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Politik

NATO sieht "hohes Risiko eines Angriffs" auf Ukraine

19. Februar 2022

US-Präsident Biden hatte es klar benannt. Nun stimmt ihm auch NATO-Generalsekretär Stoltenberg zu. Er erwarte eine umfassende Attacke der russischen Armee auf das Nachbarland Ukraine.

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Jens Stoltenberg vor der US- und der NATO-Fahne
Generalsekretär Jens Stoltenberg bei der Münchner SicherheitskonferenzBild: Andrew Harnik/AFP

"Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant", sagte der Generalsekretär der Militärallianz, Jens Stoltenberg, in der deutschen Fernsehsendung "Tagesthemen". Der Norweger, zurzeit Gast der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach von einem fortgesetzten militärischen Aufmarsch. "Es werden keine Truppen zurückgezogen, wie Russland das angibt, sondern es kommen neue Truppen hinzu." Es gebe außerdem Anzeichen, dass Russland sich darauf vorbereite, einen Vorwand für einen Angriff zu schaffen.

Die zunehmenden Verstöße gegen die Waffenruhe in der Ostukraine, die "falschen Anschuldigungen" eines "Genozids" im Donbass und die Evakuierung der Bevölkerung aus den von den Separatisten kontrollierten Gebieten seien "beunruhigende Zeichen".

Infografik russische Truppen Ukraine DE

Stoltenberg hält an politischer Lösung fest

Russland hat nach westlichen Angaben weit mehr etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen. Auch US-Präsident Joe Biden hatte am Freitag gesagt, er rechne mit einem Angriff" in den kommenden Tagen". Die Führung in Moskau streitet Angriffspläne aber ab. Das Verteidigungsministerium hatte in den vergangenen Tagen mehrfach mitgeteilt, dass nach dem Ende von Manövern Truppen zurückgezogen worden seien.

Stoltenberg hält trotz der drohenden Eskalation weiter an einer politischen Lösung des Konflikts fest. "Wir wollen Russland dazu bringen, den Kurs zu ändern und sich mit uns zusammenzusetzen."

Weiter vage in Sachen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine

Auf die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach mehr Ehrlichkeit in der Frage einer NATO-Mitgliedschaft seines Landes antwortete Stoltenberg: "Wir helfen der Ukraine, die Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Wir bieten Ausbildung, Ausrüstung und helfen so zur euroatlantischen Integration zu finden." Eine NATO-Mitgliedschaft sei möglich, aber letztlich die Entscheidung von 30 Alliierten. Es gehe momentan weniger um eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, sondern darum, "ob wir akzeptieren, dass eine Großmacht wie Russland versucht, einem anderen Land zu diktieren, was es tun kann und nicht tun kann - mit Gewalt."

Auch nach Einschätzung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat Russland alle Vorbereitungen getroffen, um angreifen zu können. "Wir sind gut beraten, vorbereitet zu sein", sagte die SPD-Politikerin im Zweiten Deutschen Fernsehen. Lambrecht begrüßte die Entscheidung der NATO, die Bereitschaftszeiten für mehrere Zehntausend Soldaten der Militärallianz drastisch zu verkürzen.

Auf die Frage, ob denn auch ein russischer Angriff auf NATO-Mitglieder, etwa die baltischen Staaten oder Polen, zu befürchten sei, sagte die Ministerin: "Die Bedrohung ist sehr groß in dieser Region."Und die NATO-Verbündeten hätten ein Anrecht, "entsprechend gesichert zu sein". Sie fügte hinzu: "Die NATO steht hier. Wir stehen zusammen, geschlossen zusammen. Und Russland muss sich darauf vorbereiten, dass wir unsere Verbündeten schützen."

Lambrecht: Falschinformationen sind ein Versuch, einen Keil zwischen Demokraten zu treiben

 

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sieht einen Unterschied im Vergleich zu früheren Zuspitzungen der Lage. Russland habe nie zuvor 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, "die die Existenz dieses Landes in Frage stellen", sagte Borrell am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz. "Der Unterschied besteht darin, dass es jetzt eine greifbare, starke und mächtige Bedrohung gibt. Nichts rechtfertigt diese Konzentration der Kräfte."

Abzug des diplomatischen Personals

Die NATO zog am Samstag aus Sicherheitsgründen ihre Mitarbeiter aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab. Sie werden ins westukrainische Lemberg (Lwiw) und nach Brüssel verlegt, wie ein NATO-Vertreter erklärte. Die Sicherheit der Mitarbeiter habe "oberste Priorität". Mehrere westliche Länder hatten zuvor bereits ihr diplomatisches Personal aus der ukrainischen Hauptstadt abgezogen. Auch Deutschland reduzierte sein Botschaftspersonal in Kiew.

fab/ack (dpa, afp)

Korrektur am 20.02.2022: In einer früheren Version dieses Artikels wurde NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als Schwede bezeichnet. Er ist aber Norweger. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.