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PolitikUkraine

USA und Deutschland sagen Ukraine Hilfen zu

9. September 2022

Auf der US-amerikanischen Airbase in Rheinland-Pfalz haben Verteidigungsminister und hochrangige Militärs aus 50 Ländern weitere militärische Unterstützung für die Ukraine versprochen.

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Deutschland Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in RamsteinBild: Andre Pain/AFP

Das "Gesicht des Krieges" in der Ukraine ändere sich, sagt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Ramstein "und damit auch der Auftrag dieser Kontaktgruppe". Tatsächlich hat sich einiges geändert seit Beginn des Krieges: Die Ukraine hat die russische Feuerwalze mit massivem Artilleriebeschuss im Süden und Osten ihres Landes gestoppt und kann diese Woche offenbar östlich der Großstadt Charkiw mehrere hundert Quadratkilometer besetztes Gebiet zurückerobern.

Die USA und ihre Verbündeten müssten ihre "Verteidigungsindustrie wiederbeleben", fordert Austin bei dem Treffen. Es ginge darum, "sowohl den Prioritäten der Ukraine als auch unseren eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden". Das kann nur heißen: Die Ukraine soll mit noch mehr westlichem Kriegsgerät ausgestattet werden.

Vorbei die Zeit, als die Ukraine-Unterstützer im Frühjahr versuchten, der Ukraine mit alten Sowjetpanzern aus den Beständen der Armeen der ostmitteleuropäischen Nato-Staaten zu helfen. Es geht offenbar um die Integration der Ukraine in die westliche Rüstungsindustrie. Allerdings: Kiew fordert vor allem Kurzstrecken-Raketen vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Diesen Wunsch schlägt die US-Administration bislang aus, weil Kiew damit auch Ziele tief auf russischem Gebiet angreifen könnte.

Zermürbung statt "Blitzkrieg"

Die für die Ukraine vorsichtig optimistischen Meldungen über den Kriegsverlauf im Osten und Süden des Landes lassen sich unabhängig nicht bestätigen. Für die Anfang September begonnene ukrainische Offensive hat Kiew eine Nachrichtensperre verhängt. Es sei nicht der Moment, jetzt die Namen der zurückeroberten Dörfer und Kleinstädte zu nennen, sagt der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj in einer seiner täglichen Videoansprachen. Und doch tauchen diese Woche mehr und mehr Videos erfolgreicher ukrainischer Rückeroberungen in den sozialen Netzwerken auf.

Gegenoffensive im Donbass

Sie bestätigen Einschätzungen internationaler Beobachter wie vom Thinktank European Council von Foreign Relations (ECFR), wonach "die ukrainische Gegenoffensive" kein "Blitzkrieg sein wird" – dafür benötige das Land viel mehr Waffen, schreiben Margaryta Khvostova und Dmytro Kryvosheiev in einem Aufsatz rechtzeitig vor dem Treffen in Ramstein. Es gehe darum, mit Nadelstichen wie Artilleriebeschuss auf den russischen Nachschub und sparsamen Einsätzen der eigenen Soldaten die russischen Streitkräfte weiter aufzureiben. 

Keine große Gegenoffensive

"Es handelt sich nicht um eine große Gegenoffensive, sondern um eine begrenztes Vorgehen, das vor allem opportunistisch Schwachstellen in den russischen Positionen auszunutzen sucht", sagt der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange im Gespräch mit der DW. Lange hatte die frühere deutsche Verteidigungsministerium Annegret Kramp-Karrenbauer in der letzten Regierung von Angela Merkel beraten.

"Das Gelände in der Südukraine ist sehr flach", konstatiert Lange, "Man kann sehr weit sehen, wodurch jede Bewegung von Infanterie extrem gefährlich wird. Für größere Gegenangriffe und militärischen Erfolg in der Südukraine werden mehr Schützenpanzer und gepanzerte Truppentransporter sowie Kampfpanzer nötig sein."

Ukrainischer David trotzt russischem Goliath

Lange denkt an Truppenpanzer wie den deutschen Marder, den die Ukraine seit dem Frühjahr von den Deutschen fordert. Ohne Erfolg. "Frieden schaffen mit deutschen Waffen", fordert hingegen der CDU-nahe Sicherheitsexperte Lange in der deutschen Zeitschrift "Internationale Politik". Vor allem durch den russischen Raketenbeschuss auf nicht-militärische Ziele werden in der Ukraine weiter Zivilisten getötet.

Entlang der 2500 Kilometer langen Frontlinie können die ukrainischen Streitkräfte ihre Verluste offenbar durch viel Umsicht begrenzen. "Das moderne dezentrale Führungskonzept der ukrainischen Streitkräfte mit Auftragstaktik und viel Freiraum für Kommandeure erweist sich in der Verteidigung als überlegen gegenüber der starren hierarchischen russischen Führung sowjetischer Tradition", schreibt Lange. Das erkläre den relativen Erfolg des militärischen Davids Ukraine gegen den russischen Goliath, der allein mit seiner schieren Masse an Militärgerät eigentlich überlegen sei.

Dritte Phase des Krieges

Nach der Invasion der Kreml-Truppen am 24. Februar haben bewegliche ukrainische Einheiten, unterwegs zum Teil auf Motorrad-Dreirädern mit modernen, von der Schulter aus abzufeuernden Panzerabwehrwaffen vom Typ Javelin, die Invasoren nördlich der Hauptstadt Kiew zurückgeschlagen. Russland hat sich daraufhin auf den Osten und Süden der Ukraine konzentriert.

Ukraine Region Donezk | Ukrainischer Soldat mit Javelin Rakete
Ukrainischer Soldat mit Javelin-RaketeBild: Serhii Nuzhnenko/REUTERS

Im Juli begann die ukrainische Armee mit den gut 20 US-Artilleriesystemen M142 Himars (High Mobility Artillery Rocket System) und den aus den Niederlanden und Deutschland gelieferten Panzerhaubitzen 2000 gezielt den russischen Nachschub zu unterbrechen. Immer wieder brennen Munitionsdepots. US-Satellitenaufklärung und die Informationen von ukrainischen Partisanen hinter den feindlichen Linien sind offenbar weitere Schlüssel zu diesem Erfolg.

Ukraine bestätigt Angriffe auf die Krim

Vor dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt Ramstein hat der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte erklärt, wie die Ukraine die russischen Angreifer schließlich zurückschlagen könnte. Bislang, so schreibt Waleryj Saluschnyj in einem Beitrag für die staatliche ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform, könne Russland mit seinen Raketen "ungestraft" jeden Winkel der Ukraine erreichen. Vor allem vom Schwarzen Meer aus, auch von der 2014 durch Russland annektierten Halbinsel Krim.

 Walerij Saluschnyj Ukraine
Sonst dauere der Krieg ewig: Waleryj Saluschnyj, Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, fordert US-Kurzstreckenraketen vom Typ ATACMS Bild: Ukraine President's Office/Zumapress/picture alliance

Erstmals hat der Vier-Sterne-General bestätigt, dass die Explosionen auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Saki und auf verschiedene Munitionsdepots und Eisenbahnlinien auf der Krim auf das Konto der ukrainischen Streitkräfte gingen. Die Bilder russischer Krim-Urlauber, die daraufhin fluchtartig die Strände verließen, gingen um die Welt. Dass die Ukrainer so tief in "russisch kontrolliertem Raum" wie auf der Krim angreifen konnten, hat viele westliche Beobachter überrascht.

Ukraine will "Gravitationszentrum" Russlands ausschalten

In seinem Aufsatz zur Ramstein-Konferenz erklärt Saluschnyj, um was es ihm geht – und zitiert dabei den preußischen Militärphilosophen Clausewitz. Entscheidend sei zu verstehen, wo des Gegners "Gravitationszentrum" liege, wer dieses treffe, dem gehöre der Sieg. Russlands Fähigkeit, "ungestraft" Ziele überall in der Ukraine treffen zu können, sei in diesem Krieg das verbliebene Gravitationszentrum des Kreml. Das müsse neutralisiert werden, denn "solange die derzeitige Situation anhält, kann dieser Krieg noch Jahre dauern". 

Deshalb brauche die Ukraine Kurzstrecken-Raketen des Typs MGM-140 ATACMS (Army Tactical Missile System), schreibt der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte. Wenn Russlands Gravitationszentrum neutralisiert sei, wäre vieles denkbar. Vielleicht ja sogar Verhandlungen über das Ende dieses russischen Angriffskrieges.