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Beitritt der Ukraine zur NATO möglich

Bernd Riegert2. Dezember 2014

Die NATO stärkt der Ukraine im Konflikt mit Russland den Rücken. Sie erhält nun Geld, ein späterer Beitritt ist nicht ausgeschlossen. Außenminister Steinmeier bremst: "Eine Eskalation ist jederzeit möglich."

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NATO Hauptquartier in Brüssel
NATO-Hauptquartier in Brüssel: Trübes Winterwetter, aber der Weihnachtsbaum stehtBild: DW/B. Riegert

"Wir haben entschieden, dass die Tür offen ist und dass die Ukraine Mitglied der NATO werden wird", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der Tagung der Außenminister im Brüsseler Hauptquartier. Er meinte damit aber nicht einen aktuellen Beschluss der 28 Außenminister, sondern erinnerte daran, was die NATO schon im April 2008 bei ihrem Gipfeltreffen in Bukarest festgelegt hat. Damals war Jens Stoltenberg als norwegischer Ministerpräsident dabei. "Ich erinnere mich noch gut", sagt er nun und verweist auf die gültige Beschlusslage. 2008 wollte US-Präsident George W. Bush unbedingt die Ukraine und Georgien so schnell wie möglich in die Allianz holen. Der russische Präsident Wladimir Putin, der in Bukarest dabei war, protestierte. Unter Vermittlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel gelang damals ein Kompromiss: Die Ukraine und Georgien werden Mitglieder, sobald sie das wollen und die Voraussetzungen erfüllen.

"Keiner wird gezwungen"

Im August 2008 kam es dann zu einem kurzen kriegerischen Konflikt zwischen Russland und Georgien. Im Jahr 2010 änderte die Ukraine unter Präsident Viktor Janukowitsch ihren Kurs. Sie wollte ein blockfreies Land bleiben, strebte nicht länger in die NATO. Jetzt vollzieht der neue Präsident in Kiew, Petro Poroschenko, einen erneuten Schwenk. Poroschenko will unter dem Eindruck des Konflikts mit Russland um die Krim und die Ost-Ukraine sein Land in die NATO führen, sofern das Volk in einem Referendum zustimmt. Die NATO will die Ukraine in der Auseinandersetzung mit Russland weiter politisch und finanziell unterstützen, sagte ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel, in Sachen Mitgliedschaft will er aber völlig neutral bleiben. "Die Ukraine ist ein unabhängiger souveräner Staat und ich werde mich nicht in ihre Entscheidungen einmischen. Ich respektiere, wenn sie sich bewirbt, und ich respektiere auch, wenn sie sich nicht bewirbt. Das ist ja der Sinn der Unabhängigkeit eines Staates." Kein Staat sei je in die NATO gezwungen worden. "Alle sind beigetreten, weil sie es so wollten. Das ist ein freiwilliger Prozess."

Einige NATO-Mitglieder, darunter Deutschland, sind über die Debatte über eine Mitgliedschaft der Ukraine nicht gerade glücklich. Angesichts der Spannungen mit Russland komme sie zur Unzeit, so NATO-Diplomaten. Russland werde das als weitere Provokation auffassen und entsprechend für seine Propaganda ausschlachten. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte auf die Frage, ob er einen Beitritt der Ukraine hilfreich fände: "Man sollte aufpassen, dass man mit bestimmten Entscheidungen nicht noch Öl ins Feuer gießt." Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, der per Videokonferenz aus Kiew zugeschaltet war, versuchte die Ministerrunde zu beruhigen. Ein Antrag auf Mitgliedschaft komme nicht so bald. "Wir werden keine irrationalen Entscheidungen treffen, wenn wir noch nicht ausreichend vorbereitet sind", sagte Klimkin.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (Foto: dpa)
Außenminister Steinmeier: An der Vereinbarung von Minsk festhaltenBild: picture-alliance/dpa

Beitritt der Ukraine noch weit entfernt

Bislang galt bei den Erweiterungen der NATO die ungeschriebene Regel, dass kein Staat beitreten kann, der ungelöste territoriale Konflikte mit einem Nachbarstaat oder sogenannte "Frozen conflicts" auf seinem Gebiet dulden muss. Deshalb konnten bislang weder die Republik Moldau noch Georgien beitreten. In beiden Ländern gibt es abtrünnige Regionen, in denen russische Soldaten stationiert sind. In der Ukraine haben russische Einheiten die Krimhalbinsel besetzt: Russland hat das Gebiet aus NATO-Sicht völkerrechtswidrig annektiert. "Es ist viel zu früh, um über Bedingungen und die konkreten Auswirkungen einer Mitgliedschaft zu spekulieren", versuchte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Diskussion zu beenden.

NATO-Diplomaten wiesen darauf hin, dass es keine festen Kriterien für eine Mitgliedschaft gebe: "Es wird von Fall zu Fall nach politischen Überlegungen entschieden. Und es müssen alle 28 Mitglieder zustimmen." In der Warteschlange für eine NATO-Mitgliedschaft stehen zurzeit Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien, die zwar seit Jahren verhandeln, aber aus unterschiedlichen Gründen noch nicht aufgenommen wurden. Selbst mit Russland wurde nach dem Ende der Sowjetunion unter Präsident Boris Jelzin kurz über eine mögliche Mitgliedschaft in der Verteidigungsallianz gesprochen. Auch der heutige Präsident Wladimir Putin konnte sich in seinem ersten Jahr als Staatschef nach der Jahrtausendwende eine Mitgliedschaft in der NATO wenigstens in ferner Zukunft vorstellen. Das hat sich grundlegend geändert.

Vor 2020 rechnet im NATO-Hauptquartier unter den politischen Beamten niemand mit einer ernsthaften Bewerbung der Ukraine um eine Mitgliedschaft.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg beim Außenministertreffen in Brüssel 02.12.2014 (Foto: Reuters)
Erstes Außenministertreffen für den neuen Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Man kann austreten aus der NATO"Bild: Reuters/Y. Herman

Steinmeier will militärische Kommunikation mit Russland im Krisenfall

Die NATO und die Ukraine verurteilten nach ihrer gemeinsamen Sitzung noch einmal den Truppenaufmarsch Russlands auf der Krim und in der östlichen Ukraine. Die Vereinbarungen von Minsk zu einem Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine müssten umgesetzt werden. Einige NATO-Vertreter halten das Dokument von Minsk für tot, der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier will daran festhalten, weil es das einzige sei, das je vereinbart wurde. Die Lage in der Ostukraine beurteilte Steinmeier, der kürzlich noch mit Präsident Wladimir Putin gesprochen hatte, in Brüssel so: "Es gibt keinen Grund, optimistisch zu sein. Das Risiko einer jederzeitigen Eskalation besteht nach wie vor. Trotzdem mein Plädoyer: Weiter darauf setzen, dass wir an der Umsetzung der Minsker Vereinbarung festhalten und den entsprechenden politischen Druck entwickeln."

Der Bundesaußenminister sieht auch die Gefahr einer Eskalation zwischen der NATO und Russland. Russische Flugmanöver an den Grenzen des NATO-Luftraums und russische Truppenverbände nahe an den Küsten der NATO könnten zu Missverständnissen führen. Zurzeit sei die Kommunikation auf militärischer Ebene zwischen der NATO und Russland "schlechter als in den kältesten Zeiten des Kalten Krieges", beklagte Steinmeier. Er plädiert für die Schaffung eines Kontakt-Gremiums oder eines Experten-Ausschusses mit Moskau, um im Krisenfall schnell miteinander reden zu können. "Das verlangt zuvorderst außenpolitische Arbeit. Aber ich glaube, man braucht auch solche Kanäle, über die Überprüfungen möglich sind, ob bestimmte Nachrichten der Wahrheit entsprechen oder nicht." Noch sind nicht alle NATO-Staaten von diesem deutschen Vorschlag überzeugt. Der NATO-Russland-Rat, der eigentlich zuständig wäre, war nach der Annexion der Krim im Frühjahr auf Eis gelegt worden und soll vorerst auch nicht zusammentreten.

NATO billigt Pläne für schnellere Eingreiftruppe

Die NATO-Außenminister beschlossen die Einrichtung einer "provisorischen Speerspitze", einer Eingreiftruppe der NATO, die in wenigen Tagen an die Ostgrenze zu Russland verlegt werden könnte. Im Jahr 2015 soll die "erhöhte Einsatzbereitschaft" vom deutsch-niederländischen Korps in Münster geübt werden. Ab dem Frühjahr 2016 soll die Speerspitze mit bis zu 5000 Mann einsatzbereit sein, um den baltischen Mitgliedsstaaten mehr Sicherheit zu vermitteln und Russland von möglichen militärischen Abenteuern abzuhalten. Die Speerspitze soll in einem Rotationsverfahren von den großen NATO-Staaten gestellt werden. In Polen, Rumänien und Bulgarien sollen Lager mit Ausrüstung und Logistik für diese schnelle "Eingreiftruppe" eingerichtet werden. Als Reaktion hat Russland bereits umfangreiche Manöver im Sommer 2015 an seiner Westgrenze angekündigt.