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Die NFL in Deutschland: der große Wurf?

Benjamin Bathke
11. Februar 2022

Die NFL wird in den Jahren 2022 bis 2025 je zwei Spiele in München und Frankfurt austragen. 15 Jahre nach dem Ende der "NFL Europe" ist dies der erneute Vorstoß in Deutschland. Kann Football das ganz große Ding werden?

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Spielszene aus dem NFL-Halbfinale zwischen den Los Angeles Rams und den San Francisco 49ers
Nicht mehr lange, dann können die deutschen Fans die NFL-Stars in Deutschland live erlebenBild: Elaine Thompson/AP Photo/picture alliance

10.000, 20.000, 50.000 Dollar oder noch viel mehr: Geht es um Tickets für den Super Bowl, der am 13. Februar zwischen den Los Angeles Rams und den Cincinnati Bengals in Inglewood im US-Bundesstaat Kalifornien ausgetragen wird, sind diese oder gar höhere Summen vollkommen normal. Den Eintritt für das Finale der National Football League (NFL), neben dem Finale der Fußball-WM das größte Einzel-Sportevent der Welt und globales Medienspektakel, kann sich nur leisten, wer entweder viel Geld oder eisernen Sparwillen hat.

Für Fans aus Deutschland, die davon träumen, einmal bei der Vergabe der Vince-Lombard-Trophy dabei zu sein, kämen noch Reise- und Unterkunftskosten im vierstelligen Bereich dazu. Für die meisten Football-Fans hierzulande ist das selbst als "once in a lifetime Erlebnis" unerschwinglich.

Doch es gibt bald Alternativen: Die NFL wird über mindestens vier Jahre jeweils ein Spiel pro Jahr in Deutschland austragen. Keinen Super Bowl, aber mit Regular Season Games immerhin echter NFL-Football und keine Freundschaftsspiele. 2022 und 2024 wird das Football-Spektakel in München, 2023 und 2025 in Frankfurt steigen. Das gab die wertvollste Liga der Welt gerade bekannt. Gerechnet worden war mit der Entscheidung für einen Standort, doch es wurden zwei. Nur der dritte Bewerber Düsseldorf geht leer aus. 

Vier Tage vor dem Super Bowl ist der Zeitpunkt der Verkündung kein Zufall. Welche Teams 15 Jahre nach dem letzten "NFL-Europe-Spiel" in Deutschland auflaufen werden, soll bald bekannt gegeben werden. Die stetig wachsende Zahl von Fans und das Markenpotenzial in dem Land mit der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt will die NFL mit ihren Expansionsplänen nun auch nutzen. "Die Fans können sich auf ein großes Ereignis nach amerikanischem Vorbild freuen", kündigte NFL-Deutschland-Chef Alexander Steinforth an. 

Nationale Liga, internationale Strategie 

Doch nicht nur die Liga werde von ihren Gastspielen in Deutschland profitieren, sondern auch die Städte Frankfurt und München mit einem internationalen Imageschub, glaubt Sebastian Uhrich von der Deutschen Sporthochschule Köln. "Leute aus Spanien, Großbritannien und vielen anderen Ländern werden nach München und Frankfurt kommen, um die Spiele zu sehen", sagt Uhrich im Gespräch mit der DW. "Das bedeutet für die Städte zusätzliche Einnahmen im Tourismus, internationale Beachtung und viele weitere positive Effekte", erklärt Uhrich. "Und das alles ohne große Investitionen tätigen zu müssen."

Mit rund 15 Milliarden Dollar Einnahmen im Jahr 2019 ist die NFL die mit Abstand umsatzstärkste Sport-Liga der Welt. Zum Vergleich: Die umsatzstärkste Fußball-Liga der Welt, die britische Premier League, erreicht etwa ein Drittel der NFL-Einnahmen. Laut dem US-Magazin "Forbes" kommen elf der 25 wertvollsten Sportteams aus der Elite-Football-Liga, die insgesamt 32 Mannschaften beheimatet. Diese stammen im Gegensatz zu den anderen großen amerikanischen Profiligen im Basketball (NBA) und Eishockey (NHL) ausschließlich aus den USA.

Siebenfacher Super-Bowl-Champion und Gesicht der NFL: Ex-Quarterback Tom Brady
Siebenfacher Super-Bowl-Champion und Gesicht der NFL: Ex-Quarterback Tom BradyBild: Rusty Jones/AP Photo/picture alliance

Doch die rein nationale Liga hat schon lange eine internationale Strategie. Laut Uhrich begann die Phase der hochprofessionell organsierten Expansion der NFL in internationale Märkte vor rund 20 Jahren. "Der heimische Markt hat immer eine natürliche Sättigungsgrenze. Ist dieser Punkt erreicht, kann weiteres Wachstum nur durch Internationalisierung erreicht werden."

Hierzulande haben dabei in den letzten Jahren einige NFL-Profis mit Verbindungen nach Deutschland ihren Teil zum gesteigerten Interesse beigetragen. In der vergangenen Saison hatten sechs Profis mit deutschen Wurzeln einen Vertrag in der NFL, darunter die in Deutschland geborenen Jakob Johnson von den New England Patriots, David Bada von den Washington Commanders und der deutschstämmige Equanimeous St. Brown von Rekord-Champion Green Bay Packers. 

77 Jahre American Football in Deutschland

American Football wurde in Deutschland nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in den ersten Jahrzehnten ausschließlich von hier stationierten US-amerikanischen GIs gespielt. 1976 erblickte die Öffentlichkeit das Spiel von der anderen Seite des Atlantiks erstmals, als eine Reihe von US-College-Partien in Deutschland ausgetragen wurden. Ein Jahr später wurde der erste American-Football-Klub in Deutschland gegründet: die Frankfurter Löwen. Es folgten weitere Vereine und im Jahr 1979 erstmalig ein organsierter Spielbetrieb.

Doch erst 1992 kam die NFL zum ersten Mal nach Deutschland - mit drei Saisonvorbereitungsspielen im Berliner Olympiastadion. Wiederum drei Jahre später startete die World League als Nachfolger der bereits 1991 gegründeten und wieder eingestellten Word League of American Football (WLAF) mit sechs Teams aus Europa. Mit dabei: Frankfurt Galaxy, das 1995 den ersten sogenannten World Bowl gewinnen konnte. 1998 wurde die Liga in NFL Europe (NFLE) umbenannt, 2007 - nach weiteren Umbenennungen und Umstrukturierungen - der Spielbetrieb nach 15 Jahren eingestellt. 

Die Hamburg Sea Devils (l.) und Frankfurt Galaxy (r.) stehen sich auf dem Platz gegenüber
Die Hamburg Sea Devils (l.) und Frankfurt Galaxy trafen im letzten "World Bowl" im Jahr 2007 aufeinanderBild: imago/Schüler

Zehn der bis dato 13 ausgetragenen World Bowls wurden von deutschen Teams gewonnen. Dennoch änderte die NFL ihre Europa-Strategie und kehrte Deutschland den Rücken, zugunsten der seitdem jährlich im Londoner Wembley-Stadion zwischen zwei US-amerikanischen Teams ausgetragenen "NFL Europe Games". Doch das deutsche Interesse verschwand nicht. Laut Alexander Steinforth waren bei den bislang 30 Spielen in Wembley jeweils bis zu 15 Prozent der Zuschauer aus Deutschland angereist.  

Jeden 'verdammten' Sonntag American Football

Heute gibt es hierzulande nach Angaben des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) 500 registrierte Football-Teams mit mehr als 70.000 Mitgliedern. Die neue professionelle europäische Football-Liga European League of Football (EFL) geht 2022 mit zwölf statt zuvor acht Teams an den Start. Neben den sieben deutschen Vertretern sind Teams aus Polen, Österreich, der Türkei und Spanien mit dabei. 

Football-Fan Elena Kassel vor einer Pappfigur von NFL-Star Julian Edelmann
Kassel vor der Pappfigur des NFL-Stars Julian EdelmannBild: Elena Kassel

American Football ist wieder auf dem Vormarsch in Europa und speziell bei den Fans in Deutschland. Eine davon ist Elena Kassel. Die 28-Jährige verlor ihr Herz an den Sport und die amerikanische Kultur in ihrer Zeit als Au-pair in den USA. Ihr erstes Football-Spiel sah sie in Washington beim damals noch unter dem Namen "Redskins" spielenden Hauptstadt-Team. Seitdem gehört das sonntägliche Footballschauen für sie, wie für Millionen von Amerikanern, zum festen Ritual. "Ich mag einfach den sozialen Aspekt rund um die NFL-Spiele, wie das traditionelle Grillen auf den Parkplätzen der Stadien schon Stunden vor dem Kickoff", sagt Kassel, die Fan der Green Bay Packers ist und für ein US-Unternehmen arbeitet. 

Nach Angaben der NFL gibt es rund 19 Millionen Fans in Deutschland, sie ist einer davon. In einer Umfrage gaben jüngst allerdings nur 3,8 Prozent der Befragten in Deutschland American Football als ihre Lieblingsportart an. Doch die Zuschauerzahlen beim Super Bowl steigen hierzulande stetig. Von 1999, als der Super Bowl erstmalig frei empfangbar in Deutschland übertragen wurde, bis 2021 hat sich die TV-Zuschauerzahl von 580.000 auf 2,3 Millionen nahezu vervierfacht. 

Anpassung oder Authentizität? 

Wie Deutschland-Chef Alexander Steinforth verriet, wird die NFL den Spielen in Frankfurt und München auch so etwas wie einen lokalen Touch geben - so wie es in London seit Jahren praktiziert wird. So werden beispielsweise offizielle NFL-Merchandise-Artikel mit aufgedrucktem "Union Jack" in der britischen Hauptstadt vertrieben. Außerdem ziert die britische Flagge auch das Spielfeld. 

Aus Sicht von Sebastian Uhrich könnte dies in Deutschland allerdings auch einen negativen Effekt haben. "Die Deutschen wollen nach meiner Einschätzung eher Stars and Stripes, also die NFL im Originalgewand sehen", sagte der Sportwissenschaftler der DW. Sinnvoller sei es aus seiner Sicht, langfristig zu denken und beispielsweise Shops mit einem auf den deutschen Markt zugeschnittenen Merchandise-Angebot in den Ausrichterstädten zu eröffnen. 

Das Wembley-Stadion vor der NFL-Begegnung zwischen den Tampa Bay Buccaneers und den Chicago Bears 2011
Football mit britischem Touch: Das Wembley-Stadion vor dem NFL-Spiel Tampa Bay Buccaneers gegen Chicago BearsBild: Back Page Images/imago images/Shutterstock

Auch die vier NFL-Teams, die sich ihre Markenrechte hierzulande bereits haben sichern lassen, werden die Marketing-Aktivitäten in Deutschland n den nächsten Jahren verstärken. Darunter sind die New England Patriots, 22 Jahre die sportliche Heimat des gerade zurückgetretenen erfolgreichsten Quarterbacks der NFL-Geschichte, Tom Brady. Genauso wie auch Bradys Klub der letzten zwei Jahre, die Tampa Bay Buccaneers, die Carolina Panthers und die Kansas City Chiefs, Super-Bowl-Champion von 2020 und strategischer Partner des FC Bayern München. 

Wieviel Potenzial hat Deutschland?

In Anbetracht der stetig wachsenden NFL-Fangemeinde und der gesteigerten Europa-Präsenz der Liga in den letzten Jahren ist die Frage nicht ob, sondern wieviel Wachstum durch die Spiele in München und Frankfurt für die wertvollste Liga der Welt generiert werden kann. "Der Plan ist, aus den vier Jahren mehr zu machen. Aber das hängt natürlich davon ab, wie die ersten Spiele laufen", sagt Alexander Steinforth.

NFL-Profi Jakob Johnson sieht das amerikanische Ligensystem mit Deckelung des Gehaltsgefüges, Vorgriffsrecht für schwächere Teams bei der Verpflichtung von Talenten, den sogenannten Drafts, und Playoffs als deutlich attraktiver an: "Wenn es Ihnen auf Dauer Spaß macht, jedes Jahr dabei zuzusehen, wie Bayern München Deutscher Meister wird, bitte schön. Für mich ist das nichts. Ich finde, da bietet die NFL ein deutlich besseres Produkt", sagte der Profi der New England Patriots in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung. 

Sebastian Uhrich erwartet zumindest kurz- und mittelfristig keinen großen Schub durch die Spiele in Deutschland: "Ich sehe ein gewisses Potenzial für etwas mehr Markanteile der NFL in Deutschland. Aber der Großteil des hiesigen Sportmarkts ist sehr traditionell und unbeweglich." Nach seiner Einschätzung ist die Dominanz des Fußballs zu stark, was in der Vergangenheit, laut Uhrich, die Beispiele Handball, Hockey oder Basketball "mit allen möglichen Maßnahmen, aber überschaubarem Erfolg" gezeigt hätten. 

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert