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Politik

Polen-USA: Warschau und der "große Bruder"

Magdalena Gwozdz-Pallokat
24. März 2022

Mit dem Ukraine-Krieg rückt Polen vom Rand ins Rampenlicht der US-Außenpolitik. Zugleich sind die USA, die an der Weichsel seit jeher als Garant für Sicherheit betrachtet werden, für Polen noch unverzichtbarer geworden.

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Polen Ankunft US-Truppen für Osteuropa
Polen rückt mehr in den Fokus der US-Außenpolitik: Ankunft von US-Soldaten am Flughafen Rzeszow (Polen) am 9. FebruarBild: MACIEJ GOCLON/FOTONEWS/newspix/imago images

Es gibt eine Anekdote, die wohl jeder Journalist in Polen kennt. Man schreibt das Jahr 1994. Der damalige US-Präsident Bill Clinton besucht Polen. Ein Land, das zu der Zeit weder EU- noch NATO-Mitglied ist und erst seit kurzem seinen demokratischen Weg geht. Journalisten buhlen um ein Interview mit dem US-Präsidenten, aber keiner bekommt eines. Dann ein Moment der Hoffnung. Ein Journalist schafft es, Bill Clinton eine Frage zuzurufen, in eher bescheidenem Englisch: "Mister President, Poland okay?" Die Antwort: "Okay!"

Was zum Dauerlacher unter Journalisten wurde, gleichzeitig aber auch Kollegen neidisch machte, die selbst nicht an den US-Präsidenten herankamen, kann man auch als Leitmotiv für die Nachwendejahre der polnisch-amerikanischen Beziehungen betrachten - und als eine nicht immer einfache Hinwendung zum "großen Bruder".

Pressekonferenz von US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Präsident Andrzej Duda
Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris und der polnische Präsident Andrzej Duda am 10.03.2022 in WarschauBild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance /

Knapp drei Jahrzehnte später ist keinem mehr zum Lachen zumute. Der russische Angriff auf die Ukraine geht in eine neue Woche. Das Entsetzen in weiten Teilen Europas ist groß. Auch die USA sahen sich bereits mehrfach genötigt, Flagge zu zeigen und zu betonen, man werde "jeden Zoll" des NATO-Territoriums verteidigen, wie Außenminister Antony Blinken Anfang März bei einem Besuch in Warschau beteuerte. Polen wurde zum Frontstaat und in kurzen Zeitabständen von vier wichtigen US-amerikanischen Politikern und Politikerinnen besucht: neben Blinken auch von Verteidigungsminister Lloyd Austin, Vizepräsidentin Kamala Harris und nun auch von Präsident Joe Biden selbst.

Ein neues Kapitel in den Beziehungen

Die Reise nach Polen könnte Bidens Präsidentschaft prägen, wie es einst im Fall von Ronald Reagan gewesen sei, sagte der ehemalige US-Botschafter Daniel Fried dieser Tage im Privatsender TVN24. "Das Ganze erinnert an Roosevelt und Churchill, die sich getroffen haben, bevor die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, ihr Vorgehen festlegten und besprachen, wie sie den Krieg führen und gewinnen wollten." Polen und die USA seien Alliierte nicht in der Theorie, sondern in einer realen Kriegssituation, so Fried.

Michal Baranowski
Michal Baranowski, Direktor des Warschauer Büros des German Marshall Fund of the United States (GMF)Bild: German Marshall Fund

Vor diesem Hintergrund scheinen viele Aspekte, die die bilateralen Beziehungen zuletzt prägten, plötzlich wie aus einer anderen Epoche. Sicherheitsfragen überlagern offenbar alles: "Polen wird die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Kalten Krieg einnehmen", sagt Michal Baranowski, Direktor des Warschauer Büros des German Marshall Funds (GMF), einer US-Stiftung, die sich der Förderung der transatlantischen Beziehungen widmet. Er spricht von einem "neuen Kapitel", nachdem das erste Jahr der Präsidentschaft von Joe Biden in Bezug auf Polen von "ups and downs" geprägt gewesen sei, wobei die "downs", so Baranowski zur DW, deutlich vor den positiven Aspekten gelegen hätten.

Verstimmung wegen Polens Rundfunkgesetz'

Washington war nicht entgangen, dass das polnische Staatsoberhaupt Andrzej Duda Joe Biden erst spät zum Wahlsieg gratuliert hatte. Während einige Staatspräsidenten Biden bereits nach den Prognosen der wichtigsten US-amerikanischen Medien beglückwünschten, gratulierte der polnische Präsident, der einen engen Schulterschluss mit Bidens Vorgänger Donald Trump gesucht hatte, zu diesem Zeitpunkt lediglich "zur gelungenen Präsidentschaftskampagne". Die eigentlichen Glückwünsche aus dem Warschauer Präsidentenpalast folgten erst nach der Abstimmung des US-Wahlmännergremiums.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg und Präsident Duda in Lask, Polen
Der polnische Präsident Andrzej Duda (r.) mit dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (l.) am 1.03.2022Bild: Janek Skarzynski/AFP

"Biden liegt der Zustand der Demokratien in der Welt sehr am Herzen und dazu zählt neben der Rechtstaatlichkeit auch die Medienfreiheit", betont Baranowski. Die Beziehungen Warschau-Washington hatten sich arg verdüstert, als der Sejm Ende 2021 ein Rundfunkgesetz verabschiedete, das sich gegen den in US-Besitz befindlichen Sender TVN24 richtete. Zur Überraschung vieler in Polen legte Präsident Duda sein Veto gegen das Gesetz ein.

"Fort Trump"

Belastet war das polnisch-amerikanische Verhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits durch die im Juli 2021 beschlossene Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA über die Gaspipeline Nord Stream 2. Damals hatten die USA die Inbetriebnahme der Pipeline akzeptiert. Die polnische Regierung zeigte sich "überrascht". Übersetzt aus der Diplomatensprache: empört.

Polens Präsident Andrzej Duda sitzt mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump weiteren Personen in Weißen Haus in Washington, USA
Polens Präsident Andrzej Duda (3.v.l.) am 24.06.2020 beim damaligen US-Präsidenten Donald Trump (2.v.r.)Bild: imago images/UPI Photo/E. Schaff

Zu Trumps Zeiten schien Polen zum wichtigsten US-Partner auf dem europäischen Festland aufgestiegen zu sein. Ideologisch und politisch standen sich Warschau und Washington nahe, ungeachtet von Trumps Äußerungen zur NATO, die er für "obsolet" erklärte, oder seiner unklaren Haltung zu Russland und Putin. 2018 warb der polnische Präsident für eine permanente US-Truppenpräsenz in Polen ("Fort Trump"). Zwei Jahre später unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über "verstärkte Verteidigungszusammenarbeit".

Persönliche Gunst versus Strategie

"Donald Trump stand im Konflikt mit Deutschland und mit der ganzen EU, auch deshalb schenkte er Polen eine gewisse Zuwendung", sagt der frühere Diplomat Janusz Reiter der DW. "Darüber herrschte in Warschau große Freude, was irgendwie verständlich war, aber auch etwas gefährlich. Denn Trumps Gunst war etwas sehr Unzuverlässiges, weil sie nur einer Laune entsprang und keiner Strategie. Biden dagegen hat eine Strategie." Reiter war von 2005 bis 2007 polnischer Botschafter in den USA, in einer Zeit also, als sich Polen an der Seite der USA am Krieg gegen den Irak beteiligte, den Deutschland und Frankreich ablehnten. Keine einfache, aber eine aufregende Zeit, wie Reiter sich erinnert. Das Verhältnis zu Washington sei damals eng gewesen.

Janusz Reiter, polnischer Diplomat in einer ZDF Talkshow
Janusz Reiter, ehemaliger polnischer Botschafter in den USABild: picture-alliance/Eventpress

Polen gilt seit Jahren als durch und durch pro-amerikanisches Land, wofür es in Europa nicht nur während der Amtszeit von US-Präsident George Bush jr. reichlich Ärger auf sich zog. "Viele Deutsche hatten kaum Verständnis für die polnische Sympathie für die USA, die sich durch die gesamten vergangenen 30 Jahre zog", sagt Reiter. "Ich hoffe, dass es jetzt zwischen Polen und Deutschland kein USA-Problem mehr gibt. Denn ich glaube, wer wirklich sieht und hört, was sich abspielt, der muss verstehen, dass wir als Europa ohne die USA viel schlechter dastünden." Grundsätzlich gebe es in Polen, anders als in Ländern wie Deutschland, mehr Grundvertrauen in die USA als Staat, unabhängig davon, wer gerade Präsident sei, so Reiter.

"Fehlende Augenhöhe"

Wobei das ausgerechnet unter dem in Deutschland so beliebten Barack Obama nicht durchgehend der Fall war, schränkt der Diplomat ein. "Es gab die Befürchtung, dass Obama Polen nicht genug Aufmerksamkeit in Sicherheitsfragen widmen würde und dass er sogar Zugeständnisse gegenüber Russland machen könnte. Das hat sich nicht bestätigt, aber es gab eine Phase, in der das Verhältnis zwischen Polen und den USA auch menschlich ziemlich kühl war." In solchen Phasen rücke umso mehr der latente Vorwurf der "Asymmetrie" im bilateralen Verhältnis ins Zentrum - die "fehlende Augenhöhe".

Lkw mit Raketenteilen und Container vor einer verschneiten Lagerhalle
Die USA verlegen Patriot-Abwehrraketen von Deutschland ins polnische Rzeszow (9.03.2022)Bild: Agnieszka Majchrowicz/AA/picture alliance

Laut Baranowski lieferten die letzten Wochen ein Beispiel, wie diese Asymmetrie nun durch ein Polen auf die Probe gestellt wird, das sich seiner größeren Bedeutung gewahr ist: nämlich im Durcheinander um die Lieferung von MiG-29-Kampfflugzeugen aus polnischen Beständen an die Ukraine - ein Schritt, vor dem Warschau zurückschreckte, weil er als Kriegseintritt gewertet werden könnte. "Es gab Druck eines Teil der US-Regierung, doch Polen reagierte öffentlich und ohne Absprache", sagt Baranowski. Warschau bot an, die Kampfflieger den Amerikanern zu überlassen, das Pentagon lehnte ab.

Noch stärkeres Ungleichgewicht

"Aus US-amerikanischer Sicht hat sich Polen als ein nicht ganz berechenbarer Partner gezeigt, der Konflikte nach außen trägt, statt sie hinter verschlossenen Türen zu klären", so Baranowski. Ihm zufolge wird das Ungleichgewicht in den Beziehungen beider Länder nun noch stärker zutage treten, denn Polen sei für USA zwar wichtiger geworden, umgekehrt hätten die USA für Polen aber buchstäblich existenzielle Bedeutung erlangt.

Magdalena Gwozdz-Pallokat
Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen