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Konflikte

Aktuell: Massive russische Luftangriffe auf Städte

15. November 2022

Nach Angriffen auf mehrere ukrainische Städte ist die Energieversorgung im Land kritisch. Moskau muss nach Ansicht der UN für Kriegsschäden aufkommen. Selenskyj beklagt die Verschleppung Tausender Kinder. Ein Überblick.

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Ukraine | Raketenbeschuss auf Kiew
In Kiew wurde ein Wohngebäude getroffenBild: Gleb Garanich/REUTERS

Ukraine: Erneute Raketenangriffe auf Kiew

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Russland bombardiert ukrainische Städte
  • Baerbock unterstützt IAEA-Konzept für AKW
  • Deutsche Waffen werden in der Slowakei repariert
  • UN-Resolution: Russland soll für Kriegsschäden aufkommen
  • Selenskyj: Tausende Kinder nach Russland verschleppt

 

Russland hat nach Angaben der Ukraine erneut mehrere ukrainische Städte aus der Luft angegriffen. In Kiew, Lwiw und Charkiw waren Explosionen zu hören. Zwischenzeitlich wurde im gesamten Land Luftalarm ausgerufen. Ukrainischen Medienberichten zufolge wurden die Raketen über dem Kaspischen Meer abgefeuert. Nach Angaben Kiews sollen ukrainische Städte mit rund hundert Raketen angegriffen worden sein. Allein in Kiew wurden nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko zwei Wohngebäude getroffen. Mindestens eine Person sei getötet worden. Die Luftabwehr habe mehrere Raketen über der Hauptstadt abgefangen.

Ukraine | Raketenbeschuss auf Kiew
Die Feuerwehr in Kiew rückt nach dem Angriff auf ein Wohnhaus ausBild: Gleb Garanich/REUTERS

Die Angriffe haben massive Auswirkungen das Leben im Land. Nach Angaben der Kiewer Regierung sind mehr als sieben Millionen Haushalte ohne Strom. 15 Standorte der Energieinfrastruktur seien beschädigt worden. Der stellvertretende Leiter des Präsidialbüros, Kyrylo Tymoschenko, bezeichnete die Lage als "kritisch". Allein in Kiew soll mindestens die Hälfte der Bewohner ohne Strom sein. Auch im benachbarten Moldau sind die Auswirkungen zu spüren. In Teilen des Landes gebe es Stromausfälle, schrieb Außenminister Nicu Popescu auf Twitter.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bekräftigte den Durchhaltewillen seines Landes. Der Feind werde sein Ziel nicht erreichen, sagte er in einer Videobotschaft. Alles werde repariert und die Stromversorgung wieder hergestellt. Die US-Regierung verurteilte die neuerlichen Raketenangriffe. "Während die Staats- und Regierungschefs der Welt auf dem G20-Gipfel auf Bali zusammenkommen, um Fragen zu erörtern, die für das Leben und Auskommen der Menschen auf der ganzen Welt von großer Bedeutung sind, bedroht Russland erneut diese Leben und zerstört die kritische Infrastruktur der Ukraine", teilte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, mit. Diese Angriffe würden die Besorgnis über die destabilisierenden Auswirkungen vom Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin verstärken.

Russland gerät auch beim G20-Gipfel unter Druck

Tatsächlich gerät Russland in der G20-Runde führender Wirtschaftsmächte unter Druck. Beim Gipfel auf der indonesischen Insel Bali verzichteten bisherige Unterstützer wie China und Indien darauf, eine gemeinsame Abschlusserklärung zu blockieren. In dem praktisch fertig ausgehandelten Papier heißt es: "Die meisten Mitglieder verurteilten den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste." Auch Moskau will die Erklärung mittragen - weil darin ausdrücklich betont wird, dass nicht alle G20-Länder die Verurteilung teilen. Das Papier soll am Mittwoch zum Abschluss des Gipfels verabschiedet werden.

Konkret wird im Entwurf aus einer Resolution der Vereinten Nationen zitiert. Damit wird Russland aufgefordert, die Kriegshandlungen einzustellen und seine Truppen sofort aus der Ukraine abzuziehen. Auf Russlands Position wird vor allem mit dem Satz eingegangen: "Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Situation und der Sanktionen." Russland akzeptiert demnach auch, dass der Angriff als Krieg bezeichnet wird und nicht - wie von Putin vorgegeben - als "militärische Spezialoperation". Russland stimmt auch zu, dass in der Abschlusserklärung nicht nur der Einsatz von Atomwaffen, sondern auch die Drohung damit als unzulässig bezeichnet wird.

Indonesien G20 Sergei Lawrow
Statt Putin vertrat Außenminister Lawrow sein Land beim G20-Gipfel auf BaliBild: Bay Ismoyo/AFP/Getty Images

Der russische Präsident ließ sich auf dem Gipfel von Außenminister Sergej Lawrow vertreten. Dieser blieb auch während einer Videobotschaft von Selenskyj im Saal. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am Rande des Gipfels kurz mit Lawrow. "Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch." Er wolle nicht, dass da ein falscher Eindruck von der Länge des Austauschs entstehe.

Selenskyj spricht über Plan für Kriegsende

Der ukrainische Präsident betonte in seiner Videoansprache an die G20, für ein mögliches Ende des Krieges seien ein Abzug der russischen Truppen und eine Wiederherstellung der territorialen Unversehrtheit seines Landes nötig. Für die Ukraine seien "effektive Sicherheitsgarantien" notwendig, sagte er laut Manuskript. Selenskyj forderte auch eine Verlängerung des unter Vermittlung der Türkei und der UN geschlossenen Abkommens über den Export von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer.

Baerbock unterstützt IAEA-Konzept für Schutzzone um AKW

Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat Russland aufgefordert, aus dem besetzten Atomkraftwerk Saporischschja in der Südukraine abzuziehen und dessen Beschuss einzustellen. "Dieser Wahnsinn muss enden", sagte sie nach einem Gespräch mit dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi in Berlin. Sie unterstützte
ausdrücklich dessen Konzept, eine Schutzzone um den Atommeiler zu errichten. "Es ist untragbar, immer wieder und praktisch ohne Vorwarnung in Situationen zu geraten, in denen wir etwa durch die Zerstörung von Stromleitungen nur eine Haaresbreite von einem Nuklearunfall entfernt sind", sagte die Außenministerin.

Deutschland I Annalena Baerbock trifft Rafael Grossi
Außenministerin Baerbock und IAEA-Chef Grossi machen sich Sorgen um die Lage in SaporischschjaBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Grossi erneuerte seinen Vorstoß einer Schutzzone rund um das AKW Saporischschja. Dies sei nicht einfach, weil die Anlage direkt an der Front liege. Es sei aber auch nicht unmöglich. "Ein
Atomkraftwerk kann niemals ein legitimes militärisches Ziel sein", betonte Grossi,

Scholz: "Unverantwortliche nukleare Drohgebärden" Putins

Bundeskanzler Scholz hat Russland beim G20-Gipfel erneut eindringlich vor einem Einsatz von Atomwaffen im Angriffskrieg gegen die Ukraine gewarnt. "Mit seinen unverantwortlichen nuklearen Drohgebärden betreibt Präsident Wladimir Putin gezielt eine weitere Eskalation der Situation", betonte Scholz in seiner Rede bei dem Treffen in Indonesien. Der Einsatz von Nuklearwaffen und jede Drohung damit seien und blieben unzulässig. Putin und seine Unterstützer würden die volle Verantwortung für die massiven globalen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Krieges tragen, mit denen Menschen weltweit auf die eine oder andere Weise täglich konfrontiert seien, so Scholz weiter.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Rede auf dem G20-Gipfel im Ferienort Nusa Dua auf Bali
Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Rede auf dem G20-Gipfel im Ferienort Nusa Dua auf BaliBild: Dita Alangkara/dpa/picture alliance

Scholz bekräftigte zugleich, dass ein "Diktat-Frieden aus der Perspektive Russlands" weder für die Ukraine noch für die Weltgemeinschaft akzeptabel sei. Grundlage für Friedensverhandlungen müsse vielmehr sein, dass "Russland seinen Angriffskrieg beendet und seine Truppen zurückzieht".

Deutschland repariert Waffen in der Slowakei

Deutsche Waffen wie die Panzerhaubitze 2000 oder Mehrfachraketenwerfer, die im Ukraine-Einsatz beschädigt worden sind, werden künftig in der Slowakei repariert. "Das kann sofort losgehen. Die Vereinbarung ist getroffen", sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Rande eines Treffens mit ihren EU-Amtskollegen in Brüssel. Konkret werde ein Instandsetzungszentrum errichtet. Es sei wichtig, dass die Waffen, die geliefert worden seien, auch wieder instand gesetzt würden.

UN-Resolution: Russland soll für Kriegsschäden aufkommen

Die UN-Vollversammlung hat eine Resolution verabschiedet, nach der Russland für die in der Ukraine entstandenen Kriegsschäden aufkommen soll. Die Resolution verlangt, dass Russland "für alle Verletzungen" des Völkerrechts und der UN-Charta in der Ukraine "zur Rechenschaft gezogen" wird und "die rechtlichen Folgen aller seiner völkerrechtswidrigen Handlungen trägt, einschließlich der Wiedergutmachung materieller und menschlicher Schäden".

94 Länder stimmten in New York für die Resolution, 73 Länder enthielten sich. 14 stimmten dagegen - neben Russland unter anderen auch China, der Iran, Kuba, Mali und Äthiopien. Resolutionen der Vollversammlung sind nicht bindend, stellen aber ein deutliches politisches Signal dar.

Zerstörtes Gebäude in der Region Cherson
Unbewohnbar: Zerstörtes Gebäude in der Region ChersonBild: Metin Aktas/AA/picture alliance

Die Ukraine wird in dem Text aufgefordert, Informationen über Kriegsschäden in einer Art Register zu dokumentieren. Dieses soll dann als Grundlage für spätere Reparationszahlungen Russlands dienen. Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die Resolution. "Von der Rückeroberung Chersons zum diplomatischen Sieg in New York", erklärte er via Twitter. Die Vereinten Nationen hätten "grünes Licht" für einen Mechanismus für Reparationszahlungen gegeben, "der Aggressor wird für das bezahlen, was er getan hat", fügte Selenskyj hinzu.

UN: Ukrainische wie auch russische Gefangene wurden gefoltert

In der Ukraine sind Kriegsgefangene nach Erkenntnissen von UN-Menschenrechtsexperten sowohl auf russischer als auch auf ukrainischer Seite misshandelt und gefoltert worden. Das berichtete die Leiterin der UN-Menschenrechtsdelegation in der Ukraine, Matilda Bogner, aus Kiew nach Genf. Demnach hat jedoch nur die ukrainische Seite den Expertinnen und Experten gemäß internationalem Recht Zugang zu gefangen genommenen Soldaten gewährt. Mit ukrainischen Gefangenen hätten die Experten nach ihrer Freilassung aus russischem Gewahrsam gesprochen.

Ukrainer nach ihrer Freilassung aus russischer Kriegsgefangenschaft. Viele Gefangene mussten auch Folter ertragen
Ukrainer nach ihrer Freilassung aus russischer Kriegsgefangenschaft. Viele Gefangene mussten auch Folter ertragenBild: Head of Ukraine's Presidential Office Andriy Yermak/REUTERS

Die Delegation der UN habe in den vergangenen Monaten insgesamt 159 Kriegsgefangene gesprochen, die von Russland oder mit Moskau verbundenen Konfliktparteien festgehalten wurden, so Bogner weiter. In ukrainischer Kriegsgefangenschaft sprach das Expertenteam mit 175 Männern.

Selenskyj: Tausende Kinder nach Russland verschleppt

Die Ukraine sucht internationale Hilfe bei der Rückholung Tausender Kinder, die nach Russland verschleppt worden sein sollen. Es gehe um mindestens 11.000 Kinder, deren Namen bekannt seien, sagte Präsident Selenskyj in einer Videoansprache. "Aber das sind nur die, von denen wir wissen. In Wahrheit sind mehr verschleppt worden."

"Unser Ziel ist, die gewaltsame Verschleppung oder Deportation von Kindern aus der Ukraine in die Russische Föderation zu stoppen", sagte der Leiter des Präsidialamtes in Kiew, Andrij Jermak. Es müsse alles getan werden, um diese Kinder zurückzuholen und sie mit ihren Familien zu vereinen.

Ukraine | Wolodymyr Selenskyj
Meldet sich täglich per Videobotschaft zu Wort: Präsident Wolodymyr Selenskyj (Archiv)Bild: Ukrainian Presidential Press Office/Planet Pix/ZUMA Press Wire/dpa/picture alliance

Das russische Militär und russische Behörden bestätigen durchaus, dass Kinder aus der Ukraine nach Russland geholt werden. Sie würden aus den Kampfzonen in Sicherheit gebracht oder kämen zur Behandlung oder Erholung nach Russland, heißt es.

Armeechef will keine Verhandlungen mit Russland

Das ukrainische Militär wird nach Worten seines Oberkommandierenden Walerij Saluschnyj keine Kompromisse bei der Befreiung des Landes von der russischen Besatzung akzeptieren. Das teilte Saluschnjy nach einem Telefonat mit US-Generalstabschef Mark Milley mit. "Unser Ziel ist es, das gesamte ukrainische Land von der russischen Besatzung zu befreien", schrieb Saluschnyj auf dem Onlinedienst Telegram. Auf dem Weg dorthin werde man nicht stehen bleiben. "Das ukrainische Militär wird keine Verhandlungen, Vereinbarungen oder Kompromissentscheidungen akzeptieren. Es gibt nur eine Bedingung für Verhandlungen: Russland muss alle besetzten Gebiete verlassen."

Ukraine Walerij Saluschnyj
Zeigt sich kämpferisch: der ukrainische Armeechef Walerij SaluschnyjBild: Gleb Garanich/AP/picture alliance

Saluschnjy gilt als der Mann, der den erfolgreichen Widerstand der ukrainischen Armee gegen die russische Invasion organisiert hat. Seine Worte richten sich gegen immer wieder vereinzelt geäußerte Ratschläge westlicher Länder, die Ukraine solle eine Verhandlungslösung nicht ausschließen.

Milley hatte vergangene Woche gesagt, sollten sich die Frontlinien im Winter stabilisieren, könnte es eine Chance geben, ein Ende des Konflikts auszuhandeln. Auch Russland betont angesichts militärischer Niederlagen wieder stärker seinen vorgeblichen Willen zu Verhandlungen.

Rückschlag für Stromversorgung in der Südukraine 

Russische Truppen haben vor ihrem Abzug aus der Stadt Cherson nach ukrainischer Darstellung ein wichtiges Kraftwerk zerstört. "Die Energieanlage, die das gesamte rechte Ufer der Region Cherson und einen bedeutenden Teil der Region Mykolajiw mit Strom versorgte, ist praktisch zerstört", erklärte der Leiter des staatlichen Stromversorgers Ukrenergo, Wolodymyr Kudryzkyj, auf Facebook. Die Zerstörung sei eine Folge "der ohnmächtigen Wut der Besatzer vor ihrer Flucht", fügte er hinzu.

Ukraine Krieg - Kherson
Beschädigt: Stromleitung in der Region Cherson (Archiv)Bild: Metin Aktas/AA/picture alliance

Der größte Teil der befreiten Region Cherson sei bereits seit dem 6. November ohne Strom, berichtete Kudryzkyj. "Wir tun unser Bestes, um die Menschen so schnell wie möglich wieder mit Strom zu versorgen." Die Ukraine habe bereits "die Liste der notwendigen Ausrüstung (...) an unsere internationalen Partner weitergegeben. Polen und Frankreich haben bereits geantwortet."

cwo/uh/wa/sti/se/rb (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.