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GesellschaftEuropa

Wie funktioniert Propaganda in Belarus?

Tatyana Nevedomskaya | (Adapt.:Markian Ostaptschuk)
2. September 2020

Immer mehr Mitarbeiter staatlicher Medien quittieren in Belarus ihren Job. Was kritisieren sie und wie funktioniert die Propagandamaschine im Land? Die DW hat mit einigen von ihnen gesprochen.

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Weißrussland Lukaschenko Rede an die Nation
Bild: AFP/Getty Images/S. Gapon

Die Protestwelle in Belarus hat auch Mitarbeiter staatlicher Medien erfasst. Vor dem Hintergrund anhaltender landesweiter Demonstrationen gegen die mutmaßliche Fälschung der Ergebnisse der Präsidentenwahl verlassen ganze Redaktionsteams die staatlichen Medien, entsetzt über die Polizeigewalt und die Entwicklungen in ihrem Land. Einige Journalisten haben mit der DW über ihre Beweggründe gesprochen.

Langes Schweigen über COVID-19

Der erste Gesprächspartner der DW möchte anonym bleiben. Der Journalist verließ den Verlag "Belarus Segodnja" ("Belarus heute"), eine Abteilung der Präsidialverwaltung. Er gibt zu, dass es bei seiner Arbeit Zensur gegeben habe: "Zum Beispiel haben die staatlichen Medien, darunter auch unser Verlag, COVID-19 lange Zeit geleugnet. Zuerst haben sie gar nicht davon geschrieben, und später nur positiv, dass viele Menschen genesen und die Betriebe in China ihre Arbeit wieder aufnehmen würden."

Doch nach einiger Zeit sei erlaubt worden, über Corona in Belarus zu berichten - doch mit Journalismus hatte auch das wenig gemein. "Wir haben die Texte für die Sendungen des belarussischen Fernsehens umgeschrieben, in dem Sinne, dass das Land erfolgreich COVID-19 bewältige, dass sowieso nur Menschen mit vielen Vorerkrankungen sterben würden und in den Krankenhäusern ein Überschuss an Intensivbetten und Beatmungsgeräten bestehe. Wir mussten schreiben, die ganze Welt beneide Belarus", erinnert sich der Journalist.

Weißrussland | Belarus | Minsk | Cornavirus | Militärparade | Lukaschenko
Staatschef Lukaschenko hielt trotz Pandemie am 9. Mai in Minsk eine Militärparade abBild: Reuters/V. Fedosenko

Auch der Präsidentschaftswahlkampf sei in den staatlichen Medien einseitig beleuchtet worden. "Geredet wurde nur über Lukaschenko. Wir wurden angewiesen, nicht über andere Kandidaten zu schreiben. Wir erwähnten nicht einmal deren Namen", so der Journalist.

Doch als der oppositionelle Videoblogger Sergej Tichanowskij - Ehemann der Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja - festgenommen wurde, kündigte er bei "Belarus Segodnja": "Er wurde am 29. Mai festgenommen. Zehn Tage später sollte ich eine Meldung schreiben, dass die Behörden Anklage gegen den Blogger erhoben haben. Sowohl Sergej als auch seine Frau Swetlana genießen mein Vertrauen und plötzlich sollte ich schreiben, dass er sozusagen ein Verbrecher ist."

Schneller Ersatz aus Russland

Auch Swetlana (Name geändert) hat ihren Job beim belarussischen Staatsrundfunk gekündigt. "Selbst wenn ich mich nur mit dem Thema Kultur beschäftige, stehe ich mit meinem Namen irgendwie für alles, was 'Belteleradio' tut", sagt sie.

Die junge Frau erinnert sich, wie sie am 17. August zusammen mit Kollegen vor dem Rundfunkgebäude protestierte. Die Mitarbeiter forderten, die Ergebnisse der Präsidentenwahl für ungültig zu erklären, die Leitung der Wahlkommission abzusetzen, die politischen Gefangenen freizulassen und die Zensur in den Medien zu beenden. Die Führung des staatlichen Senders erklärte den Protest für illegal. Wer protestiere, könne auch gehen, hieß es. Viele taten das auch. Das fehlende Personal wurde durch russische Medienleute ersetzt, was sogar Lukaschenko bestätigte: "Ich habe die Russen gebeten: Schickt uns für alle Fälle zwei bis drei Gruppen von Journalisten."

Swetlana zufolge merkt man dies an den Nachrichtensendungen: "Die Rhetorik hat sich geändert. Die Berichterstattung ist radikaler geworden. Über die Teilnehmer der friedlichen Proteste wird noch negativer berichtet." Diese Art der Präsentation überrasche sogar die Journalisten, die selbst mit Zensur konfrontiert gewesen sind.

Massenproteste in Minsk (am 16. August)
Massenproteste in Minsk (am 16. August): "Die Berichterstattung wurde immer negativer"Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Chernov

Früher arbeitete Swetlana für die Agentur "ATN", die zu den staatlichen Fernsehkanälen "Belarus 1" und "Belarus 24" gehört. Dort würden strenge Regeln herrschen. "Es gab Menschen, deren Namen im belarussischen Fernsehen verboten waren", sagt sie. So hätten Oppositionspolitiker in den Videos von "ATN" niemals gezeigt werden dürfen.

Ferner habe den Journalisten eine Liste von Politologen und Ökonomen vorgelegen, die für Kommentare nicht kontaktiert werden dürften. "Es reicht, wenn eine Person einmal ihre Meinung äußert, die nicht mit der offiziellen Politik übereinstimmt und sie wird nie wieder im Fernsehen zu sehen sein", sagt Swetlana.

Fast alle Mitarbeiter haben gekündigt

Walerij Kondratjew, der für Radio "Stoliza" ("Hauptstadt") - einem Kanal von "Belteleradio" - arbeitete, hatte mehr Glück. Er sagt, in anderthalb Jahren habe er nur ein paar Mal den Namen des Präsidenten genannt und dies nur im Zusammenhang mit internationalen Treffen unter seiner Beteiligung. Doch auch bei "Stoliza" gab es Einschränkungen bei der Corona-Berichterstattung.

Es habe sich alles auf die Veröffentlichung von Statistiken des Gesundheitsministeriums beschränkt, obwohl viele behaupteten, dass sie nicht vollständig war. Und als vor den Wahlen einige belarussische Musiker bei den Behörden in Ungnade gefallen seien, sei befohlen worden, keine Lieder mehr von ihnen im Radio zu spielen.

Verhaltener Protest in Soligorsk

Nach den Präsidentenwahl am 9. August sei es ihm noch schwerer gefallen, morgens auf Sendung zu gehen, so Kondratjew: "Als Aufnahmen von dem, was mit den festgenommenen Demonstranten passiert ist, auftauchten (viele haben nach der Freilassung von Folter gesprochen - Anmerk. d. Red.), gingen wir zu unserem Direktor. Ich sagte, wenn nicht erlaubt werde, die Wahrheit zu sagen, würde ich kündigen. Andere Mitarbeiter unterstützten mich dabei." Am 17. August trat das team von Radio "Stoliza" in einen Streik. Gesendet wurden nur Musik, Sportmeldungen und Wettervorhersagen.

Die Leitung von "Belteleradio", so Kondratjew, erklärte den Streik für illegal. "Man sagte uns, wir könnten gefeuert werden. Daraufhin haben wir selbst gekündigt", so der Journalist. Rund ein dutzend Mitarbeiter hätten "Stoliza" verlassen, darunter der Direktor des Senders, sein Stellvertreter und der Musikredakteur. "Wir können einfach nicht im staatlichen Radio weiterarbeiten und so tun, als würde nichts passieren."