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München ohne Oktoberfest

Monika Griebeler
17. September 2020

Das Münchner Oktoberfest fällt in diesem Jahr aus. Der Grund, klar: Corona. Aber die Stadt hat sich etwas einfallen lassen - und davon könnten in Zukunft auch Touristen aus dem Ausland profitieren.

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Kettenkarussell auf dem Münchner Köngisplat
Sommerspaß auf dem Münchner KönigsplatzBild: picture-alliance/dpa/F. Hoermann

Christin hat den Sommer unter Palmen verbracht, die Füße im Sand - und das mitten in München: auf der Theresienwiese. Dort, wo normalerweise seit Mitte Juli Großbaustelle wäre: Arbeiter mit Tiefladern und großen Kränen ziehen die Bierzelte und Vergnügungsmaschinerie des Oktoberfests hoch. Zehn Wochen Aufbau, zwei Wochen Spaß, und dann nochmal fünf Wochen, um alles wieder zu beseitigen.

Aber nicht in diesem Corona-Sommer. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg findet das Oktoberfest - die "Wiesn", wie die Bayern liebevoll sagen - nicht statt. Stattdessen haben die Münchner die Theresienwiese ganz für sich. Gut 42 Hektar Platz. "Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl", sagt Christin, auch eine junge Münchnerin.

Christin sitzt barfuß unter einer Palme, München, Deutschland
Christin genießt die Ruhe und das Sommer-Feeling auf der TheresienwieseBild: DW/M. Griebeler

 Milliardenverluste für München

"Traurig, erschüttert und fast wie gelähmt" sei er gewesen, als das größte Volksfest der Welt im April abgesagt wurde, sagt Clemens Baumgärtner, oberster Wiesn-Chef und Wirtschaftsreferent der Stadt München. "Da entsteht ein Vakuum, das schwer zu füllen ist - und es hängt natürlich auch viel dran."

Ungefähr 1,23 Milliarden Euro nämlich, hat Baumgärtners Referat berechnet. Einnahmen, die der Stadt, den Wirten, den Schaustellern, Taxifahrern, Hoteliers, Restaurants, Trachten- und Souvenirverkäufern und vielen anderen in diesem Jahr fehlen. Mehr als 500 Betriebe arbeiten allein auf dem Festgelände. 13.000 Arbeitsplätze entstehen so jedes Jahr.

In Dirndl und Lederhose das Leben genießen

Die Wiesn ist für München aber nicht nur ein großer Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein touristisches Aushängeschild: Weltweit werden Oktoberfeste nach München-Manier gefeiert - im brasilianischen Blumenau ebenso wie in Kitchener in Kanada oder Qingdao, China.

Das Original auf der Theresienwiese besuchen normalerweise rund sechs Millionen Menschen. Fremde und Freunde feiern sich in Lederhosen und Dirndl auf den Bierbänken in einen kollektiven Rausch, Rentner flanieren zwischen den Kirmesbuden hindurch und knabbern gebrannte Mandeln, Verliebte schießen einander Teddybären, und Kinder jauchzen im Kettenkarussell. "Die Wiesn ist einfach ein Lebensgefühl", sagt Baumgärtner im Gespräch mit der DW.

Deutschland München | Sommer in der Stadt | Olympiapark
"Sommer in der Stadt" - auch im Münchner Olympia-ParkBild: picture-alliance/dpa/H. Feiner

Die Alternative: Ein Sommerfest in der ganzen Stadt

Ersetzen kann man das nicht, aber retten, was zu retten ist. Etwa die Jobs der Schausteller. Das Münchner Wirtschaftsreferat erfand deshalb den"Sommer in der Stadt". An verschiedenen Plätzen Münchens stehen nun Fahrgeschäfte, Buden und Pop-up-Biergärten, natürlich mit Corona-gemäßem Abstand und Hygieneregeln.

Auf der Theresienwiese ist zum Beispiel Sand aufgeschüttet mit Palmen darin. Es gibt ein Parcours-Klettergerüst, an dem Sportler trainieren und Kinder turnen. Abends bietet das städtische Sportreferat hinter der Palmen-Allee kostenlose Aerobic-Stunden mit Trainer an. Hinzu kommen gelegentliche Konzerte.

Biertrinken unter Palmen geht auch ohne Wiesn

Die Münchner nutzen die Möglichkeiten. Unweit des Strandes haben Studenten eine Bierzeltgarnitur aufgestellt. "Hey, hey, baby, uh, ah", hallt der Wiesn-Hit von DJ Ötzi über das Feld. "Letztens hatten sogar welche hier einen richtigen Pool aufgestellt", erzählt Christin.

Menschen relaxen unter Palmen, München, Deutschland
Münchner Theresienwiese: Palmen, Sand und Kletterparcour statt OktoberfestzelteBild: DW/M. Griebeler

Sie wohnt am Rande der Theresienwiese und kommt jeden Tag an den künstlichen Strand zum Sonnen und Lesen. "Klar ist es schade, dass das Oktoberfest ausfällt, aber so gefällt es mir fast besser", sagt sie. Weil die Stadt Ideen habe für die Jugend und für die Schausteller.

Königsplatz bei Instagramern besonders beliebt

Peter Bausch, kommissarischer Vorsitzender des Münchner Schaustellervereins, steht hinter seinem Bierwagen am Königsplatz und zuckt mit den Schultern. "Es ist ein kleiner Schritt Richtung Normalität, aber uns fehlt eine ganze Saison", erzählt er. Trotzdem helfe der "Sommer in der Stadt" ein wenig, auch fürs Gemüt: Er sei froh, arbeiten zu können. Und: "Natürlich leben wir davon, aber im Kern geht es darum, den Leuten Freude zu bringen."

Peter Bausch, kommissarischer Vorsitzender des Münchner Schaustellervereins, beim Bierzapfen
Peter Bausch, kommissarischer Vorsitzender des Münchner SchaustellervereinsBild: DW/M. Griebeler

Wie, das zeigt sich vor allem hier auf dem Königsplatz, der inzwischen ein kleiner Instagram-Hotspot geworden ist: Vor dem Tor dreht ein Riesenrad seine Runden. Ganz im Wiesn-Stil jauchzen Kinder im Kettenkarussell und in der Piratenachterbahn, und die Erwachsenen genießen im Biergarten ein kühles Helles.

Gerhard aus München ist mit seiner Familie eher zufällig vorbei gekommen - und geblieben. "Das Oktoberfest kann man nicht ersetzen: Freude treffen, Bier trinken, das ganze Gefühl", sagt er. "Aber ich finde es gut, dass so etwas hier angeboten wird." Und er winkt seiner Frau und Tochter zu, die gerade im Karussell vorbeischweben.

Lebensgroßer Fotorahmen vor dem Riesenrad am Münchner Königsplatz,Deutschland München | Sommer in der Stadt | Riesenrad
Instagram-Hotspot KönigsplatzBild: picture-alliance/dpa/F. Hoermann

Stadt und Schausteller sind zufrieden

Wirtschaftsreferent Baumgärtner jedenfalls ist zufrieden mit seinem "Sommer in der Stadt", der inzwischen sogar bis Anfang Oktober verlängert wurde: "Es war bis jetzt ein Erfolg - auch weil es bislang keine Infektionen gab, kein Gedränge, keine Sauforgien." Und viele andere deutsche Städte hätten sich das Konzept angeschaut. "Es findet Anklang."

Darauf hoffen auch die Wirte. Denn auch sie haben einen Plan, um ihre Saison noch zu retten: In dem Zeitraum, in dem eigentlich das Oktoberfest hätte stattfinden sollen - also vom 19. September bis 4. Oktober - gibt es in diesem Jahr die "Wirtshaus-Wiesn". "Die Wiesn ist kein Ort, sondern ein Lebensgefühl“, erklärt Gregor Lemke, Sprecher der Münchner Innenstadtwirte, im DW-Interview.

Eine Wiesn 2020 - fast wie im Jahr 1810

Deshalb gehe es nicht um einen Ersatz, sondern vielmehr um eine Rückbesinnung zum Ursprung: Das erste Oktoberfest, 1810, zur königlichen Hochzeit von Ludwig von Bayern mit Therese, war ein spätsommerliches Fest in der ganzen Stadt. Tagsüber fand ein Pferderennen auf der Theresienwiese statt, am Abend traf man sich in den Wirtshäusern - zum Tanzen und Feiern. So soll es auch jetzt wieder werden. "Es geht darum, zu zeigen: Habt Freude am Leben, habt Spaß miteinander - das hat Corona nicht verdorben", sagt Lemke.

54 Gaststätten machen mit - die Wirtschaften in der Innenstadt und diejenigen, die sonst auf dem Oktoberfest ausschenken. Es gibt das traditionelle Wiesnbier der jeweiligen Brauerei, Hendl, Haxen und Steckerlfisch. Oktoberfestkapellen spielen auf, die Gäste sollen in Tracht erscheinen - und mit "O'zapft is" werden die Festwochen eröffnet. Quasi eine Riesenanzapferei quer durch die Stadt.

Hofbraeuhaus Muenchen Bayern Deutschland
Auch das Münchner Hofbräuhaus macht bei der Wirtshaus-Wiesn mitBild: picture-alliance/Joko

Schunkeln  ja, Tanzen nein

Eingeladen ist dazu jeder. "Das Fest steht der ganzen Welt offen", sagt Lemke - er und seine Kollegen gehen aber davon aus, dass Corona-bedingt eher Gäste aus München oder Bayern kommen. Es wird also weniger international und wohl weniger ausgelassen als in den Oktoberfestzelten mit ihren bis zu 10.000 Plätzen.

Die Wirtshäuser müssen sich an die geltenden Abstands- und Hygieneregeln halten. Schunkeln ist erlaubt, auf den Tischen tanzen nicht. Und schließlich gehe es nicht um Halligalli, sondern um Tradition, betont Lemke. "Das Oktoberfest als solches ist einmalig und soll es auch bleiben."

Alle hoffen aufs Oktoberfest im kommenden Jahr

Wird die "Wirtshaus-Wiesn" zum Erfolg, könnte es 2021 eine Wiederauflage geben, zusammen mit der richtigen Wiesn. Das gelte auch für den "Sommer in der Stadt", stellt Wirtschaftsreferent Baumgärtner in Aussicht. Denn, darauf hoffen beide: Bis dahin sollte es doch Medikamente geben oder eine Corona-Impfung.

Nur eins fällt dann wohl weg: der Palmensstrand auf der Theresienwiese. Denn da ist erst Großbaustelle und dann die große Gaudi.