Das Magazin "The Germans"
25. Januar 2013"Willkommen in einer neuen Welt." So hoffnungs- und verheißungsvoll, selbstbewusst und anmaßend begrüßte Chefredakteurin Nicole Zepter ihre Leser im Editorial zur Ausgabe 1 (Oktober/November 2012) des neuen Magazins "The Germans". Untertitel: Meinung, Zeitgeist, Hintergrund. Doch wozu braucht der deutschsprachige Zeitschriftenmarkt mit allein rund 1500 so genannten Publikumszeitschriften, im Unterschied zu Fachzeitshriften, noch einen weiteren Titel? Schließlich haben sich dort in den vergangenen zehn Jahren so einige Unisex-Magazine etabliert, die auf den ersten Blick im selben Fahrwasser schwimmen, mit Themen zu Gesellschaft, Politik, Mode. Da wäre beispielsweise die eher gefällige "Neon" des Hamburger Verlagsgiganten Gruner + Jahr für junge Erwachsene, und Geschwisterchen "Nido" für junge Erwachsene, die dazu noch Eltern sind. Oder die vierteljährlich erscheinende "Dummy", ein monothematisches Heft für Magazin-Liebhaber. Die "Monopol" für die Kunstversierten, die konservative "Cicero" für die, bei denen es eher Politik sein soll, "The Weekender" für Reisende, als "Magazin für Einblicke und Ausflüge". Dazu haben auch überregionale deutsche Zeitungen kluge, lustige und anspruchvolle wöchentliche Magazine.
Haltung gefragt
Nicole Zepter sagt trotzdem mit Nachdruck: "Wir sind ein progressives neues Magazin, wir wollen ein relevantes Korrektiv sein, eine relevante Größe auf dem Zeitschriftenmarkt und nicht irgendein Independent-Magazin." Und das nimmt man ihr auch sofort ab. Warum? Weil hinter "The Germans" eben kein großer Verlag steckt, kein politisches Lager, keine Finanzspritze. Sondern einige wenige Menschen, die sich mit "The Germans" einen Lebenstraum im Eigenverlag erfüllen: ein Magazin, das sich definiert über Haltung und Authentizität. Haltung fängt bei "The Germans" vorne an: zum Einstieg direkt vier Kommentare zu steigender Fremdenfeindlichkeit, verpatzter Energiewende, Singles und dem deutschen Sorgenkind Opel. Zwar gestaltet als Textwüste, aber danach sitzt der Leser aufrechter im Stuhl.
Auf eine gewisse Strenge hatte ihn ja schon die grimmig dreinblickenden Frau auf dem Cover der Ausgabe 2 getrimmt. Sie bebildert die Titelgeschichte, warum Frauen heute im Beruf immer noch in der Erklärungsfalle sitzen. Die Frage danach, wie wir heute leben und arbeiten wollen oder können: der Grundtenor in "The Germans".
Die ersten drei Hefte (das dritte ist fast fertig) entstanden "mit Kind auf dem Schoß zuhause", erklärt Zepter. Sie ist alleinerziehende Mutter und auch ihr Stellvertreter Jan Abele hat ein Kind, das gerade mal so alt ist wie das Magazin: vier Monate. Schlafmangel ist keine optimale Voraussetzung für zwei Redakteure, die eine Menge zu stemmen haben. Aber eine lebensnahe - und authentische. Büroräume gibt es noch nicht, keine schon fertigen Reserve-Artikel, keine ausgeklügelten Strukturen, keine "Gefäße", wie Zepter Standardrubriken nennt.
Die Deutschen in der globalisierten Welt
Zuallererst war da der Titel: "The Germans". Er bezieht sich einerseits auf die großen Vorbilder "The New Yorker" und "New York Magazine". Bei beiden beeindruckt Zepter "diese Herangehensweise, diese Augenhöhe, dieser Respekt vor Journalismus". 50.000 Zeichen Platz für eine Geschichte, etwa ein Porträt über Miuccia Prada: "Das ist toll, großartig". Andererseits spiegele der Titel "dieses neue Gefühl, das ich in mir trage, das neue Gefühl, eine Deutsche zu sein, ein "German" zu sein". Ein Magazin als Vogelperspektive: Wo stehen wir Deutsche in der globalisierten Welt, in Europa? Wie werden wir heute wahrgenommen? Aber das Magazin schaut auch raus, ganz ohne deutschen Schäferhund.Das beste Beispiel dafür ist auch gleichzeitig eins für einen Kompromiss, den die Macher zerknirscht eingehen mussten: Abgedruckt ist ein Auszug aus einem Buch des britischen Bildungsexperten Sir Ken Robinson. Ein Plädoyer für ein neues Bildungssystem - sehr lesenswert, aber erschienen bereits 2010. Eigentlich sollte eine aktuellere Rede von ihm ins Heft, für die so schnell aber die Rechte nicht geklärt werden konnten. Seine "reformierende, progressive Haltung" waren der Grund, ihn ins Heft zu holen. "Haltung" und "Korrektiv", Nicole Zepter liegen diese beiden Begriffe mindestens so sehr am Herzen wie die Authentizität.
Frei von Angst vor Fehlern
Authentisch, das heißt auch: noch nicht perfekt, nicht ohne Kompromisse. Das bezieht sich nicht nur auf Strukturen und Inhalte, sondern auch darauf, wie Geschichten und ihre Begleitumstände in "The Germans" erzählt werden. Eine junge Politikerin aus Hamburg zog ihre Aussagen zurück - kein Grund, das Porträt zu kippen. Daraus wurde ein "Protokoll eines gescheiterten Porträts". In Tel Aviv machte der Autor aus der "Reportage über das Leben junger säkularer Israeli" ein subjektives "Tagebuch einer Eskalation". Und auch die beiden Münchener Fotografen, die eine Woche bei dem mallorquinischen Modedesigner Miguel Adrover verbrachten, brachten entzückende, überraschende Bilder ein. Diese Offenheit ist erfrischend.
Bleibt zu hoffen, dass sich - per Mund-zu-Mund-Propaganda, denn Werbung gibt es nicht - genügend Leser finden. Die Druckauflage der Ausgabe 1 lag bei 50.000, doch was zählt, ist die harte Währung des Einzelverkaufs: weniger als 10.000. Für das dritte Heft hoffen Zepter und ihr Team, die Zahl knapp zu verdoppeln. Gerade laufen Gespräche mit potentiellen Investoren. "Zur Not werden wir einen Kredit aufnehmen", sagt die Chefredakteurin zum Abschied. Und meint es ernst.