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Ukraine: Wie der Krieg die Umwelt vergiftet

Veröffentlicht 6. März 2023Zuletzt aktualisiert 21. Februar 2024

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine kostet nicht nur Menschenleben, er hat auch verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Dabei lassen sich die Folgen für Mensch, Tier und Natur nur erahnen.

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Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sind die Straßen und Häuser in Cherson überflutet
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms gilt als ökologische Katastrophe.Bild: Libkos/AP Photo/picture alliance

Vor zwei Jahren begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Ein Ende scheint nicht absehbar. Doch selbst wenn noch heute jeder Beschuss eingestellt würde, keine Bomben mehr fielen und keine Raffinerien oder Industriebetriebe mehr explodieren würden - in Sicherheit sind die Menschen in der Ukraine trotzdem nicht. 

Die Auswirkungen des Krieges auf Mensch, Tier und Natur werden länger nachwirken. So kommt eine Studie über die Umweltfolgen des Ukraine-Kriegs zu dem Ergebnis, dass in den ersten eineinhalb Jahren rund 150 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 freigesetzt wurde - so viel wie die jährlichen CO2-Emissionen Belgiens. Die Schätzung stammt von der "Initiative on GHG Accounting of War", einer Gruppe von Fachleuten, die sich mit den Klimaauswirkungen des Ukraine-Krieges befasst. Die Ergebnisse präsentierten sie im Dezember 2023 auf der UN-Klimakonferenz in Dubai.

Krieg gegen Mensch und Natur

Eine neuere Analyse eines US-ukrainischen Forschungsteams liefert weitere Zahlen: Landschaftszerstörung, Beschuss, Waldbrände, Abholzung und Verschmutzung haben 30 Prozent der ukrainischen Schutzgebiete in Mitleidenschaft gezogen. Insbesondere durch die Eroberung des Kernkraftwerks Saporischschja durch Russland und die Zerstörung des Kachowka-Staudamms befürchtet das Team um Daniel Hryhorczuk, emeritierter Professor am Institut für Umwelt- und Arbeitssicherheit und Epidemiologie and der University of Illinois School of Public Health, USA, anhaltende ökologische Katastrophen.

Ukraine will Russland wegen Umweltschäden anklagen

Zudem sind Luft, Wasser und Boden in großem Umfang chemisch verseucht, 30 Prozent der Ukraine seien mit Landminen und nicht explodierten Geschossen kontaminiert. 

Befinden sie sich erst mal im Wasser oder im Boden, erreichen sie über Pflanze, Tier oder Trinkwasser früher oder später auch den Menschen. Davon gehen Toxikologen zumindest aus. Gesichertes Wissen darüber, wie sich die Substanzen im Erdreich verhalten und welchen Einfluss sie von dort auf die Gesundheit des Menschen nehmen, fehlt an vielen allerdings Stellen noch.

TNT ist krebserregend

Die gefährlichen Stoffe in der Munition sind vor allem Explosivstoffe und Schwermetalle. Zu den Explosivstoffen zählt das TNT, das zur Gruppe der Nitroaromaten gehört, die für ihre Sprengkraft bekannt sind. "Wir wissen aus Fütterungsstudien mit Ratten und Mäusen, dass TNT sehr giftig ist", sagt Professor Edmund Maser, Direktor des Instituts für Toxikologie am Universitätsklinikum in Kiel, im DW-Gespräch im März 2023. 

Maser forscht zu den Auswirkungen der Munition, die nach dem Zweiten Weltkrieg im deutschen Teil der Nord- und Ostsee versenkt wurde. 1,6 Millionen Tonnen rosten dort vor sich hin.  

Auch im Meer beobachteten Toxikologen, dass das aus den versenkten Munitionsbeständen freigesetzte TNT den Tieren in der Umgebung schadet: "TNT beeinträchtigt die Reproduktion, das Wachstum und die Entwicklung der Meerestiere", sagt Maser. "Außerdem wissen wir aus den Tierstudien, dass TNT und andere Explosivstoffe krebserregend sind."

Quecksilber, Arsen und Blei zerstören Zellen

Das gilt auch für manche Schwermetalle wie Arsen und Cadmium, die ebenfalls krebserregend seien. "Schwermetalle wie Quecksilber sind vor allem in den Zündern enthalten, wo sie als Quecksilberfulminat dafür sorgen, dass ein Sprengstoff wie TNT schneller explodiert", erklärt Maser.

Quecksilber gehört ebenfalls zu den Schwermetallen und führt zu Schäden an den Nervenzellen. "Bei ungeborenen Kindern kann es auch zu Missbildungen führen", sagt Maser. Blei könne eine ähnliche Wirkung haben und zu Entwicklungsstörungen und Fehlgeburten führen.

Kateryna Smirnova vom Sokolowskyj-Institut für Bodenkunde und Agrochemie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, einer der führenden wissenschaftlichen Einrichtungen für Bodenkunde und Bodenschutz in der Ukraine, sagt, dass Bodenproben aus der Region Charkiw bereits gezeigt hätten, dass die Konzentration an krebserregenden Schwermetallen wie Blei und Cadmium erhöht ist.

Smirnovas Kollegin Oksana Naidyonova, Mikrobiologin am Sokolowskyj-Institut, erklärt, dass die Schwermetalle die Aktivität der Bakterien im Boden negativ beeinflussen. "Sie hemmen die Entwicklung der Pflanzen und die Versorgung mit Mikronährstoffen, was zu physiologischen Störungen beiträgt und ihre Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten verringert."

Ukraine-Krieg: Wenn Forscherinnen fliehen müssen

Allerdings bleiben die Chemikalien nicht unbedingt im Boden. TNT beispielsweise könne vom Wind weggetragen und verteilt werden, so Maser. Um die tiefer im Boden befindlichen Substanzen kümmert sich der Regen. "Es kann dann sein, dass die Stoffe in das Oberflächenwasser geraten, wodurch Bäche, Flüsse und Seen kontaminiert werden", erklärt Toxikologe Maser.

Ein toxischer Kreislauf

Wenn Tiere die Chemikalien aufnehmen, können sie sich entlang der Nahrungskette anreichern und dann auch für den Menschen als Endverbraucher gefährlich werden, so Toxikologe Maser. Oder wenn der Regen versickere und die Stoffe mit diesem Sickerwasser ins Grundwasser gelangen. "Dann ist das Trinkwasser gefährdet", sagt Maser.

Das Sickerwasser könnte aber auch dazu beitragen, dass sich Quecksilber und Co. im Boden verteilen und von Pflanzen aufgenommen werden. Handelt es sich dabei um Getreide oder Gemüse, landen die Chemikalien auch auf diesem Weg letztlich im menschlichen Körper.

Umweltschäden in Milliardenhöhe

Am Beispiel der Ukraine lassen sich die immensen Kosten durch die Kriegszerstörungen veranschaulichen. Nach der neuesten Analyse hat der Krieg in der Ukraine Umweltschäden von mehr als 56,4 Milliarden US-Dollar verursacht. 

Die Forschende um Daniel Hryhorczuk fordern, die Umweltfolgen aller bewaffneten Konflikte zu untersuchen und wirksamere Maßnahmen zum Schutz der Umwelt im Krieg zu ergreifen. “Zu diesen Maßnahmen gehört auch, dass diejenigen, die für die Schädigung der Umwelt während eines Krieges verantwortlich sind, und diejenigen, die einen Krieg anzetteln, zur Verantwortung gezogen werden”, so der Appell. 

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.