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PolitikNahost

Türkische Umarmungsversuche in Riad und Kairo

Jennifer Holleis | Kersten Knipp
13. Mai 2021

Die Türkei bemüht sich, ihre Beziehungen zu arabischen Staaten zu verbessern, allen voran Saudi-Arabien und Ägypten. Kein leichtes Unterfangen, denn es bestehen zahlreiche schwer lösbare Interessengegensätze.

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Türkei Mevlut Cavusoglu
Gespräche in Saudi-Arabien: der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu (Archivbild)Bild: Reuters/Turkish Foreign Ministry

Erst Kairo, dann Riad: Die türkische Reisediplomatie läuft in diesen Tagen auf hohen Touren. Ziel der Unterhändler: die zuletzt sehr angespannten Beziehungen zu einer Reihe arabischer Staaten, allen voran Saudi-Arabien und Ägypten, auf ein neues Fundament zu stellen. Zu diesen Ländern hatten sich die Beziehungen in den vergangenen Jahren aufgrund einer ganzen Reihe strittiger Fragen abgekühlt.

Da die Türkei auch zur Europäischen Union in mehreren Punkten - Menschenrechte, Streit um Gasvorkommen im Mittelmeer, Flüchtlingsthematik - ein eher schwieriges Verhältnis hat, steht sie international insgesamt eher isoliert dar.

Mit Blick auf die arabische Welt gehe es ihr vor allem darum, nicht weiter als hartnäckiger, schwieriger Partner gesehen zu werden, meint John Sfakianakis, in London lebender Forschungsleiter des Gulf Research Center in Riad. Dass die neue Initiative kurzfristig zu qualitativ neuen Beziehungen führen werde, bezweifelt er allerdings: "Die Kontakte scheinen erste Versuche zu sein. Ich denke aber nicht, dass die diplomatischen und ökonomischen Beziehungen substantiell verbessert werden."

Uneins über Israel

Immerhin besteht Gesprächsbereitschaft: So traf der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu zu Beginn der Woche zu Gesprächen in Saudi-Arabien ein. Zu besprechen gab es viel. Dieser Tage besonders aktuell dürften die unterschiedlichen Standpunkte zu Israel sein. Der derzeitige militärische Schlagabtausch zwischen Israel und der Hamas belastet die Beziehungen derjenigen arabischen Staaten, die sich, wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), um ein neues Verhältnis zu Israel bemühen. 

Bildergalerie Nahost Konflikt
Israelische Vergeltungsangriffe auf den Gazastreifen (Aufnahme vom 12. Mai 2021)Bild: Youssef Massoud/AFP/Getty Images

So arbeitet auch Saudi-Arabien hinter den Kulissen seit Jahren an verbesserten Beziehungen zu Israel, unter anderem, um den Einfluss seines Rivalen Iran in der Region einzuhegen. Die Türkei hingegen spricht sich vehement gegen solche Normalisierungstendenzen aus und wittert derzeit offenbar auch eine Chance, sich in der Region an die Speerspitze derer zu stellen, die offensiv Solidarität mit der palästinensischen Seite einschließlich Hamas demonstrieren - und die Israel nicht nur als alleinigen Verantwortlichen für die Eskalation, sondern zudem als "Terrorstaat" betrachten, wie Erdogan selbst es kürzlich formulierte. 

Türkische Führungsambitionen

Auch dadurch sieht sich Riad, das zumindest traditionell eher auf stille Diplomatie setzt, unter Druck gesetzt. Denn in vielen arabischen Staaten ist die Annäherung an Israel nicht gerade populär - vor allem nicht in der jetzigen Lage. Insofern erscheint vorstellbar, dass auch arabische Staaten sich schon bald wieder genötigt sehen werden, ihre Kritik an Israel um einiges lauter und deutlicher zu formulieren. Eine  Führungsrolle der Türkei würden sie dadurch aber sicherlich nicht akzeptieren.      . 

Unterschiedlich sind auch die Positionen auf anderen Gebieten. Als Saudi-Arabien und seine Verbündeten - unter anderem Ägypten und die VAE - im Sommer 2017 einen seit kurzem beendeten Boykott gegen Katar begannen, stand die Türkei dem Emirat bei und leistete ihm durch Lebensmittelexporte wichtigen Beistand. Verbunden sind Katar und die Türkei unter anderem auch durch ihre guten Beziehungen zu den Muslimbrüdern. Deren sozialrevolutionäre und explizit politische Auslegung des Islam ist Saudi-Arabien ein Dorn im Auge. Der der Staatsführung in Riad verbundene saudische Religionsrat hatte die Bruderschaft noch im November vergangenen Jahres als "Terrororganisation" bezeichnet.

Nicht zuletzt sind die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und der Türkei auch durch die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul belastet.

Wie verärgert Saudi-Arabien derzeit über die Türkei noch ist, zeigt sich neben dem Boykott türkischer Waren auch an dem Umstand, dass das Königreich erst Ende April noch erklärte, eine Reihe türkischer Schulen schließen zu wollen.

Insgesamt agiere die Türkei aus seiner Position der Schwäche, sagt Fadi Hakura, Türkeiforscher am britischen Think Tank Chatham House. So hinke sie etwa der Wiederannäherung der Golfstaaten untereinander hinterher. "Durch sie hat sich der bisherige politische Kurs der Türkei erübrigt. Bislang konnte sie von den Spannungen am Golf profitieren. Das ist nun nicht mehr möglich."

APTOPIX Mideast Egypt abgerissenes Plakat Mohammed Morsi
Streitpunkt Muslimbrüder: Zerrissenes Plakat mit dem Konterfei des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mursi, August 2013Bild: picture alliance/AP Photo/M. Brabo

Freundliche Geste Richtung Kairo

Auch die Beziehungen der Türkei zu Ägypten, einem engen Verbündeten Saudi-Arabiens, will die Türkei nach Jahren eines frostigen Verhältnisses nun offenbar auf eine neue Grundlage stellen. So hatte Präsident Erdogan am Freitag vergangener Woche erklärt, sein Land wolle die "historische" Freundschaft zu Ägypten verstärken. Vorausgegangen waren direkte Gespräche zwischen höherrangigen Diplomaten beider Länder - die ersten seit acht Jahren.

Als Zeichen der Verständigungsbereitschaft, hatte die türkische Regierung im März der Muslimbruderschaft nahestehende TV-Kanäle in Istanbul aufgefordert, ihre Dauer-Kritik am ägyptischen Regime zu mäßigen.

Belastet sind die Beziehungen vor allem seit der Kritik der türkischen Regierung an dem Putsch gegen den ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi im Sommer 2013. Der aus den Reihen der Muslimbrüder stammende Mursi, der erste seit dem Revolutionsjahr 2011 demokratisch gewählte Präsident, war vom ägyptischen Militär gestürzt worden.

Knackpunkt Libyen

Bedeutender sind aber die unterschiedlichen Positionen im Libyen-Konflikt. Über Jahre hatten die beiden Staaten sich dort auf unterschiedlichen Seiten gegenübergestanden. In Kairo verübelt man der Türkei insbesondere deren libysches Engagement an der Seite der so genannten "Regierung der Nationalen Verständigung" unter Fayis as-Sarradsch. Diese umfasst auch islamistische Kräfte. Das war für die Ägypten ein wesentlicher Grund, die konkurrierende Regierung in Tobruk zu unterstützen. Zudem werfen viele arabischen Regime Ankara seit langem einen "neo-osmanischen", auf Machtpolitik beruhenden außenpolitischen Kurs vor.

Türkei Recep Tayyip Erdogan und Abdul Hamid Dbeibah
Der türkische Präsident Erdogan (r.) und Libyens Übergangspremier Abdul Hamid Dbeibah, April 2021 Bild: Adem Altan/AFP

Dass sich dieser Kurs substantiell ändern werde, sei freilich unwahrscheinlich, sagt John Sfakianakis vom Gulf Research Center. "Der neo-osmanische Stil gehört zu Erdogan. Symbolisch hat man das an der Umwandlung der Hagia Sofia in eine Moschee gesehen. Er ist nicht willens, sich von diesem Stil zu verabschieden." 

Ernsthafter Neubeginn?

Auch in der Außenpolitik scheint die Türkei ungeachtet der Beziehungen zu Ägypten ihren bisherigen Kurs fortsetzen zu wollen. Bei einem Besuch in Libyen Anfang Mai versuchte Außenminister Cavusoglu, die Präsenz türkischer Truppen durch den Hinweis zu legitimieren, diese seien aufgrund einer Anfrage des bisherigen libyschen Premiers Fayiz al-Sarradsch in dem Land.

Die Türkei hat aber vor allem einen wichtigen Grund, in Libyen zu bleiben: Ihre Präsenz dort ist ein wichtiges Faustpfand im Streit um die Nutzung der Gasfunde im östlichen Mittelmeer, in den sie derzeit mit mehren Anrainerstaaten - unter anderem auch Ägypten - verstrickt ist.

Dass die Türkei dieses Faustpfand ohne Not oder größere Gegenleistung aus der Hand gibt, gilt einstweilen jedoch als unwahrscheinlich.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika