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KonflikteEuropa

Aktuell: Raketeneinschlag kein gezielter Angriff

16. November 2022

Der polnische Präsident Duda, die USA und auch die NATO gehen von einer ukrainischen Flugabwehrrakete aus. Deutschland bietet Warschau Hilfe bei der Luftraum-Überwachung an. Ein Überblick.

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Der polnische Staatschef Andrzej Duda bei der Pressekonferenz in Warschau zu den in Przewodów eingeschlagenen Raketen
Der polnische Staatschef Andrzej Duda bei der Pressekonferenz in Warschau zu den in Przewodów eingeschlagenen Raketen Bild: Pawel Supernak/PAP/dpa/picture alliance

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Polen sieht keinen gezielten Angriff
  • USA und NATO: Hinweise auf ukrainische Flugabwehrrakete
  • Präsident Selenskyj: Es war eine russische Rakete 
  • Deutschland will Polen bei Sicherung des Luftraums helfen
  • Stromversorgung in Ukraine großenteils wiederhergestellt

 

"Wir wissen, dass es praktisch den ganzen Tag über einen russischen Raketenangriff auf die Ukraine gegeben hat", sagte Polens Präsident Andrzej Duda in Warschau. Aber der Raketeneinschlag im Grenzgebiet sei kein gezielter Angriff auf das NATO-Land gewesen. Es gebe auch keine Beweise dafür, dass die Rakete von Russland abgefeuert worden sei. Es handele sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine ukrainische Flugabwehrrakete, so Duda in Warschau. 

Die Rakete gehört nach Auskunft der Warschauer Regierung zum Flugabwehrsystem des Typs S-300. Am Ort der Explosion in dem polnischen Dorf Przewodow seien Trümmer eines solchen Flugabwehrgeschosses gefunden worden, schrieb Polens Justizminister Zbigniew Ziobro auf Twitter. Dieses werde sowohl von der russischen als auch von der ukrainischen Armee eingesetzt. "Vor Ort arbeitet ein Team aus polnischen Staatsanwälten und technischen Sachverständigen. Auch amerikanische Experten waren dort." Das Gelände werde mit 3D-Technik gescannt.

Rettungskräfte im polnischen Grenzgebiet begutachten die Schäden nach dem Einschlag
Rettungskräfte im polnischen Grenzgebiet begutachten die Schäden nach dem Einschlag Bild: UGC via REUTERS

Beim Einschlag des Geschosses in Przewodow waren am Dienstagnachmittag zwei Menschen getötet worden. Das Grenzdorf liegt etwa 60 Kilometer Luftlinie von der westukrainischen Stadt Lwiw entfernt, die auch Ziel russischer Angriffe war. Die Explosion in Przewodow ist der erste derartige Vorfall in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Biden stützt die Erkenntnisse Polens

Auch nach Einschätzung der USA ist die Rakete vermutlich nicht aus Russland abgefeuert worden. "Ich werde dafür sorgen, dass wir genau herausfinden, was passiert ist", sagte US-Präsident Joe Biden. Laut den vorliegenden Informationen über die Flugbahn sei es "unwahrscheinlich", dass die Rakete von russischem Boden aus abgeschossen worden sei, so Biden. Es gebe Hinweise, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus der Ukraine gehandelt habe.

US-Präsident Joe Biden
US-Präsident Joe Biden informiert nach einem Krisentreffen auf Bali die Presse Bild: Doug Mills/The New York Times via AP/picture alliance

Biden hatte zuvor am Rande des G20-Gipfels auf Bali zu einem Krisentreffen gerufen. An den Gesprächen hinter verschlossenen Türen nahmen unter anderen Bundeskanzler Olaf Scholz, Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel teil.

Auch die NATO hat bislang keinerlei Hinweise für einen vorsätzlichen Angriff. Das betonte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einer Sondersitzung des NATO-Rats in Brüssel. Es sei wahrscheinlich, dass eine ukrainische Luftabwehrrakete versehentlich in Polen eingeschlagen sei. Dies sei aber nicht die Schuld der Ukraine, so Stoltenberg. Russland müsse diesen "sinnlosen Krieg"
beenden. 

Krisentreffen unter anderen mit US-Präsident Joe Biden und Kanzler Olaf Scholz
Krisentreffen mit US-Präsident Joe Biden (6.v.l.) und Kanzler Olaf Scholz (3.v.l.) Bild: The Yomiuri Shimbun via AP Images/AP Photo/picture alliance

Selenskyj: "Ich denke, dass es eine russische Rakete war"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zweifelt dagegen an, dass es sich bei dem Raketeneinschlag um ein Geschoss seines Landes gehandelt haben soll. "Kann man Fakten oder irgendwelche Beweise von den Partnern erhalten?", fragte der 44-Jährige in einem Fernseh-Interview. Der Staatschef forderte den Einsatz einer gemeinsamen Untersuchungskommission und Zugang zu den vorhandenen Daten.

"Ich denke, dass es eine russische Rakete war - gemäß dem Vertrauen, das ich zu den Berichten der Militärs habe", unterstrich Selenskyj. Den ukrainischen Daten zufolge passe von insgesamt 25 russischen Raketenschlägen auf die Westukraine eine zeitlich mit dem Einschlag in Polen zusammen. Zudem stellte er die Frage: "Kann ein Krater mit einem Durchmesser von 20 Metern und einer Tiefe von fünf Metern durch Trümmer verursacht worden sein oder nicht?"  

Moskau weist jede Verantwortung zurück

Das russische Verteidigungsministerium bezeichnete alle Berichte über den Einschlag in Polen als "gezielte Provokation". Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden, hieß es in Moskau. Auf Bildern von Trümmern an der Einschlagstelle hätten russische Militärexperten "eindeutig" Fragmente einer Rakete des ukrainischen S-300-Luftabwehrsystems identifiziert, so das Verteidigungsministerium.

An diesem Mittwoch gab es in der ganzen Ukraine wieder Luftalarm angesichts neuer russischer Raketenangriffe.

Sunak: Russland ist grundsätzlich schuld 

Der britische Premierminister Rishi Sunak hat Russland die grundsätzliche Schuld am Einschlag der Rakete in Polen gegeben. "Das Wichtigste ist, anzuerkennen, warum die Ukraine Raketen einsetzen muss, um ihr Heimatland zu verteidigen", sagte Sunak am Rande des G20-Gipfels auf Bali zu Berichten, wonach es sich um eine ukrainische Flugabwehrrakete gehandelt haben könnte. Die Ukraine müsse ihr Heimatland gegen eine illegale und barbarische Angriffsserie Russlands verteidigen.

Rishi Sunak und Justin Trudeau
Der neue britische Premier Rishi Sunak (l.) und sein kanadischer Kollege Justin Trudeau an diesem Mittwoch auf Bali Bild: Sean Kilpatrick/The Canadian Press via AP/picture alliance

Macron für stärkere Vermittlung Pekings

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängt auf eine größere Vermittlerrolle Chinas im Ukraine-Krieg. "China kann eine bedeutendere Rolle als Vermittler spielen", sagte Macron zum Abschluss des G20-Treffens in Indonesien. Dabei gehe es auch darum, ein verstärktes Wiederaufflammen des Bodenkrieges nach dem Winter zu vermeiden. Er plane für Anfang 2023 eine Reise nach Peking. 

Mit Blick auf den Raketeneinschlag in Polen mahnte Macron zur Zurückhaltung. "Die Umstände erlauben es derzeit nicht, die Herkunft der Raketen zu klären", sagte Macron. "Wir müssen vorsichtig bleiben", betonte er. Französische Experten arbeiteten mit daran, die Umstände des Einschlags zu klären. Gleichzeitig bekräftigte Macron Frankreichs Solidarität mit Polen.

Stromversorgung in Ukraine großenteils wiederhergestellt

In der Ukraine sind die Probleme bei der Stromversorgung nach den schweren russischen Raketenangriffen weitgehend behoben. "Die Mehrzahl der Stromkunden sind in den verschiedenen Regionen wieder an das Netz angeschlossen", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft. Reparaturteams der Stromanbieter und des Zivilschutzes hätten die ganze Nacht gearbeitet.

Der Vizechef des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, schrieb auf Telegram, inzwischen sei die Stromversorgung in sieben Regionen vollständig wiederhergestellt, darunter in der Hauptstadt Kiew. In sieben weiteren Regionen seien die Reparaturarbeiten in Gange. Allerdings müssten mehrere tausend Haushalte in den westukrainischen Gebieten Wolhynien, Schytomyr, Ternopil und Chmelnyzkyj mit Stromunterbrechungen rechnen. Auch in den nordostukrainischen Gebieten Sumy und Charkiw sei die Stromversorgung nicht komplett wiederhergestellt.

Reparatur einer Hochspannungsleitung im vergangenen Monat in der Region Charkiw
Reparatur einer Hochspannungsleitung im vergangenen Monat in der Region Charkiw Bild: Clodagh Kilcoyne/REUTERS

Das russische Verteidigungsministerium versuchte den Raketenangriff auf die Energieversorgung mit deren angeblicher militärischer Bedeutung zu rechtfertigen. Ziel der Attacke seien "das militärische Kommandosystem der Ukraine und die damit verbundenen Energieanlagen" gewesen, sagte Sprecher Igor Konaschenkow in Moskau. Russland habe die Raketen am Dienstag von Flugzeugen und von Schiffen aus abgeschossen. Die militärisch nicht begründbare Zerstörung ziviler Infrastruktur gilt als Kriegsverbrechen. Sieben Millionen Menschen in Kiew hatten zuletzt wegen der Angriffe keinen Elektrizität.

G20-Staaten verabschieden Gipfelerklärung

Die G20-Gruppe führender Industrie- und Schwellenländer hat bei ihrem Gipfel auf der indonesischen Insel Bali trotz großer Meinungsunterschiede zum Ukraine-Krieg eine gemeinsame Abschlusserklärung angenommen. Darin verurteilt die große Mehrheit der Staats- und Regierungschefs der G20 den seit mehr als acht Monaten dauernden russischen Angriffskrieg aufs Schärfste. Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen wird als "unzulässig" bezeichnet. 

Russlands abweichende Haltung wird in dem Papier ebenfalls zu Protokoll genommen. Der Kreml ließ sich beim Gipfel von Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Lawrow verließ das Treffen auf Bali aber schon am Dienstag vorzeitig.

Schweden gibt Ukraine weitere Militärhilfe

Schweden sichert der Ukraine Militärhilfe im Volumen von umgerechnet rund 276 Millionen Euro zu. Ministerpräsident Ulf Kristersson sprach vor Journalisten vom größten Einzelpaket, das sein Land je geschnürt habe. Es enthält nach den Worten von Verteidigungsminister Pal Jonson auch ein Luftabwehr-System sowie Munition aus schwedischen Beständen. Der bisherige Rüstungsbeitrag Schwedens reichte von einfacher Ausrüstung wie Helmen und Schutzwesten bis hin zu Panzerfäusten und Abwehrraketen.

sti/kle/se/mak/rb (afp, ap, dpa, rtr, dw) 

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.