"Weiße Folter": Die Friedensnobelpreisträgerin klagt an
"Im Iran ist eine Einzelzelle nicht mit der Isolation in westlichen Gefängnissen zu vergleichen", erklärt Taghi Rahmani, Ehemann der frischgekürten Friedensnobelpreisträgerin. Und er muss es wissen. Nach Angaben der NGO "Reporter ohne Grenzen" ist er "der am häufigsten inhaftierte Journalist im Iran".
"In einer Einzelzelle im Iran ist man eingesperrt und hat keinerlei Kommunikationsmöglichkeiten. Und auch keine anderen Optionen. Kein Treffen, kein Buch, kein Aufsatz. Man trägt eine Augenbinde und hört nur Geräusche", so Rahmani gegenüber der DW bei einer Vorführung des Films "Weiße Folter". Die Dokumentation deckt die psychologischen Foltermethoden auf, denen politische Aktivistinnen und Aktivisten in der Islamischen Republik ausgesetzt sind.
Buch und Film: Die "weiße Folter" dokumentieren
Taghi Rahmanis Frau Narges Mohammadi ist stellvertretende Vorsitzende des iranischen "Defenders of Human Rights Center" (DHRC), der 2008 von der iranischen Regierung verboten wurde - und jetzt eben auch Friedensnobelpreisträgerin. Die Schwedische Akademie zeichnete sie für ihren unermüdlichen Kampf gegen die Unterdrückung der iranischen Frauen und ihren Einsatz für Menschenrechte und Freiheit aus. Mohammadi wurde in den letzten 25 Jahren mehrfach verhaftet und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Islamische Republik sieht es nämlich nicht gern, wenn ihre Menschenrechtsbilanz überprüft wird.
Erstmals wurde sie 1998 für ein Jahr inhaftiert, weil sie die iranische Regierung kritisiert hatte. Weitere Gefängnisaufenthalte folgten. Im Mai 2016 wurde sie in Teheran schließlich zu 16 Jahren Haft verurteilt, weil sie "eine Menschenrechtsbewegung gegründet hat, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt".
Trotz aller Bemühungen des Regimes: Zum Schweigen bringen konnte es Mohammadis Stimme nicht. Die Aktivistin begann, das Leiden ihrer Mitgefangenen zu dokumentieren. In dem Buch "White Torture" schrieb sie die Interviews auf. Der gleichnamige Dokumentarfilm von Gelareh Kakavand beleuchtet die brutale Behandlung von politischen Gefangenen in Einzelhaft.
Der Ausdruck "Weiße Folter" bezeichnet eine psychologische Foltermethode, die im Iran angewandt wird: Über längere, unbestimmte Zeit werden Gefangene in einer Zelle isoliert inhaftiert, in der alles komplett weiß ist.
Nur schwer zu ertragen: Geständnisse durch Nötigung
In Berlin wurde der Film "Weiße Folter" Ende September vorgeführt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Menschenrechtsgruppe Hawar. Teilgenommen haben Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, ehemalige politische Gefangene sowie Angehörige von Häftlingen mit doppelter Staatsangehörigkeit, die derzeit im Iran inhaftiert sind.
Der Film sei nur "sehr schwer anschaubar", weil Folter explizit gezeigt wird, sagte Mariam Claren, die Tochter von Nahid Taghavi, einer politischen Gefangenen im Iran. Die iranischen Behörden wollten nicht, dass man sich den Film ansieht, so Claren - weil "White Torture" genau das ans Licht bringt, was eigentlich "nicht zu sehen ist".
In der Tat gab es offenbar einige Situationen, die zu erschütternd waren, um gezeigt zu werden. "Isolationshaft ist eine wirklich schmerzhafte Situation", sagt Autor Gelareh Kakavand. "Hinter den Kulissen dieses Dokumentarfilms gab es viele Emotionen in den Interviews, die nicht aufgezeichnet werden konnten. Ich hoffe, dass die Zuschauer diese Gefühle nach dem Ansehen des Films nachempfinden können."
Verdeckte Dreharbeiten
Ein Großteil der Dreharbeiten für den Dokumentarfilm wurde in der Zeit zwischen Narges Mohammadis vorletzter und aktueller Inhaftierung durchgeführt. Diese Aufgabe war alles andere als leicht: Um den Behörden zu entgehen, wurde eine verdeckte Operation durchgeführt.
"Die Bedingungen, unter denen der Film gedreht wurde, waren schwierig", sagt Vahid Zarezadeh. Der iranische Filmemacher war gezwungen, aus dem Iran zu fliehen. Zuvor war er verhört und bedroht worden, weil er in seinen Filmen auf die Zustände in den Gefängnissen seines Landes hingewiesen hatte. "In den ersten Minuten des Films sieht der Zuschauer, dass einer der Agenten des Informationsministeriums bei Narges Mohammadi angerufen hat. Wir gingen unangekündigt hin, um einige Interviews zu machen. Doch die Gruppe ist nicht gemeinsam zum Drehort gefahren. Narges zum Beispiel fuhr getrennt von uns, auf einem Motorrad, damit sie die Verfolger abhängen konnte."
Zum fünften Mal im Gefängnis
Narges Mohammadis Leidensweg geht unterdessen weiter: Bereits zum fünften Mal seit ihrer ersten Verhaftung im Jahr 1998 sitzt sie hinter Gittern.
Im Dezember 2022, inmitten der Proteste, die durch den Tod von Jina Mahsa Amini ausgelöst wurden, beschrieb Mohammadi in einem Bericht, der von der BBC veröffentlicht wurde, den sexuellen und körperlichen Missbrauch von inhaftierten Frauen.
Im Januar 2023 folgte ein erschütternder Bericht, in dem sie den Zustand der Frauen im Evin-Gefängnis detailliert schilderte, einschließlich einer Liste von 58 Gefangenen und der Verhöre und Folterungen, denen sie ausgesetzt waren. Das Evin-Gefängnis ist der wichtigste Ort für die Unterbringung politischer Gefangener im Iran seit 1972.
Übersetzung aus dem Englischen: Nikolas Fischer
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 27.09.2023.