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PolitikEuropa

Aktuell: Selenskyj warnt vor Atom-Katastrophe

9. August 2022

Der ukrainische Präsident zieht nach dem Beschuss des Atomkraftwerk Saporischschja einen Vergleich mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl. Die USA unterstützen Kiew mit einem weiteren großen Rüstungspaket. Ein Überblick.

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Russischer Wachsoldat vor dem AKW Saporischschja in der Ukraine
Russischer Wachsoldat vor dem Atomkraftwerk SaporischschjaBild: ALEXANDER ERMOCHENKO/REUTERS

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj erinnert nach AKW-Beschuss an Tschernobyl
  • Russische Öl-Lieferungen durch Ukraine wegen Sanktionen eingestellt 
  • US-Regierung sagt Ukraine weitere Milliardenhilfen zu
  • Zwei weitere Schiffe legen von ukrainischem Hafen ab
  • Pentagon: Bis zu 80.000 tote oder verletzte russische Soldaten

 

Nach den Angriffen auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja hat Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einer atomaren Katastrophe gewarnt und Vergleiche zum Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 gezogen. "Die Welt sollte Tschernobyl nicht vergessen und sich daran erinnern, dass das Atomkraftwerk Saporischschja das größte in Europa ist", sagte er. "Die Tschernobyl-Katastrophe war die Explosion eines Reaktors. Saporischschja hat sechs Reaktoren."

Russische Besatzungstruppen haben eigenen Angaben zufolge inzwischen Luftabwehrsysteme rund um die Anlage stationiert. "Die Luftabwehrsysteme des Kraftwerks werden verstärkt", sagte der Chef der von Moskau eingesetzten Militärverwaltung in der Region, Jewgeni Balizki, im russischen Staatsfernsehen. Seinen Angaben zufolge arbeitet das Kraftwerk derzeit normal. Die Stromleitungen und beschädigten Blöcke des Meilers seien repariert, sagte er.

Die Atomanlage im Süden der Ukraine war in den vergangenen Tagen zweimal unter Beschuss geraten. Dabei wurden Teile der Anlage beschädigt, ein Reaktor musste abgeschaltet werden. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für die Angriffe verantwortlich. Das Kraftwerk ist seit Anfang März von der russischen Armee besetzt.

Dem Bundesamt für Strahlenschutz liegen bislang keine Hinweise vor, dass in der Ukraine radioaktive Stoffe freigesetzt worden sein könnten. Das teilte die Behörde den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit.

Die Druschba-Pipeline auf dem Areal der Raffinerie im ungarischen Szazhalombatta, die vom Ölkonzern MOL betrieben wird
Die Druschba-Pipeline auf dem Areal der Raffinerie im ungarischen Szazhalombatta, die vom Ölkonzern MOL betrieben wirdBild: BERNADETT SZABO/REUTERS

Moskau: Ukraine hat Transit von russischem Öl nach Ungarn gestoppt

Der Transit von russischem Öl über die Pipeline Druschba (Freundschaft) nach Ungarn ist nach Angaben aus Moskau eingestellt worden. Der russische Pipeline-Monopolist Transneft machte für den Lieferstopp die Ukraine verantwortlich: "Tatsächlich hat (das ukrainische Unternehmen) Ukrtransnafta das Durchpumpen von Öl nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei über den Südstrang der Pipeline Druschba a  4. August um 6.10 Uhr morgens vollständig gestoppt", gab Transneft laut staatlicher russischer Nachrichtenagentur Ria Nowosti bekannt. Von ukrainischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung.

Nach Angaben von Transneft-Sprecher Igor Djomin hängt die Beendigung des Transits mit Zahlungsproblemen zusammen: Die Ukraine fordere für die Durchleitung russischen Öls Vorkasse, doch von Transneft getätigte Zahlungen seien wegen neuer europäischer Sanktionen zurückgewiesen worden. Über die Nordroute der Druschba, die durch Belarus und Polen bis nach Deutschland führt, werde hingegen weiter geliefert.

Ruinen eines Hauses in Bachmut in der ukrainischen Region Donezk
Zerstörtes Gebäude in Bachmut in der Region DonezkBild: Diego Herrera Carcedo/AA/picture alliance

Ukraine berichtet von massivem russischen Beschuss an Front

Die ukrainische Seite berichtet von massivem russischen Beschuss an der Frontlinie im Osten. Es gebe schwere Kämpfe in Orten in der Nähe der Stadt Donezk, sagt der Gouverneur der gleichnamigen Region, Pawlo Kyrylenko, im ukrainischen Fernsehen. "Die Lage ist angespannt - an der gesamten Frontlinie wird ständig geschossen."

Ein Toter bei Explosionen auf Halbinsel Krim

Auf der von Russland annektierten ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim ist lokalen und Moskauer Angaben zufolge ein Munitionsdepot auf einem Luftwaffenstützpunkt explodiert. In sozialen Netzwerken kursierende Videos zeigten Explosionen und große Rauchwolken, die bei dem Ort Nowofjodorowka unweit des Badeortes Feodossija aufgenommen worden sein sollen. Nach Behördenangaben wurde ein Mensch getötet. Touristen verließen das Gebiet fluchtartig.

Laut dem russischen Verteidigungsministerium ist die Ursache für die Detonationen noch unklar, das Munitionslager sei jedoch weder beschossen noch bombardiert worden. Manche Beobachter gehen von einem ukrainischen  Sabotageakt aus. Russland hatte die Krim im Jahr 2014 annektiert. Im Zuge des Ende Februar begonnenen Angriffskriegs forderte Moskau wiederholt die Anerkennung der Krim als russisches Staatsgebiet - was Kiew klar ablehnt. Auch international wird die Halbinsel weiterhin als ukrainisches Territorium angesehen.

Ukraine will Reisebann für Russen

Im Gespräch mit der US-Zeitung "Washington Post" hat Selenskyj einen internationalen Reisebann für alle Russen gefordert, um Moskau von einer Annexion besetzter Gebiete abzuhalten. "Die wichtigsten Sanktionen sind es, die Grenzen zu schließen, denn die Russen nehmen anderen ihr Land weg", sagte Selenskyj. Die Russen sollten "in ihrer eigenen Welt leben, bis sie ihre Philosophie ändern".

Ukrainischer Präsident Wolodymyr Selenskyj
Die Russen sollten vorerst "in ihrer eigenen Welt leben", meint SelenskyjBild: Planet Pix/ZUMA Press/dpa/picture alliance

Im russisch besetzten Teil des Gebiets Saporischschja wurde am Montag ein Referendum über einen Beitritt zur Russischen Föderation angekündigt. Ähnliche Pläne gibt es für das besetzte Gebiet Cherson.

Neue Milliardenhilfen der USA

Die US-Regierung hat das bisher größte Rüstungspaket aus eigenen Beständen für die Ukraine angekündigt. In dem eine Milliarde US-Dollar (rund 980 Millionen Euro) schweren Paket sind zusätzliche Munition, Waffen und Ausrüstung enthalten, um den kritischen Sicherheitsbedarf bei der Verteidigung des Landes zu decken, wie US-Präsident Joe Biden erklärte.

M777-Haubitzen aus US-Beständen
Diese Haubitzen aus US-Beständen gingen zuletzt an die UkraineBild: U.S. Marines/ZUMAPRESS/picture alliance

Außerdem will Washington der Regierung in Kiew weitere 4,5 Milliarden US-Dollar (rund 4,4 Milliarden Euro) für den Staatshaushalt zur Verfügung stellen. Mit dem Geld solle das durch Russlands "brutalen Angriffskrieg" verursachte Haushaltsdefizit gelindert werden, teilte die US-Behörde für internationale Entwicklung mit. Die Regierung der Ukraine werde die Mittel in Tranchen erhalten, beginnend mit einer Auszahlung von drei Milliarden Dollar im August. Die Mittel sollen dem Land über die Weltbank zur Verfügung gestellt werden.

Zwei weitere Schiffe legen von ukrainischem Hafen ab

Im Zuge der Wiederaufnahme von Getreide-Exporten aus der Ukraine haben in der Hafenstadt Tschornomorsk zwei weitere Schiffe abgelegt. Insgesamt über 70.000 Tonnen Lebensmittel würden von den beiden Frachtern durch einen Sicherheitskorridor im Schwarzen Meer transportiert, teilte das ukrainische Infrastrukturministerium am Dienstag in sozialen Netzwerken mit. Mit dem Schiff "Rahmi Yagci" gehen demnach 5300 Tonnen Sonnenblumenschrot in die Türkei. Weitere knapp 65.000 Tonnen Mais transportiert die "Ocean Lion" nach Südkorea.

Frachtschiff Ocean Lion
Die "Ocean Lion" hat den ukrainischen Hafen Tschornomorsk verlassenBild: Serhii Smolientsev/REUTERS

Schulze warnt vor Euphorie bei Getreidelieferungen

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hat auch nach dem Auslaufen erster Transportschiffe aus ukrainischen Häfen mit Getreide an Bord vor zu großer Euphorie gewarnt. "Die Getreidepreise sind zwar leicht gesunken, aber immer noch auf hohem Niveau", sagte die SPD-Politikerin der Düsseldorfer "Rheinischen Post" und dem Bonner "General-Anzeiger". Der russische Präsident Wladimir Putin habe "zu oft sein Wort gebrochen, als dass wir ihm vertrauen könnten".

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD)
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD)Bild: Florian Gaertner/photothek/picture alliance

"Für Euphorie ist dies leider kein Anlass", sagte die Ministerin weiter. "Wir können nie sicher sein, dass er nicht weiter Getreide als Waffe nutzen wird." Schulze betonte zugleich, dass jede Tonne Getreide, die exportiert werde, Menschen helfen könne, die unter hohen Lebensmittelpreisen litten.

Käufer verweigert Annahme von Getreide

Das erste Schiff, das die Ukraine seit Ende der Hafenblockade für Getreidetransporte verlassen hat, kann seine Fracht nicht löschen. Der libanesische Käufer verweigere wegen fünfmonatiger Verspätung die Annahme der Lieferung, teilt die ukrainische Botschaft im Libanon über Facebook mit.

Die Reederei suche nun nach einem anderen Käufer. Die "Razoni" hat 26.527 Tonnen Getreide geladen. Derzeit ankert sie vor der türkischen Küste.

Angeblich Anschlag auf ranghohe Regierungsmitglieder vereitelt

Der ukrainische Geheimdienst hat nach eigenen Angaben einen Anschlag russischer Spione auf Verteidigungsminister Olexij Resnikow und den Chef des Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, vereitelt. Es seien "Mörder der russischen Spezialdienste verhaftet worden, die Attentate planten", teilte der Inlandsgeheimdienst SBU auf Telegram mit. Ein zugleich veröffentlichtes SBU-Video zeigt, wie eine bewaffnete Gruppe zwei Männer in Zivil überwältigt und mit Handschellen fesselt.

Ukrainischer Verteidigungsminister Olexij Resnikow
Resnikow im April bei einer Konferenz im rheinland-pfälzischen RamsteinBild: Kai Pfaffenbach/REUTERS

Die beiden Männer wurden den Angaben zufolge in Kowel im Nordwesten der Ukraine verhaftet. Einer der mutmaßlichen Verschwörer sei aus Russland über Belarus ins Land gekommen. Sie sollen die "physische Liquidierung" von Resnikow und Budanow vorbereitet haben. Für jeden "Mord" sollen sie bis zu 150.000 Dollar (147.000 Euro) Belohnung in Aussicht gestellt bekommen haben. 

Pentagon: "Bemerkenswerte" Verluste Russlands

Im bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs sind nach Einschätzung des US-Verteidigungsministeriums bis zu 80.000 russische Soldaten getötet oder verletzt worden. "Die Russen haben vermutlich 70.000 bis 80.000 Opfer in weniger als sechs Monaten erlitten", sagte der hochrangige Pentagon-Vertreter Colin Kahl in Washington.

Russischer Soldat im Ukraine-Krieg
Russischer Soldat im Ukraine-KriegBild: Russian Defense Ministry Press/AP Photo/picture alliance

Zudem habe die russische Armee "drei- oder viertausend" gepanzerte Fahrzeuge eingebüßt, womöglich habe sie auch bald nicht mehr genug Raketen-Nachschub für ihren Krieg. Die Verluste Moskaus seien "ziemlich bemerkenswert angesichts dessen, dass die Russen nicht eines der von Wladimir Putin zu Kriegsbeginn genannten Ziele erreicht haben", sagte Kahl weiter.

as/gri/ust (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.