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KonflikteUkraine

Ukraine: Russland droht Schiffen im Schwarzen Meer

20. Juli 2023

Mit dem Ende des Getreide-Abkommens erhöht Moskau den Druck. Alle Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, würden als "potenzielle Träger militärischer Fracht" und damit als Gegner gewertet, heißt es. Ein Überblick.

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Ukraine | Getreideabkommen | Frachtschiff Tq Samsun Odessa - Istanbul
Die "Samsun" startete am Sonntag - als bisher letztes Frachtschiff mit ukrainischem Getreide - von Odessa aus ihre FahrtBild: Serhii Smolientsev/REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Moskau stuft Schiffe im Schwarzen Meer als Gegner ein
  • Ukraine droht russischen Schiffen
  • Odessa-Region wieder unter Beschuss
  • Habeck kritisiert Indiens Haltung zum russischen Angriffskrieg
  • EU plant weitere milliardenschwere Militärhilfe 

 

Nach dem Ende des Abkommens über die Ausfuhr ukrainischen Getreides will Russland Schiffe in den betroffenen Gebieten des Schwarzen Meeres als mögliche Gegner einstufen. Ab diesem Donnerstag um Mitternacht würden die Schiffe als "potenzielle Träger militärischer Fracht" eingestuft, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Es sei eine Warnung an die Schifffahrt herausgegeben worden im Zusammenhang mit dem Ende der Schwarzmeer-Initiative. Demnach seien Bereiche des Nordwestens und des Südostens der internationalen Gewässer des Schwarzen Meeres als gefährlich für die Schifffahrt eingestuft worden, hieß es in Moskau weiter.

Russland Präsident Putin in Moskau
Präsident Wladimir Putin reagiert mit seinem üblichen Reflex: "Die Schuld liegt beim Westen"Bild: Russian President Press Office/dpa/picture alliance

Begleitet von großer internationaler Kritik hatte der Kreml das Getreide-Abkommen am Montag nach rund einjähriger Laufzeit nicht mehr verlängert. Damit entfallen auch die Sicherheitsgarantien für einen sicheren Transport von Agrargütern aus ukrainischen Schwarzmeerhäfen wie Odessa. Mithilfe der Vereinbarung, die im Juli 2022 unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei zustande kam, konnten in den vergangenen Monaten trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fast 33 Millionen Tonnen Getreide auf dem Seeweg ins Ausland exportiert werden.

Ukraine droht russischen Schiffen

Als Reaktion auf Drohungen aus Moskau will die Ukraine gegen Schiffe vorgehen, die russisch kontrollierte Häfen im Schwarzen Meer anlaufen. Das Verteidigungsministerium verwies in Kiew darauf, dass solche Schiffe als Transporte von "Fracht militärischer Bestimmung" angesehen werden könnten. Die neue Regelung gelte von Mitternacht Ortszeit an.

Die Durchfahrt durch die Meerenge von Kertsch zum Asowschen Meer an der russisch besetzten Schwarzmeer-Halbinsel Krim sei bereits verboten, hieß es aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium weiter. Die ukrainische Marine hat bereits mehrfach Seedrohnen gegen Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte und mutmaßlich auch gegen die Brücke zur Halbinsel Krim eingesetzt.

Raketen aus eigener und westlicher Produktion können Ziele in etwa 300 Kilometer Entfernung erreichen. Eine Eigenproduktion soll sogar 500 Kilometer Reichweite haben. Kiew reagiert damit auf eine russische Drohung, wonach Russland nach dem Ende des Getreideabkommens alle Schiffe, die ukrainische Häfen anlaufen, als legitimes Ziel betrachtet. 

Putin gibt Westen Schuld am Scheitern des Deals

Russland ist nach Darstellung von Präsident Wladimir Putin "sofort" zu einer Rückkehr zum Getreideabkommen bereit, wenn alle dafür gestellten Bedingungen erfüllt seien. Auf einer im staatlichen Fernsehen übertragenen Sitzung mit Regierungsvertretern warf Putin dem Westen vor, das Abkommen "komplett verzerrt" zu haben. Die westliche Seite habe nicht vorgehabt, es umzusetzen. Statt bedürftigen Ländern zu helfen, hätten Kiews Unterstützer das Abkommen zu einem "Werkzeug für die Bereicherung multinationaler Konzerne und Spekulanten auf dem Weltmarkt" gemacht.

USA rechnen mit russischen Angriffen auf zivile Schiffe

Den US-Behörden lägen Informationen vor, wonach Russland zusätzliche Seeminen in den Zufahrten zu ukrainischen Schwarzmeer-Häfen verlegt habe, sagte Adam Hodge, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses. "Wir glauben, dass dies ein koordiniertes Vorgehen ist, um Angriffe auf zivile Schiffe im Schwarzen Meer zu rechtfertigen und der Ukraine die Schuld für diese Angriffe zu geben."

Nach den verheerenden russischen Angriffen auf Häfen am Schwarzen Meer hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weitere Hilfe bei der Luftverteidigung gefordert. "Bei jedem solchen Angriff appellieren wir immer wieder an unsere Partner: Die ukrainische Luftverteidigung muss gestärkt werden", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Russland hatte in den vergangenen Nächten gezielt die Hafenregion Odessa bombardiert.

Ukraine Präsident Selenskyj in Kiew
Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert weitere westliche Unterstützung bei der LuftverteidigungBild: Volodymyr Tarasov/Ukrinform/IMAGO

Durch den jüngsten Beschuss wurden dort ukrainischen Angaben zufolge rund 60.000 Tonnen Getreide vernichtet. Selenskyj sprach vom "womöglich größten Versuch Russlands seit Beginn des groß angelegten Krieges, Odessa Schaden zuzufügen". Er betonte darüber hinaus, dass solche Angriffe nicht nur die Ukraine träfen, sondern auch Länder in Afrika und Asien, in die die Nahrungsmittel hätten geliefert werden sollen.

"Getreide darf nicht in Silos verrotten"

Deutschland arbeitet nach den Worten von Außenministerin Annalena Baerbock mit seinen Verbündeten daran, sicherzustellen, dass ukrainisches Getreide auch künftig exportiert wird. Es dürfe nicht in den Silos verrotten. Eine Option ist, das Getreide nun auf dem Schienenweg auszuführen, wie Baerbock bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel erklärte. Sie warf Russland Erpressung vor. Der Kreml versuche, das Getreide als Waffe auf Kosten der Ärmsten der Welt einzusetzen. 

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell fordert angesichts der jüngsten russischen Angriffe auf Hafenanlagen am Schwarzen Meer eine Ausweitung der Militärhilfe für die ukrainischen Streitkräfte. Man habe es mit einer sehr ernsten und neuen Situation zu tun, weil in den Häfen Getreidevorräte zerstört würden und dies in anderen Teilen der Welt eine Nahrungsmittelkrise verursachen werde, erklärte der Spanier am Rande des EU-Außenministertreffens in Brüssel.

Odessa dritte Nacht in Folge unter Beschuss - viele Opfer

Die südukrainische Region Odessa ist die dritte Nacht in Folge von russischen Raketen beschossen worden. Es gab Angriffe auf die Hafenstädte Odessa und Mykolajiw. Allein im Zentrum der Großstadt  Mykolajiw  wurde ein Mensch getötet, 19 Anwohner wurden verletzt, wie die Behörden mitteilten. Gouverneur Vitali Kim schrieb im Onlinedienst Telegram: "Ein Parkhaus und ein dreistöckiges Wohnhaus stehen in Flammen." Insgesamt wurden mehrere Wohnhäuser und Garagen beschädigt. 

Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe schlugen in Mykolajiw und in Odessa russische Marschflugkörper vom Typ Oniks (NATO-Code: SS-N-26 Strobile) ein. Diese Waffen werden normalerweise gegen Schiffe eingesetzt. Sie können mit einer Geschwindigkeit von mehr als 3000 Kilometer pro Stunde auf einer Höhe von zehn bis 15 Metern fliegen. Damit sei es fast unmöglich, sie abzuschießen, sagte Luftwaffensprecher Jurij Ihnat im Fernsehen.

Das Wohngebäude und das Parkhaus in Mykolajiw wurden bei den Angriffen zerstört
Dieses Wohngebäude und ein angrenzendes Parkhaus in Mykolajiw wurden bei den Angriffen zerstört Bild: National Police of Ukraine/AP/dpa/picture alliance

Bei einem Drohnenangriff auf die seit 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim ist nach Angaben der Besatzungsbehörden eine Jugendliche getötet worden. "Durch einen feindlichen Drohneneinschlag sind in einer Ortschaft im Nordwesten der Krim vier Verwaltungsgebäude beschädigt worden", teilte der von Moskau eingesetzte Statthalter der Halbinsel, Sergej Aksjonow, in seinem Telegram-Kanal weiter mit.

Erst am Mittwoch hatten die Behörden über ein Großfeuer im Munitionsdepot eines russischen Truppenübungsplatzes auf der Krim berichtet.

EU plant weitere milliardenschwere Militärhilfe 

Die EU visiert zusätzliche Militärhilfe für die Ukraine in Höhe von bis zu 20 Milliarden Euro an. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach bei einem EU-Außenministertreffen in Brüssel von "bis zu fünf Milliarden Euro im Jahr für die nächsten vier Jahre". Dabei gehe es um ein "stabiles Instrument", um die Ukraine nicht nur monatsweise militärisch zu unterstützen, sondern über mehrere Jahre hinweg.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock signalisierte grundsätzlich Zustimmung für weitere Militärhilfe, äußerte sich aber zurückhaltend mit Blick auf die im Raum stehenden Summen. In Diplomatenkreisen hieß es, die Gespräche über die neue Ukraine-Hilfe befänden sich noch am Anfang.

Belgien | Treffen der EU-Außenminister | Josep Borrell
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte beim Außenministertreffen in Brüssel an, die Ukraine solle über Jahre unterstützt werdenBild: Sierakowski/EUC/ROPI/picture alliance

EU verlängert Sanktionen gegen Russland 

Die Europäische Union verlängert ihre Sanktionen gegen Russland um sechs Monate. Die Strafmaßnahmen seien nun bis zum 31. Januar 2024 in Kraft, teilte der EU-Rat mit. Die Sanktionen wurden 2014 nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland eingeführt und nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 verschärft.

Habeck kritisiert Indiens Haltung zum russischen Angriffskrieg

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Haltung Indiens zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kritisiert. Indien habe den Krieg bisher nicht deutlich und scharf verurteilt, sagte Habeck bei einem Besuch in der indischen Hauptstadt Neu Delhi. "Es ist ein Bruch des Völkerrechts, wie wir ihn lange nicht gesehen haben. Und das muss von der indischen Seite auch deutlicher formuliert werden."

Indien positioniert sich zum Angriffskrieg neutral, trägt westliche Sanktionen gegen Moskau nicht mit und wirbt immer wieder für eine Konfliktlösung durch Dialog. Dazu sagte Habeck im Interview der Deutschen Welle: "Ich persönlich denke, wenn es Ungerechtigkeit gibt, kann man nicht neutral bleiben. Es gibt immer einen Aggressor und einen, der das Opfer ist." Zu sagen, man unterscheide nicht zwischen Aggressor und Opfer, spiegele in gewisser Weise nicht die wirkliche Situation wider, fügte der Grünen-Politiker hinzu.

Indien hat gute Beziehungen zu westlichen Ländern, aber auch zu Russland, von dem es mit Blick auf seine militärische Ausrüstung abhängig ist. Das Land kauft aber auch zunehmend Militärausrüstung anderer Länder, unter anderem von Frankreich. Während des Krieges importierte Indien zudem mehr günstiges Öl aus Russland.

China will Handel mit Ukraine ausbauen

Das mit Russland eng verbündete China will nach eigenen Angaben den Handel mit der Ukraine ausbauen. China sei zur Zusammenarbeit bereit, um eine für beide Seiten vorteilhafte Wirtschafts- und Handelskooperation zu entwickeln, teilte Vize-Handelsminister Ling Ji nach einem Treffen mit dem  stellvertretenden Wirtschaftsminister der Ukraine, Taras Katschka, in Peking mit. Katschka sagte, die Ukraine hoffe, den Export von landwirtschaftlichen Erzeugnissen nach China zu steigern. 

USA kündigen weitere Militärhilfe an

Die US-Regierung hat neue militärische Hilfe für die Ukraine im Wert von 1,3 Milliarden US-Dollar angekündigt. Damit soll insbesondere die Verteidigung des ukrainischen Luftraums gestärkt und der Bedarf an Munition gedeckt werden, wie das Pentagon mitteilte. Die neue Ausrüstung wird den Angaben zufolge bei der Industrie beschafft und nicht aus Beständen des US-Militärs bezogen.

Nach dem heftigen russischen Beschuss von Odessa Mittwochfrüh begutachten Passanten eine abgeschossene Rakete
Nach dem heftigen russischen Beschuss von Odessa Mittwochfrüh begutachten Passanten eine abgeschossene RaketeBild: Oleksandr Gimanov/AFP/Getty Images

Das Paket umfasse Flugabwehrsysteme, Drohnen, Artilleriegranaten, Minenräumgeräte, Tanklaster, Transportfahrzeuge und Munition. Es wird das achte derartige Hilfspaket. Insgesamt haben die USA seit der russischen Invasion im Februar 2022 über 40 Milliarden Dollar in Form von Sicherheits- und Militärhilfe an die Ukraine geleistet. Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter im Abwehrkampf gegen die russische Invasion.

Prigoschin will nicht mehr in der Ukraine kämpfen

Der russische Söldnerchef Jewgeni Prigoschin hat sich knapp einen Monat nach seinem kurzen Aufstand gegen Moskaus Militärführung offenbar wieder persönlich zu Wort gemeldet. Demnach äußerte er sich in Russlands Nachbarland Belarus vor seinen Kämpfern und kündigte an, die Wagner-Truppe werde nicht mehr in der Ukraine kämpfen, sondern in Belarus ihre Kräfte für neue Einsätze in Afrika sammeln. Der 62-Jährige zeigte sich dankbar, dass Belarus die Truppe "nicht nur wie Helden, sondern auch wie Brüder" aufgenommen habe.

In den vergangenen Tagen hatte auch das Verteidigungsministerium in Minsk die Ankunft der Wagner-Kämpfer bestätigt, die nun auf einem Truppenübungsplatz nahe der Grenze zu Polen belarussische Spezialkräfte ausbilden. Das Ministerium veröffentlichte jetzt Fotos von maskierten Männern in Kampfausrüstung auf einem Übungsplatz.

Söldner-Führer Jewgeni Prigoschin bei Verlassen von Rostow am Don (Archivfoto)
Söldner-Führer Jewgeni Prigoschin beim Verlassen von Rostow am Don (Archivfoto)Bild: Wagner Group/ZUMA Wire/IMAGO

Die Aufnahme wurde auf Prigoschins offiziellem Telegram-Kanal veröffentlicht. Auf dem nach Anbruch der Dunkelheit aufgezeichneten Video ist eine Gruppe von Männern und das Profil eines Mannes zu sehen, das dem Prigoschins entspricht. Auch die Stimme ähnelt der des Mitgründers der Wagner-Gruppe. Die Authentizität konnte nicht überprüft werden. Sollte sich die Aufnahme als echt erweisen, wäre es das erste Lebenszeichen von Prigoschin seit dem abgebrochenen Aufstand im vergangenen Monat. Zuletzt war der einstige Putin-Vertraute in der Öffentlichkeit am 24. Juni in der südrussischen Stadt Rostow am Don gesehen worden.

qu/wa/se/as/uh/jj (dpa, rtr, afp)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus Kriegsgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.