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Gesellschaft

Skurrilität im kirchlichen Arbeitsrecht

30. September 2018

Ein katholisches Gymnasium hat den Anstellungsvertrag für einen Referendar zurückgezogen, weil der angehende Lehrer angekündigt hatte, seinen Lebenspartner heiraten zu wollen. Interview mit einem Kirchenrechtler.

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Homosexuelles Paar
Bild: picture-alliance/dpa/D. Naupold

DW: Die persönliche Lebenseinstellung des Lehrers stimmt nicht mit den Vorstellungen der katholischen Kirche von Ehe und Familie überein - so hieß die Begründung, den Arbeitsvertrag für den Referendar im nordrhein-westfälischen Borken zurückzuziehen. Ist das überhaupt rechtmäßig?

Thomas Schüller: Ja, es ist rechtmäßig, sofern der Referendar katholisch ist. Das liberalisierte katholische Dienst- und Arbeitsrecht aus dem Jahr 2015 hatte in einer Sache eine Veränderung gebracht: die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Ehe für alle. Seit 2002 hatten die Bischöfe erklärt, dass alle kirchlichen Mitarbeiter - egal welcher Konfession, welcher Religion und in welchem Tätigkeitsbereich - einen schweren Loyalitätsverstoß begehen und mit einer Kündigung sanktioniert werden können, wenn sie ihre homosexuelle Lebenspartnerschaft eintragen lassen.

In dem neuen Recht, das seit 2015 gilt, ist etwas Seltsames passiert: Man hat dort gesagt, dass nur katholische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht eingestellt bzw. nicht weiter beschäftigt werden können, sofern sie eine Ehe für alle eingehen. Ganz unabhängig davon, wo sie arbeiten, ob in einer Schule, im Sozialbereich oder auch im Krankenhaus. Der Grund ist einfach, dass die Ehe für alle konträr zum katholischen Verständnis steht, demnach eine Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich ist. Natürlich kann man das kritisch hinterfragen: Wir haben also hier im kirchlichen Arbeitsrecht einen Sonderbereich für katholische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und das ist eine skurrile Situation.

In gewisser Weise ist dieser Fall also rechtmäßig behandelt worden, doch wie zeitgemäß ist so eine Entscheidung?

Darüber kann man natürlich streiten. In der Tat werden natürlich jeden Tag schwule Männer und lesbische Frauen eingestellt. Denken Sie an den großen Bereich der katholischen Krankenhäuser, wo es im Bereich der Pflege sehr viele schwule und lesbische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Dort wird überhaupt nicht mehr darauf geachtet. Die Bischöfe befürchten, dass ein homosexueller Lehrer einen Skandal in einer Schule auslöst.

Doch genau das Gegenteil ist der Fall, wenn man sich die Proteste der Schülerinnen und Schüler jetzt anschaut. Sie hätten gerne diesen Referendar als Lehrer, außerdem scheint er sich ja mit dem katholischen Erziehungsideal identifiziert zu haben. In der Tat kann man dann fragen, ob es heute noch zeitgemäß ist, dass Menschen wegen ihrer Sexualität nicht beschäftigt werden oder ihnen sogar gekündigt wird. Was vor kurzem in Bayern mit einer Kindergärtnerin geschehen ist, die ihre Lebenspartnerin geheiratet hat.

Der Schulleiter hat gesagt, man müsse in Borken ausbaden, was in der katholischen Kirche geändert werden müsste. Trifft das den Kern?

Da hat er recht. Der Schulleiter hat ja nicht entschieden, sondern der Orden, der sich auch zum kirchlichen Arbeitsrecht bekannt hat. In der Tat müssen die Bischöfe, gerade auch nach den Missbrauchsskandalen, den Umgang mit dem Thema Homosexualität überdenken. Also auch darüber nachdenken, ob man mit Fällen wie diesen anders umgeht.

Wann, glauben Sie, wird das passieren? Die katholische Kirche steht ja heute so unter Druck, dass Reformen vielleicht wahrscheinlicher werden.

Die katholische Kirche denkt aber in Jahrtausenden, das ist ja das Schreckliche für die Betroffenen. Ich glaube, beim Thema Homosexualität wird es zumindest in der Weltkirche noch sehr lange dauern. Die Familiensynode hat gezeigt, dass die asiatischen, vor allem die afrikanischen Bischöfe in dem Punkt überhaupt keinen Handlungsbedarf sehen. Ich denke aber, in der Priesterausbildung in Westeuropa, in den USA und in Kanada wird man nicht mehr umhinkommen, das Thema Homosexualität anders zu betrachten.

Thomas Schüller, Theologe und Kirchenrechtler
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller bezweifelt, dass die katholische Kirche ihre Haltung zur Homosexualität schnell ändertBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Das gilt im Speziellen für Deutschland, wo wir viele katholische Beschäftigungsverhältnisse haben. Da darf es nicht sein, dass Menschen wegen ihrer Sexualität nicht angestellt werden. Hier geht es doch vor allem darum, dass wir sehr gute Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte sowie Erzieherinnen und Erzieher bekommen. Und ich hoffe, dass die deutschen Bischöfe bald den Mut fassen, die Gesetzgebung zu ändern. Aber auch im günstigsten Fall wird das noch Monate, wenn nicht gar Jahre dauern.

Wenn also ein ähnlicher Fall in zehn Jahren passiert, wie wird dann die Kirche reagieren?

Dann werden solche Fälle nicht mehr vorkommen. Ich glaube allerdings auch, dass in zehn Jahren nicht mehr so viele katholische Einrichtungen existieren, weil sie nicht mehr finanziert werden können oder aber die Akzeptanz dieser Einrichtungen nicht mehr gegeben sein wird, wie es heute noch der Fall ist, auch in so einer katholischen Gegend wie Borken.

Professor Thomas Schüller ist Theologe, Kirchenrechtler und Direktor des Instituts für katholisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Das Gespräch führte Oliver Pieper.

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur