtlich um die Hälfte fallenBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Doch Kose weist auch darauf hin, dass die Inflation in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften bis weit in das Jahr 2024 hinein über dem Zielwert liegen wird. "Der Rückgang der Rohstoffpreise wird nur einer von mehreren Faktoren sein, die die Zentralbanken in ihrem Kampf gegen den Preisdruck berücksichtigen werden."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.