1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wer die Palästinensergebiete als Staat anerkennt

Clare Roth
8. November 2023

Die Frage, ob die palästinensischen Gebiete als eigener Staat anerkannt werden sollten, ist seit Jahrzehnten umstritten. Welche Bedingungen müssen erfüllt werden, um als Staat zu gelten?

https://p.dw.com/p/4YSlZ
Eine Hand schwenkt eine palästinensische Flagge, im Hintergrund sind auf einem Platz und auf umliegenden Hausdächern in Ramallah zahlreiche Demonstrationen zu sehen
Demonstration für die palästinensische Staatlichkeit in 2011 RamallahBild: picture-alliance/dpa

Sollten die palästinensischen Gebiete als eigener Staat anerkannt werden? Unter Wissenschaftlern, Diplomaten und Regierungen herrscht in dieser Frage keine Einigkeit.

Was ist eigentlich ein Staat?

Die Entstehung und Anerkennung eines Staates kann auf zwei Wegen erfolgen, deklaratorisch oder konstitutiv.

Laut deklaratorischer Theorie muss ein Staat die 1933 in der Konvention von Montevideo festgelegten Kriterien für Staatlichkeit erfüllen, also über ein abgegrenztes Territorium, eine dort ansässige Bevölkerung und eine eigene Regierung verfügen. Außerdem muss er in der Lage sein, Beziehungen zu anderen Staaten aufzunehmen. Der Konvention zufolge ist die politische Existenz eines Staates "unabhängig von der Anerkennung durch andere Staaten".

US-Außenminister Antony Blinken spricht bei einer Nahost-Debatte im UN-Sicherheitsrat im Namen der Vereinigten Staaten
Als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats haben sich die USA schon mehrfach gegen die Anerkennung eines palästinensischen Staates ausgesprochenBild: Timothy A. Clary/AFP/Getty Images

Weiter heißt es in der Konvention: "Auch vor seiner Anerkennung hat der Staat das Recht, seine Integrität und Unabhängigkeit zu verteidigen, für seinen Erhalt und sein Wohlergehen einzustehen, sich so zu organisieren, wie er es für angemessen erachtet, seine Interessen gesetzlich zu regeln, seine Dienste zu verwalten und die Zuständigkeit seiner Gerichte festzulegen."

Die zweite Theorie über die Entstehung von Staaten, die konstitutive Theorie, fügt dem noch eine weitere Bedingung hinzu: Ein Staat ist nur dann ein Staat, wenn der Rest der Welt ihn auch als solchen anerkennt. Rechtlich festgelegt ist diese Theorie nicht, sie betrachtet vielmehr die moderne Staatlichkeit als eine Angelegenheit des Völkerrechts und der Diplomatie.

Erfüllen die palästinensischen Gebiete die Definition des Staates?

Unter Fachleuten wie etwa Staatstheoretikern herrscht Uneinigkeit darüber, ob die palästinensischen Gebiete die rechtliche Definition eines Staates erfüllen. Einige sind überzeugt, dass sie es tun, andere jedoch argumentieren, die in der Konvention von Montevideo festgehaltenen Bedingungen seien nicht erfüllt. Wieder andere lehnen die Anwendung der Konvention insgesamt ab. Sie meinen, die Hoffnungen der Palästinenser auf einen eigenen Staat könnten am ehesten durch die internationale Anerkennung erfüllt werden.

Welche Länder erkennen einen palästinensischen Staat an?

Die Mehrheit der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) - insgesamt 139 - erkennen die palästinensischen Gebiete als Staat an. Mindestens neun der fünfzehn Mitglieder des UN-Sicherheitsrats müssen den Antrag eines Staates auf Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen billigen. Legt eines der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - also China, Frankreich, die Russische Föderation, das Vereinigte Königreich oder die Vereinigten Staaten - ein Veto gegen den Antrag ein, kann der Staat kein Mitglied werden.

Derzeit werden die palästinensischen Gebiete von den USA, Frankreich und dem Vereinigten Königreich nicht als Staat anerkannt. Alle drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates wollen einer Anerkennung erst dann zustimmen, wenn der Konflikt mit Israel friedlich beigelegt ist. Unter den 27 EU-Staaten erkennen neun einen palästinensischen Staat an. Dieser Schritt erfolgte jeweils, bevor die betreffenden Länder der EU beitraten und bei fast allen handelt es sich um Staaten, die dem damaligen sowjetisch dominierten Ostblock angehörten. Die einzige Ausnahme bildet Schweden, das 2014 einen palästinensischen Staat anerkannte.

In den UN hat Palästina den Status eines beobachtenden Nichtmitgliedsstaats. Damit kann es an Sitzungen der Vollversammlung teilnehmen und Büros im UN-Hauptquartier in New York unterhalten. Weil der Status als beobachtender Nichtmitgliedsstaat 2012 zuerkannt wurde, ist Palästina seit 2015 auch Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), dem einzigen ständigen internationalen Gerichtshof, der Einzelpersonen wegen Kriegsverbrechen verfolgen kann.

2021 kündigte die damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda an, dass der Strafgerichtshof Ermittlungen zur Situation in den Palästinensergebieten einleitet. Mit dem Beitritt Palästinas zum Römischen Statut und der Mitgliedschaft im IStGH ist der IStGH rechtlich befugt, von Palästinensern oder auf palästinensischem Gebiet begangene Verbrechen zu untersuchen. Die von Israel scharf kritisierten Ermittlungen laufen noch.

Welche Auswirkungen hat eine Anerkennung?

Ein Staat kann anerkannt sein, ohne Mitglied der UN zu sein. Liechtenstein zum Beispiel kam erst im Jahr 1990 zu den Vereinten Nationen, San Marino im Jahr 1992 und die Schweiz trat sogar erst im Jahr 2002 der Weltorganisation bei. Dabei waren alle drei schon vorher als Staaten international anerkannt.

Anzeige von Abstimmungsergebnissen in der UN-Vollversammlung
Palästina hat in der UN nur den Status eines beobachtenden NichtmitgliedsstaatesBild: Bebeto Matthews/AP Photo/picture alliance

Als beobachtender Nichtmitgliedsstaat hat Palästina die Möglichkeit, die Beratungen in der Vollversammlung zu beobachten, jedoch ohne Stimmrecht. So hatte Palästina zum Beispiel keine Stimme, als in der Vollversammlung kürzlich - erfolglos - über einen Waffenstillstand im Konflikt zwischen Israel und der Hamas abgestimmt wurde. Dasselbe gilt für die in der Vollversammlung durchgesetzte Forderung nach einer "humanitären Waffenruhe".

Wo steht Deutschland?

Wie die USA und viele andere EU-Staaten lehnt auch Deutschland die Anerkennung eines palästinensischen Staates ab. Es unterstützt jedoch den "Aufbau eines zukünftigen palästinensischen Staates im Rahmen einer zwischen den Konfliktparteien verhandelten Zwei-Staaten-Lösung", so das deutsche Außenministerium.

Aus diesem Grunde verwendet Deutschland auch den Begriff "palästinensische Gebiete", wenn über das besetzte Westjordanland, Ost-Jerusalem und Gaza gesprochen wird. Geht es um palästinensische Amtsträger, spricht die deutsche Regierung von der palästinensischen Behörde oder Autonomiebehörde.

In Fällen, in denen es um den Flüchtlingsstatus von Personen geht, wurde die deutsche Position zur Anerkennung eines palästinensischen Staates bereits vor deutschen Gerichten thematisiert. Im November 2020 bestätigte ein deutsches Gericht in einer Entscheidung, dass es "keine palästinensische Staatsangehörigkeit" und keinen palästinensischen Staat gebe. Palästinensische Flüchtlinge sind demnach als "staatenlos" zu betrachten.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass sie Mehrheit der EU-Staaten, die einen palästinensischen Staat anerkennen, zuvor Teil der Sowjetunion waren. Das ist falsch. Tatsächlich gehörte keiner von ihnen zur Sowjetunion, sondern zum von der Sowjetunion dominierten Ostblock. Wir haben das korrigiert.